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Ist die Perfektion der Technik wirklich ein Zustand, den wir ganz unbedingt anstreben sollten? Friedrich Georg Jünger war sich da nicht so sicher.

Friedrich Georg Jünger lebte von 1898 bis 1977. Wie sein älterer Bruder Ernst, dem er Zeit seines Lebens eng verbunden blieb, war er Weltkriegssoldat und zählte in den Zwanzigern als entschiedener Antidemokrat zur Speerspitze der „Konservativen Revolution“. Nationalsozialisten allerdings waren die Gebrüder Jünger nie, sondern setzten sich durch verschiedene Schriften vom Regime ab – Ernst Jünger vor allem mit dem autobiographisch angehauchten „Auf den Marmorklippen“ (1939), in dem Friedrich Georg als „Bruder Otho“ figuriert, Friedrich Georg mit seinem Gedicht „Der Mohn“ sowie mit „Die Perfektion der Technik“, einem Buch, das noch während des 2. Weltkrieges abgeschlossen wurde, aber erst 1946 veröffentlicht werden konnte.

 

Das Thema des Großessays ist nicht etwa eine Feier der Fortschritte der Technik. Vielmehr ist alles mit „Rücksicht auf den Menschen“ geschrieben und zielen die Überlegungen allein darauf, wie die Technik und das „technische Kollektiv“ uns in unserem Denken wie in unserem Verhalten verändern. Dem Autor ging es in diesem Buch, das im Wesentlichen während der dreißiger Jahre entstand, um eine neue, von der Technik geprägte, den Automaten angepasste Gestalt des Menschen. Für diesen neuen Menschentyp hatte Ernst Jünger schon einige Jahre zuvor (1932) in einem berühmten Buch, in das wohl auch schon Gedanken seines Bruders eingegangen waren, den Begriff „Arbeiter“ geprägt.

 

„Was zunächst rein physiognomisch auffällt,“ schreibt Jünger dort, „das ist die maskenhafte Starrheit des Gesichtes, die eben sowohl erworben ist wie sie durch äußere Mittel, etwa Bartlosigkeit, Haartracht und enganliegende Kopfbedeckungen, betont und gesteigert wird. […] Diese Maskenhaftigkeit ist nicht nur an der Physiognomie des Einzelnen zu studieren, sondern an seiner ganzen Figur.“ In seinem surrealen Essayband „Das abenteuerliche Herz“ schildert Jünger die maskenhaften Gesichter ebenso eindringlich: „sie erinnern an jene Mumienköpfe, die mit polierten metallischen Masken überzogen sind.“ Das Gesicht des Arbeiters ist für Jünger „seelenlos, wie aus Metall gearbeitet oder aus besonderen Hölzern geschnitzt“. Der Arbeiter entsteht, wenn sich der Mensch der Technik unterwirft. Der 1. Weltkrieg war das erste welthistorische Ereignis, in dem die Technik über den einzelnen Menschen triumphierte und ihn vereinnahmte, und wer wissen möchte, wie der Jüngersche Arbeiter wohl ausgesehen hat, sollte sich die Kriegsbilder von Otto Dix anschauen.

 

Man braucht hier nicht näher auf die fragwürdigen politischen Überzeugungen und Aktivitäten der beiden Brüder in der Weimarer Republik einzugehen. Sollten ihre essayistischen oder literarischen Arbeiten deshalb wertlos sein? Viele denken so. Ich erinnere mich an die Bemerkung eines ehemals sehr prominenten Feuilletonisten, bei Ernst Jünger „knirsche das Sattelleder“. Und schon sieht man einen preußischen Leutnant hoch zu Ross Unter den Linden, dessen Bücher man nicht zu lesen braucht. Tatsächlich aber fuhr Ernst Jünger, was sein Kritiker offensichtlich nicht wusste, Fahrrad! Da kann allerdings auch das Sattelleder knirschen…

 

Wichtig ist eigentlich nur eins: Die Brüder Jünger waren beide sensible, aufmerksame Beobachter und fähige Autoren, gewisser Schwächen ungeachtet. In der „Perfektion der Technik“ legte Friedrich Georg Jünger sein persönliches Meisterwerk vor, das dank einer sauberen Argumentation, einer Fülle von Beobachtungen und einem erstaunlichen Gedankenreichtum noch heute eine Pflichtlektüre für jeden sein sollte, der sich mit der Technik und ihrem Einfluss auf die Gesellschaft wie auf den einzelnen Menschen beschäftigt. Mehr noch: Das Buch, obgleich es mehr als siebzig Jahre auf dem Buckel hat, kann uns helfen, unsere eigene Zeit zu verstehen. Was könnte man Besseres von einem Essay sagen?

Zwei Arbeiten sind in dem Buch zusammengefasst. Der zweite Teil, „Maschine und Eigentum“, geht von den Überlegungen des ersten Teils aus, berührt dann aber auch ökonomische Aspekte. Denn für Jünger hat die Geldwirtschaft „immer einen Bezug zur Mechanik“. Übrigens gilt für die Bemerkungen dieses Teils dasselbe wie für die Reduzierung der Technik auf die Mechanik: Jüngers Beispiele sind von vorgestern (er bemängelt zum Beispiel den Wechsel von der Metallwährung hin zum Papiergeld), aber was er über die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sagt, das kann man ungekürzt auf die heutige Zeit übertragen – auch, wenn sich diese Geschwindigkeit seitdem in einer unfassbaren Weise vergrößert hat. Sein Fazit hat Jünger so formuliert, dass es auch heute noch gültig ist: „Man kann sagen, daß das Geld aus festen Aggregatzuständen in flüssige übergeht.“ Das Geld, schreibt er, „kreist automatisch.“

 

Friedrich Georg Jünger Die Perfektion der Technik COVERDas Buch stellt eine beeindruckende Kritik unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dar, die weitaus radikaler ist als andere Schriften dieser Art. Wie grundsätzlich Jünger vorgeht, kann man daran erkennen, dass er die staatlichen und gesellschaftlichen Ordnungen in Ost und West unter dem Ausdruck „technisches Kollektiv“ zusammenfasst: „Denn es hat keinen Zweck mehr, dort von Ökonomie zu sprechen, wo nur noch die Raubbauverfahren des technischen Kollektivs arbeiten.“ Ob Kommunismus, ob Kapitalismus, das steht für ihn gar nicht in Frage: „Der Maschinenkapitalist und der Maschinenmarxist sind Brüder mit gleichen Kappen.“ „Privat oder kollektiv – das Prinzip der Ausbeutung ist das gleiche.“

Die Ausbeutung der Erde ist für Jünger ein zentraler Aspekt, und er geht in seiner Kritik viel überlegter und grundsätzlicher vor als heutige Umweltschützer, die wirklich denken, ein Wechsel der Technik (vom Benzin zur Elektrizität zum Beispiel) könne irgendein Problem beseitigen. Autos nennt er übrigens „Verkehrsautomaten“ – wie sehr er mit dieser Klassifikation recht bekommen sollte, konnte er nicht ahnen –, und für das Gerede von der Freiheit des Fahrers hätte er sicherlich kein Verständnis gehabt, denn den Chauffeur, schreibt er kurz und treffend, »nimmt die Maschine mit, er ist an ihre Bewegung gebunden.“ An anderer Stelle zeigt Jünger, dass vom Chauffeur „reine Apparatur-Aufmerksamkeit und -wachsamkeit verlangt“ wird; so kann er zum Gegenbild eines wachen, aufmerksam umherschauenden, seiner Umgebung zugewandten Menschen werden.

 

Ein naheliegender Einwand gegen das Buch lautet von jeher, es kritisiere nicht den letzten Stand der Technik. Vor fünfzig Jahren hieß es, die Kernkraft sei nicht inbegriffen, und heute wird man sowohl die allgegenwärtige Kommunikationstechnologie als auch die Digitalisierung vermissen. Wohl wahr – ein Autor, der seine Überlegungen noch vor dem Ende des 2. Weltkrieges abschloss, konnte nur schwer auf diese Techniken eingehen. Besonders über die totale Vernetzung des Einzelnen hätte er aber schon einige Worte zu sagen gehabt: Der Leichtsinn, in dem wir alle uns in die Hand von unkontrollierbaren multinationalen Gesellschaften begeben, kann seine Überlegungen nur bestätigen.

Wenn Jünger nach den „Grenzen der Mechanik, nach den Grenzen des automatisierten technischen Bereiches“ fragt, kann man deutlich sehen, dass er unseren Stand der Technik nicht einmal erahnt. Denn es sind ja schon längst nicht mehr die Grenzen der Mechanik, um die es heute geht, auch wenn selbst sehr weit fortgeschrittene Wissenschaften immer noch deren Vokabular gebrauchen. Zum Beispiel benutzen Gen-Ingenieure „Gen-Scheren“, unter denen wir Laien uns absolut gar nichts vorstellen können. Aber dass es keine mechanischen Geräte sind, das wissen wir schon. Und doch, auch wenn Jünger über eine aus heutiger Sicht veraltete Technik spricht, wird man finden, dass seine Überlegungen die Technik unserer Zeit mit eben derselben Kraft treffen, also ihre Auswirkungen auf unser Bewusstsein und unser Verhalten korrekt beschreiben. Das ist, finde ich, sehr erstaunlich und zeigt die Konsequenz und Strenge seines Denkens.

Wie grundsätzlich und radikal Jüngers Kritik an unserer Form des Lebens und Wirtschaftens ist, kann man sehr leicht am Begriff der „Zapfstelle“ zeigen, womit natürlich zunächst, aber nicht ausschließlich Tankstellen gemeint sind. Unsere Art des Wirtschaftens, die fortgeschrittene Art der Technik überhaupt stellt Raubbau dar, wie Jünger immer wieder zeigt. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit – lange Jahre vor dem Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“) –, dass Fundstätten und Zapfstellen versiegen können, ja dass diese sich notwendig erschöpfen müssen. Immer wieder kommt er auf die rücksichtslose Ausnützung und Ausbeutung von Bodenschätzen oder (in der Landwirtschaft) des Bodens selbst zu sprechen. Resultat dieser Ausbeutung sind, die von der Industrie zerstörten Landschaften, die ihn an die Schlachtfelder des Weltkrieges erinnerten und die man außer in den Kriegsbüchern der Gebrüder Jünger auch in manchen Ölgemälden von Otto Dix findet. Jünger spricht von „Werkstättenlandschaften“.

 

Heute finden sich alle möglichen Leute wer weiß wie ökologisch, wenn sie sich für die E-Mobilität aussprechen oder sich gar ein entsprechendes Gefährt anschaffen, aber tatsächlich wird dann nur nicht mehr der Ölschiefer abgebaut, sondern es sind die seltenen Erden. Das geschieht schön weit weg in Ländern, die uns herzlich egal sind, und so brauchen wir uns um die Folgen dieses Raubbaus nicht zu kümmern.

Weil die Technik, der Friedrich Georg Jünger zwischen dem Beginn der Niederschrift seiner Überlegungen und ihrer Veröffentlichung begegnete, nicht viel mit unserer Situation zu tun hat, muss man immer wieder den grundsätzlichen Kern seiner Kritik herauslösen – und dann findet man, dass seine Überlegungen außerordentlich genau zutreffen. Ohne Zapfstelle kann zum Beispiel auch kein Mobiltelefon funktionieren. Oder man nehme diese – ja: Prophezeiung, die sich in unseren Tagen in verschiedenen Teilen der Welt bereits erfüllt hat: „Die Möglichkeit, das Rechnungsgeld obligatorisch zu machen und alle Barzahlungen willkürlich zu beschränken, wird im technischen Kollektiv zur Handhabe, um von einer Zentrale her durch Kontensperrung die gesamte zirkulierende Geldmasse mit Beschlag zu belegen.“

 

Ein wesentlicher Gedankengang des zweiten Teils besteht darin, den Gegensatz zwischen Eigentum und Besitz herauszuarbeiten. Urbild des Eigentümers ist für ihn der Bauer, der seinem Grund und Boden verhaftet ist und bleibt und sein Eigentum entsprechend pflegt und schützt. Er führt ein Leben in Geborgenheit. „Im Kollektiv“ dagegen, schreibt Jünger und akzeptiert wiederum keinen Unterschied zwischen West und Ost, „haben Eigentum und Erbrecht wenig zu sagen.“ Im Zeitalter des Computers, in dem wir alle den Zugriff der großen Netzwerke auf unsere Festplatte ungefragt erdulden müssen, oder angesichts der Streitigkeiten um das Copyright werden seine Überlegungen auf eine Weise bestätigt, mit der er niemals hätte rechnen können; von den Verstaatlichungen bäuerlichen Landbesitzes zugunsten gewisser Straßen („baltische Magistrale“) ganz zu schweigen.

Nein, leider kann man diesen großartigen Essay nicht jedermann empfehlen. Die Freunde des Autos zum Beispiel werden dieses Buch nicht goutieren, und ähnlich wird es fleißigen Kinogängern gehen, denn vom „Lichtspiel“ bleibt dem Autor nur der „Eindruck der Käuflichkeit des Geschehens“.

 

Auffällig ist die Zurückhaltung des Autors, wenn es darum geht, seine Überlegungen in ein moralisches Urteil münden zu lassen: Das geschieht kaum jemals. Nur zum Schluss, wenn die Rede auf Werbung kommt („Propaganda“), nennt er diese verlogen: „Photographie, Lichtspiel, Rundfunk und automatisierter Druck sind die Träger der vom Kollektiv betriebenen lügenhaften Propaganda.“ Er schreibt nicht so affektiert kühl wie sein Bruder Ernst, nimmt sich mit Be- und Verurteilungen aber doch auffällig zurück, und schon deshalb sollte dieser Vorstellung eines großartigen Buches ein sehr ähnlich argumentierendes, aber trotzdem von einem ganz anderen, einem moralischen Geist erfüllten Buch folgen, „Die Herrschaft des Leviathan“ von Franz Vonessen.


Friedrich Georg Jünger: Die Perfektion der Technik

8. – um ein Nachwort von Andreas Geyer vermehrte Auflage 2010

(Klostermann RoteReihe, Band 32)
388 Seiten
ISBN 978-3-465-04094-1

- Weitere Informationen

- Leseprobe

 

Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt

Klett-Cotta

315 Seiten

ISBN 978-3608960648

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