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„In all deinen Farben“ schillern die altbekannten Liebesgeschichten, die Bolu Babalola neu gedacht und neu geschrieben hat. In ihrem Debüt von 2020 hat die 1991 in Southwork/London geborene und aufgewachsene Autorin Geschichten aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt.

Eigene, neue Storys der britisch-nigerianischen Autorin ergänzen das Buch. Hier wird keine falsche Romantik auf den Thron gehoben, die Geschichten sind durchaus auch real vorstellbar. Und doch sind sie in ihrer Diktion höchst romantisch, singen sie doch ein Hohelied auf die Liebe in all ihren Facetten.

 

Diese Erzählungen aus aller Welt beweisen, Liebe ist überall möglich und alle Liebenden ähneln einander. „…wenn das Timing stimmt, kann die Liebe ihre volle Strahlkraft entfalten“, heißt es am Ende der letzten Story dieser anrührenden Sammlung. Genauso ist es. Auch deshalb wirkt diese neue Mischung aus alten Märchen, Mythen, Träumen so wahrhaftig.

 

Die junge Autorin, die einen Bachelor in Rechtswissenschaften und einen Master in ‚Amerikanischer Politik‘ und Geschichte hat, ist auf gutem Weg, als Schriftstellerin auch langfristig Karriere zu machen. „Love in Colour“ heißt ihr Erstlingswerk im Original, das nach Erscheinen in England rasch zum Bestseller der Sunday Times aufstieg. Kein Wunder, zumal Selbstbewusstsein und Humor durch jede dieser Geschichten schimmern, die in Stil, Stimmung, Ort und Zeit lebendig, lebhaft und erfrischend variieren. Bei der Auswahl der Erzählungen, die Bolu Babalola als Basis dienten, hat sie sich bewusst für diejenigen entschieden, die ihr thematisch ergiebig und ausbaufähig erschienen, wie sie im Nachwort erklärt. Bei den Recherchen im Vorfeld des Buches erschloss sich die Autorin neue, fremde Welten. Auch davon profitieren wir Leser.

 

Babalola In all deinen Farben COVERLiterarische Vorlagen aus aller Welt waren beispielsweise Mythen und Legenden der Yoruba (Nigeria) oder auch Scheherazade aus Tausendundeine Nacht (Persien) und last but not least Eros und Psyche (antikes Griechenland). Die Autorin hat, die von ihr gewählten Stoffe neu interpretiert, hat die alt(bekannt)en Frauenfiguren einer Verjüngungskur unterzogen, hat mit ihnen gespielt, sie neu und anders in den Mittelpunkt gestellt, ihnen eine erdachte und denkbare Rolle zugewiesen. Diese neu erschaffenen, aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholten, zu neuem Leben erweckten Frauen werden hier nicht mehr nur von Männern ausgewählt. Sie sind nicht mehr Opfer und abhängig von deren Begierde. Sie dürfen jetzt selbst wählen, wen sie lieben wollen, dürfen selbst aktiv werden. In unserem Zeitalter der (immer stärker werdenden) Gleichberechtigung ist dieses Buch eine willkommene Lektüre – nicht nur für Frauen. Sie könnte sogar als Pflichtlektüre für Männer dienen.

 

In all diesen alten, von ihr neu erzählten Geschichten hat Bolu Babalola mit Genre und Ton experimentiert, ohne dabei jemals den Respekt vor dem Ursprungstext zu verlieren. Sie spielt mit der Geschichte, mit den Geschichten. Dabei variiert sie gekonnt Ort und Zeit. So hat die Autorin in der Story von Psyche und Eros die beiden in ein schickes Bürogebäude verpflanzt. Psyche ist – natürlich – eine moderne Frau, die in der Moderedaktion der Zeitschrift „Olymp“ arbeitet und gerade endlich um eine Beförderung zur Redakteurin ansuchen will. Und so beginnt diese moderne Frauengeschichte: „Das durfte doch nicht wahr sein! Psyche sah zu wie sich der Latte macchiato mit fettfreier Sojamilche auf ihrem weißen Oberschenkel ausbreitete und in den Stoff sickerte, sodass er ihr im Nu auf der Haut klebte.“ So beginnt diese moderne Liebesgeschichte: „“Psyche schrubbte noch immer heftig an dem Fleck herum, als plötzlich jemand säuselte: „Das nenn ich ja mal ein Statement. Ein Schuss Braun auf weißem Grund. Nude, neu interpretiert? Ein Gedicht! Subversiv!“ Nun ja, das ist keine literarische Glanzleistung, aber durchaus unterhaltsam - und es macht neugierig. Wie wird die Geschichte weitergehen? Wie wird sie ausgehen? Das möchten wir Leser:innen unbedingt wissen…

 

Die ägyptische Königin Nofretete herrscht bei Bolu Babalola in einem Palast, der eine Art Frauenhaus ist: ein Rückzugsort für Frauen, die männliche Gewalt erlitten. Hier geht es also nicht um harmlose Neugierde, hier geht es um gedankliches Schwergut, um unhaltbare Zustände, die – auf welche Weise auch immer – zu beenden sind. Auch diese Geschichte beginnt mit Geplauder. Nofretete selbst ist es, die den harmlos erscheinenden ersten Satz sagt: „Meine Stilettos klackerten über den Boden der Bibliothek im Untergeschoss.“ Sie ist es auch, die uns wenige Sätze später geheimnisvoll Schwerwiegendes erzählt, „Ich bin Autodidaktin; ich weiß, dass Wissen Macht ist, aber meine Bücher sind nicht nur dazu da, um meinen Geist zu nähren; sie dienen auch der Schallabsorption.“ Nanu und hoppla, was kündigt sich hier an? fragt sich der geneigte Leser, die geneigte Leserin. Wenig später ist von einem Glaskäfig die Rede, vom scharfen Gestank „von getrocknetem Schweiß, gepaart mit gedämpften Wimmern.“ Bedrohliches kündigt sich an, setzt sich fort. Und dennoch ist und bleibt es auch eine Geschichte, die von der Liebe erzählt, in diesem Fall aus der Ich-Perspektive.

 

Nicht nur bei Nofretete hat Babalola Fakten und Fantasie kombiniert. Allerdings war in diesem Fall besonders hilfreich, dass bisher nur wenige Einzelheiten aus dem Leben Nofretetes bekannt und belegt sind. Das verschaffte Bolu Babalola zusätzliche künstlerische Freiheit. In allen von ihr beschriebenen Fällen erfand sie eine andere als die bisher bekannte Lesart der Lebensgeschichten. Das ist verblüffend und überzeugend zugleich. Fantasie, aber auch die Kunst der Recherche werden groß geschrieben bei dieser Autorin. Sie selbst sagt, beim Schreiben dieses ihres Erstlingswerks habe sie sehr genossen, „die Ehre und das Privileg, auszuleuchten, auf welch mannigfaltige Art und Weise die Liebe in unterschiedlichsten Kulturen weltweit Ausdruck findet“. Das Ergebnis dürfen nun wir als Leser:innen genießen.

 

Bolu Babalolas bezeichnet sich selbst als Liebhaberin der Liebe und „Romcomaisseurin“. Das trifft zu, zumal sich der Begriff romcom (Romantische Komödie) dahinter verbirgt. Das kann laut Definition auch bedeuten, sich auf romantische Ideen zu konzentrieren. Beispielsweise die Idee zu verfolgen, dass wahre Liebe die meisten Hindernisse überwinden kann. Genauso geschieht dies bei Bolu Babalolas erstem Buch. Thisbe, Scheherazade, Ọṣun, Nofretete und andere Frauenfiguren aus aller Welt sind es, die sich hier verwandeln und dennoch sie selbst bleiben. Die Autorin sieht hierin auch „einen Schritt zur Dekolonialisierung der Liebe“. Weil sie von starken Frauen schreibt, die kühn sind, kühn lieben und mitunter ebenso kühn geliebt werden. Das klingt gut und richtig und soll so sein.

 

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn Bolu Babalola glaubt fest daran, dass Frauen sowohl „die Schöne“ als auch „das Biest“ sind. Auch das spiegelt sich in ihren Geschichten, die man neusprachlich auch als gefakt bezeichnen könnte, da sie vom Ursprung her von der Autorin verändert wurden. Dies geschah, um die erzählten Frauen noch stärker zu machen. Eine gute Idee, zielgerichtet und erfolgreich umgesetzt: Die Storys lesen sich leicht und flüssig. Sie lassen sich zudem gut und gerne stückweise genießen. Eine Liebesgeschichte am Tag könnte und sollte uns vielleicht ja auch genügen. Und am nächsten Tag noch eine. Und so weiter.


Bolu Babalola: In all deinen Farben, Love Stories

Originaltitel: Love in Colour

Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm

Eisele Verlag

Klappenbroschur, 320 Seiten

ISBN: 9783961611317

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