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Zorniges Meer. Foto: Pixabay

 

Im Mareverlag ist in einer hübschen Ausgabe die Erzählung „Der Zorn des Meeres“ erschienen – ein Titel, auf den ich vielleicht nicht geachtet hätte, hätte sein Autor nicht zwei Jahre später ein viel berühmteres Buch verbrochen: „Dracula“.
Bram Stoker (1847-1912) ist der Autor vieler Bücher. Sein neben „Dracula“ (1897) erfolgreichstes ist ein Lehrbuch für Justizbeamte, das noch lange nach seinem Tod aufgelegt wurde.


Bram Stoker: Erinnerungstafel in Cruden BayAber seine anderen Werke? Sie sind samt und sonders vergessen, so dass dieser Autor als ein typisches „One Hit Wonder“ gelten darf. Es ist also eine schöne Überraschung, dass sich jetzt ein deutscher Verlag einer seiner vergessenen Erzählungen erinnert hat und in einer gelungenen Übersetzung anbietet.

„Der Zorn des Meeres“ ist die einfache Geschichte eines tragischen Konflikts. Mit seinen fünf Kapiteln hat er auch die Struktur einer Tragödie. Sie kennt gleich drei Helden: das Liebespaar und dazu das Meer, dessen Toben, wie es ja auch der Titel verspricht, von Stoker ‚con amore‘ beschrieben wird. Die von einem wüsten Sturm aufgewühlte See ist der eigentliche Held der Geschichte.

Zuvor aber sei der beiden menschlichen Helden gedacht. Willy, ein noch junger, sehr biederer Beamter, dessen Pflicht der Kampf gegen den Schmuggel ist – wir befinden uns an der schottischen Ostküste, ein wenig nördlich von Aberdeen –, und seine Herzallerliebste Maggie, die im Verlauf der Geschichte in einer einzigen Nacht erstaunliche Qualitäten offenbart. Sie sieht sich zu Heldentaten genötigt, denn es ist ihr Vater, der die Sturmnacht zum Schmuggeln nutzen will, aus purer Not, versteht sich. Als Fischer hat er zuletzt viel Pech gehabt und ist hoch verschuldet. Sein Gläubiger ist einer der schwachen Punkte der Erzählung; denn nicht allein, dass er aus Hamburg stammt – das allein ist ja schon schlimm genug –, sondern seine Schilderung ist ein unangenehmes antisemitisches Zerrbild. Er wird beschrieben als ein Mann mit „Glatze, scharfem Blick, zerzaustem grauem Bart, stark gekrümmter Nase und bösem Lächeln“. Sein Name – Mendoza – weist ihn als einen Sepharden aus.

Der tragische Konflikt spielt sich in den Seelen des Liebespaares ab. „Sogar in dem Augenblick,“ heißt es von dem als durch und durch anständig geschilderten Willy, „da die Tragödie seines Lebens sich zu vollenden schien, als die Frau, die er liebte und ehrte, ihn anscheinend drängte, seine Pflicht zu vernachlässigen, konnte Willy Barrow nicht umhin, sich für ihr Tun verantwortlich zu fühlen.“ Und entsprechend geht es Maggie; sie ist zerrissen zwischen den Verpflichtungen gegenüber ihrem Vater und ihrem Willy, und so muss sie den Mut aufbringen, sich während eines tobenden Sturms auf die Nordsee zu wagen, um ihren Vater vor dem Schwiegersohn in spe zu warnen.

Bram Stoker: Der Zorn des Meeres COVERDie starke Seite des Buches ist die Schilderungen der Natur, die ganz schwache die Dialoge, die einfach furchtbar sind, melodramatisch und mit „Oh Willy, oh Willy!“ das Komische mehr als nur streifend. Das ist Kolportage der schlimmsten Art. Hätte der Autor wirklich eine Tragödie für das Theater geschrieben, das Stück wäre dank seiner Dialoge unerträglich.

Dagegen hat der Autor bei der Schilderung der Wetter- und Lichtphänomene, der pittoresken Felsenküste wie endlich des wütenden Meeres wesentlich besseres geleistet. Es sind lange, genau beobachtete und sehr differenzierte Versuche, die anrollende See und die Tücken der Untiefen zu beschreiben. Dabei fällt auf, wie oft sich dem Erzähler der Vergleich der See mit einem hungrigen Raubtier aufdrängt: das Meer ist hungrig, und so sperrt es sein Maul auf und will etwas fressen. „Die weiße Ansammlung von Felsen sah aus wie ein gespenstisches, offenes Maul, das alles verschlingt, was ihm zu nahekommt.“ Als Maggie sich in der Nacht hinauswagt, „konnte sie die weiße Gischt erkennen, die über die versunkenen Steinblöcke spritzte, als die anrollenden Wellen sie freilegten, bis sie einmal mehr aussahen wie Zähne im Schlund des hungrigen Ozeans.“ Und manchmal ist auch der Wind einem Wesen vergleichbar – einem schrecklichen Wesen, versteht sich: Der Sturm „brauste durch die Schlucht, bis er hoch oben, zwischen den beidseitigen Felsen, hin und wieder zu brüllen schien wie ein lebendiges Wesen, das Schmerz oder Zorn verspürt.“

Bram Stocker, 1906 Foto: W. & D. DowneyIm kalifornischen San Jose findet alljährlich der „Bulwer-Lytton Fiction Contest“ statt, ein satirischer Wettbewerb, bei dem es um den schlecht möglichen Romananfang geht. Benannt ist der Preis nach dem ersten Satz eines Buches des oben genannten Edward Bulwer-Lytton (1803-1873), immerhin der Autor von „Die letzten Tage von Pompeji“. Die meisten von uns kennen diesen ersten Satz, denn kein geringerer als Snoopy beginnt alle seine Romane (die leider allesamt abgelehnt werden) mit diesem schlechtesten aller Romananfänge: „It was a dark and stormy night.“ Bram Stoker nun ist mit seinem Romananfang ziemlich nah dran, denn bei ihm heisst es: „Es drohte eine stürmische Nacht zu werden.“ („It threatened to be a wild night.“)

Bei diesem Büchlein handelt sich um die liebevolle Edition einer Erzählung, die eher nicht der Weltliteratur zuzurechnen ist. Das kleine Bändchen mit dem farbigen Leineneinband und dem Lesebändchen ist wirklich hübsch gestaltet, und dem Übersetzer ist nicht nur die Übertragung in ein ausgesprochen schönes Deutsch gelungen, sondern er hat dazu noch ein instruktives Nachwort geschrieben, in dem er uns mit dem Lebensweg des Autors bekannt macht. Schließlich finden sich Anmerkungen, in denen die seltenen Ausdrücke aus der Seemannssprache erläutert werden.


Bram Stoker: Der Zorn des Meeres

Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann.
Mareverlag Hamburg 2020
ISBN: 978-3866486133
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Leseprobe


Abbildungsnachweis:

Cruden Bay, Schottland. Erinnerungstafel an einer Hauswand. Foto: Mikey Shepherd
Buchumschlag
Portrait von Bram Stocker, 1906: Foto: W. & D. Downey

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