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Bildende Kunst

Die sehr gut konzipierte Ausstellung spannt einen Bogen von der Malerei, Zeichnung und Grafik, Skulptur und Installation über Performance, Foto- und Videokunst bis zu Musik und Literatur. Ein attraktives Programm, das von insgesamt 22 Künstlern, darunter zwei Künstlerduos und einer Künstlergruppe gestaltet wird.

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Um keinen der Künstler zu benachteiligen, werden die einzelnen Positionen in einem kleinen Ausstellungsparcours vorgestellt. Die Exponate von Hans-Malte Esser, Benjamin Mastaglio, Arne Rautenberg und Thomas Judisch empfangen die Besucher des Pavillons. Der in Kiel lebende Esser favorisiert die Webkunst, seit ihn ein Stipendium in den Iran führte, wo er die traditionelle Webtechnik studierte. Sein grafisch strukturierter Teppich ist daher in der Tradition persischer Kelims gewebt. Ganz traditionell ist die Wolle nicht mit synthetischen Farben eingefärbt, sondern mit Naturstoffen. Mastaglios farbenfrohe Kompositionen in Öl und Tonpapier erinnern mit ihren geometrischen Strukturen an den Kubismus der frühen 20er-Jahre. Für Rautenberg, der bereits 2007 in der Overbeck-Gesellschaft vertreten war, stehen aktuell Buchstaben, Zeichen und Worte im Fokus, die er als bildnerisches Motiv nutzt und mit Dispersionsfarbe direkt auf die Wand malt, wie bei „?“ im Innenraum oder „Gartenteile“ an der Außenwand. Den in Waren/Müritz geborenen Bildhauer Thomas Judisch inspirieren dagegen natürliche Werkstoffe wie Holz, Erde oder Feuer für seine Skulpturen. Sein Objekt „Wie ein Riese im Birkenwald“ zeigt kleine, auf dem Boden liegende an Birkenstämme erinnernde Bronzehölzer.

Als verbindendes Element zum nächsten Raum dient seine Bronze- und Toninstallation „Es war einmal/Liebling, es wird bald wärmer“. Ein Arrangement aus gestapelten Holzscheiten, einem Baumskelett und einem Sack. Annabelle Fürstenaus kleinformatige Fotoserien aus ihrem floralen Zyklus „Blüten und Blätter“ dekorieren die Wände. Was auf den ersten Blick wie kryptische Zeichen auszieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als fragile Teilchen vom Wiesen-Löwenzahn und der Gewöhnlichen Pestwurz. In akribischer Feinarbeit hat die Künstlerin diese Pflanzen seziert, Blüten und Blätter nach Größe und Form geordnet, fotografiert und als Inkjet-Prints gedruckt.

Im dritten Ausstellungsraum dominiert die Kreide- und Kohlezeichnung „ohne Titel“ des Grafikers Olrik Kohlhoff, seit 2008 Dozent an der Kieler Muthesius-Hochschule. Die etwa 200 x 300 cm große, in abgestuften Schwarz-Grau-Weiß-Tönen gehaltene, fast fotorealistische Zeichnung erzählt vom friedlichen Leben im Wald: Im Unterholz frisst eine Rotte Wildschweine auf dem Boden liegende Äpfel. Eine idyllische Szenerie, die sich jedoch zum Alptraum entwickelt, denn in zwei Erdhöhlen liegen und hocken Menschen. Sind sie vergraben worden? Verstecken sie sich im Wald? Fressen die Wildschweine nach den Äpfeln auch die Menschen? Voll versteckter Symbolik ist auch „Jahreszeiten“ der Russin Ekaterina Ezhkova. Ihre in Tempera und Aquarell auf Stoff gemalten weiblichen Figuren symbolisieren die vier Lebensabschnitte des Menschen. Beide Arbeiten komplettiert die Installation „Nimmerlücke“ der Japanerin Yukari Kosakai. An der Decke hängen mit Schläuchen verbundene Schalen, durch die - dank einer elektrischen Pumpe - rot gefärbtes Wasser in einem stetigen, sprich lückenlosen Kreislauf zirkuliert.

Im oberen Stockwerk läuft die Videoinstallation „Figurarse“ von Michael Kress. Für den Film bat er Mitglieder eines Beach Clubs für mehrere Minuten mit entspanntem Gesichtsausdruck und geschlossenen Augen vor der Kamera zu posieren. Im Außenbereich flimmert zwischen Efeu versteckt der Videoclip „Anything But“ der TallBlondLadies, Anna Berndtson und Irina Runge, die einen Bergaufstieg in luftiger Kleidung und auf Rollschuhen performen.

Da die Gesamtpräsentation die Ausstellungsfläche des Pavillons gesprengt hätte, wurden der Garten und die Diele des Museum Behnhaus Drägerhaus in die Schau einbezogen. Im Museum hängt jetzt die Fotoserie „Always the same faces“ der Fotokünstlerinnen Kaja Grope und Karin Kreuder, die den Alltag philippinischer Seeleute auf den Containerschiffen und deren Leben mit ihren Familien dokumentiert. An sechs Hörstationen im Garten kann der Besucher einzelnen Episoden aus Arne Sommers unvollendeten Roman „Die Eisinseln“ lauschen. Als Sprecher fungieren Bodo Primus, Uta Dänekamp und Tammo Kaulbarsch. Die Stipendiaten der Bereiche Musik und Performance sind keineswegs vergessen worden. Das musikalische Ensemble reflexion K und das schwedisch-deutsche Performanceduo TallBlondLadies treten im Begleitprogramm des Kunstvereins auf.

Last but not least soll die Gruppe „Am Montag“ genannt werden. Kenan Darwich, Nils Küppers und René Siegfried zeichnen verantwortlich für das Plakat, die Einladungen und den umfangreichen Katalog, der Texte, Fotoportraits und biografische Daten enthält.

Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Ausstellung ergab sich aus folgender Situation: Im Jahr 2009 wurde die Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein in Kiel gegründet. Die Stiftung vergibt Arbeitsstipendien an junge professionelle Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Literatur und Theater. Voraussetzung ist, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in der Region haben. Alle ausstellenden Künstler gehören den Jahrgängen 2009 und 2010 an, die noch vom damaligen Ministerium für Bildung und Kultur finanziert wurden – jetzt Ministerium für Justiz, Kultur und Europa. Mit der Vergabe von Stipendien fördert die Landesregierung den künstlerischen Nachwuchs, zeitlich und finanziell, und gibt ihm die Chance, sich auf dem aktuellen Kunstmarkt - abseits vom Mainstream - zu positionieren. Die Ergebnisse dieser Förderung präsentiert jetzt die aktuelle Ausstellung. Als Veranstaltungsort wurde der Lübecker Kunstverein gewählt, der seit seiner Gründung 1918 die künstlerische Avantgarde und zeitgenössische Moderne fördert. Newcomer in der Kunstszene sind die jungen Kreativen aus Schleswig-Holstein inzwischen allerdings nicht mehr. Über die Landesgrenzen hinaus populär geworden, sind sie auf zahlreichen nationalen Ausstellungen präsent. Ob die aktuelle Stipendiaten-Ausstellung aus der Region der Anfang einer kontinuierlichen Ausstellungsreihe wird, bleibt spekulativ. Wünschenswert wäre es.

Die Regionale 1 – „Aus der Region“ ist bis zum 2. September 2012 in der Overbeck-Gesellschaft/Kunstverein Lübeck, Königstraße 11, in 23552 Lübeck zu besichtigen.
Kurator der Ausstellung ist Sönke Kniphals.
Ein Katalog ist erhältlich.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 - 17 Uhr
www.overbeck-gesellschaft.de


Header: Videostill aus Michael Kress, figurarse, (The Members of the Aqaba Beach Club), HD-Video, Farbe, ohne Ton, 2009. Foto: Christel Busch.
Galerie:
01. Yukari Kosakai, Nimmerlücke, Schlauch, Plastik, Holz, Pumpe, Wasser, Tinte, 2012. Foto: Christel Busch
02. Thomas Judisch, Es war einmal/Liebling, es wird bald wärmer, gebrannter Ton, Bronze, 2011. Foto: Overbeck-Gesellschaft
03. Olrik Kohlhoff, ohne Titel, Kreide/Kohle, 2011. Foto: Overbeck-Gesellschaft
04. Benjamin Mastaglio, ohne Titel, Öl auf Leinwand, 2012. Foto: Christel Busch
05. Arne Rautenberg, ?, Dispersionsfarbe auf Wand, 2012. Foto: Christel Busch
06. TallBlondLadies, Anything But, Video, Loop, Stereo, 16:9, 2006/2012. Foto: Christel Busch
07. Annabelle Fürstenau, Blatt aus der Serie Blüten/Blätter, Inkjet-Prints, 2012. Foto: : Overbeck-Gesellschaft
08. Ekaterina Ezhkova, Jahreszeiten, Tempera, Aquarell auf Stoff, 2010. Foto: Christel Busch
09. Malte Esser, Der Künstler mit seinem Werk ohne Titel, Webteppich/Kelim, 2012. Foto: Christel Busch.

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