Theater - Tanz


Schwarz. Die ganze Bühne schwarz. Bis zum Ende des ersten, biographisch angelegten Teiles, wird sie so bleiben - eingehüllt in ein expressives, erdrückendes Dunkel, in dem nur die Protagonistin und ihre jeweiligen Partner dramatisch ausgeleuchtet werden. Schon der Untertitel „Choreografische Phantasien“ macht klar, dass Neumeier kein Interesse hatte, chronologisch die Lebensgeschichte der Eleonora Duse (1858-1924) zu erzählen. Er wollte vielmehr Schlüsselmomente in ihrem Leben beleuchten. Begegnungen und Beziehungen zu ihren Männern, dem Mentor, dem Freund, dem leidenschaftlich Geliebten. Aber auch das zwiespältige Verhältnis zwischen Bewunderung und Rivalität zur älteren Kollegin Sarah Bernhardt (hinreißend artifiziell als Kameliendame: Silvia Azzoni). Und, nicht zu vergessen, die Freundschaft mit der Tänzerin Isadora Duncan (Anna Laudere), die auf so tragische Weise ihre Kinder verlor.

Dabei legte Neumeier Wert darauf, den Geist jener Zeit einzufangen: Vom Fin de Siècle, über die Wende vom 19. Ins 20. Jahrhundert und weiter zur Stummfilm-Ära und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Zum ersten Mal arbeitet der Choreograph dabei mit dem Medium Film, genauer gesagt mit einer in Cineasten-Kreisen hochgeschätzten Stummfilm-Rarität: Gleich zu Beginn sieht sich die Duse im Kino ihrem Film „Cenere“ („Asche“, 1916) gegenüber gestellt, dem einzigen Film, in dem sie je gespielt hat.

Kino auf der Bühne, Bühne auf der Bühne. Neumeier, so scheint es, hat sich ganz in die Schauspielerin hineinversetzt. So, wie es Eleonora Duse in ihrer Rolle als Shakespeares Julia in Verona empfunden haben mag, verwebt der Choreograph Biographie und Rollen zu einer unauflösbaren Einheit und lässt dabei die wichtigsten Momente der Jahrhundertschauspielerin aufflackern - persönliche, wie berufliche. Doch während die blutjunge Schauspielerin bei ihrem Auftritt 1873 tatsächlich glaubte, eine Wiedergeburt von Shakespeares Figur zu sein („jedes Wort Julias schien in meinen Adern zu pulsieren“), verwandelt Neumeier nun ihren damaligen Partner Luciano Nicastra (Romeo) in den von ihr so blind geliebten Dichter Gabriele D’Annunzio, der tatsächlich erst 1894, also 21 Jahre später, in ihr Leben trat.

Aus der Erinnerung jedoch, und so erzählt John Neumeier die wichtigsten Stationen im Leben der Duse, verschmelzen Zeit und Raum zu einem mitunter fast surrealen Spiel. Und das ist für die Zuschauer nicht immer einfach zu durchschauen. Man muss schon aufmerksam hingucken, wer da gerade den Romeo tanzt: Alexandr Trusch (als Nicastra) oder der phantastische Karen Azatyan, der als Eleonores geliebter Gabriele eine geradezu animalische Erotik verströmt.

Verwirrend ist diese Szene auch deshalb, weil mit einem Mal der Krieg in das Bühnengeschehen eingreift: Während sich das Romeo und Julia-Personal auf dem Kostümfest der Capulets vergnügt, reißt der schwarze Hintergrund auf und gibt den Blick frei auf Stacheldraht und Schützengräben, aus denen die Soldaten hervorkriechen. Neben dem erotischen Liebes-Duett von Eleonora und Gabriele, das wenig später zum Höhepunkt des Abends gerät, ist diese Szene wohl die stärkste und aufregendste: Neumeier, der bei der „Duse“ auch für Bühnenbild, Licht und Kostüme verantwortlich zeichnet, schafft hier ein geradezu apokalyptisches Tableau von der kalt-kalkigen Farbenpracht eines El Greco.

Keine Frage: Der Krieg ist wieder allgegenwärtig. Nicht nur am Thalia und am Schauspielhaus, nicht nur durch Inklusion und Partizipation von Flüchtlingen in der Hamburg Oper, auch hier, in John Neumeiers jüngster Ballett-Schöpfung bricht er mit aller Macht über die Zuschauer herein.

Krieg, Tod, Liebe, Verzweiflung, Abschied, Alter – das sind die eigentlichen Themen dieses dunkel gestimmten Ballettabends, an dem das Bühnen-Publikum, (das sich während des ersten Teils mehr oder minder eng um die Duse gedrängt hat), im Trauerzug hinter dem Sarg schließlich zu Schatten unter Regenschirmen verblasst.

Mit einem derart deprimierenden Bild wollte John Neumeier seine Fangemeinde dann offenbar doch nicht entlassen. Und so schließt er - gleichsam als versöhnliches Ende – mit dem Epilog „In einer anderen Welt“: Die Bühne nun in lichtdurchflutetem Weiß-Blau gehalten und geometrisch klar gegliedert, ein puristisch freundliches Jenseits, in dem „Eleonora Duse noch einmal den wichtigsten Männern ihres Lebens begegnet“.

Es ist bezeichnend, dass die Inhaltsangabe auf der Homepage des Hamburg Balletts zum zweiten Teil nur diesen einen Satz schreibt.
Alessandra Ferri, die schon im ersten Teil erhaben, ruhig und auch ein wenig statisch tanzte, wird hier einmal mehr von ihren Männern herumgetragen, ansonsten passiert nichts Bemerkenswertes. Bis auf die Tatsache vielleicht, dass es auch im Jenseits schneit und sich eine Decke weißer Flocken - die Metapher für immerwährende Harmonie - über das Geschehen legt.

John Neumeier zeigt sich hier als tief religiöser Mensch, der das Leben als Prüfung empfindet und auf Erlösung im Jenseits hofft.
Was bleibt, sind zwei packende Szenen, der Einbruch des Krieges und das hinreißende Liebes-Pas-de-Deux von Alessandra Ferri und Karen Azatyan, die dieses Ballett aus der Mittelmäßigkeit holen. Nicht zu vergessen die Erinnerung an eine Ausnahme-Schauspielerin, die für ihre vollkommene Illusion auf der Bühne vergöttert wurde.


Duse – Choreografische Phantasien über Eleonora Duse
Hamburg Ballett in der Hamburgischen Staatsoper
zu sehen am 9. | 15. | 16. | 28. | 31. Januar; 15. Juli 2016
Preise: 5,- bis 97,- € (A) / 4,- bis 89,- € (B) / 4,- bis 79,- € (C) / 7,- bis 176,- € (P)

Video-Trailer:
Duse


Abbildungsnachweis:

Header: Szene aus Duse; mit: Marc Jubete, Alessandra Ferri, Alexandr Trusch, Karen Azatyan, Carsten Jung. Foto: Holger Badekow