NewsPort - Kunst & Kultur aktuell

Film
Die Heiratskandidaten langweilen sie unendlich, die junge Frau fühlt sich eingesperrt auf dem idyllischen Landsitz der Familie, träumt von fernen exotischen Ländern, Indien oder Persien. Sie fleht den Vater an, sie gehen zu lassen. Schließlich stimmt Sir Hugh Bell (David Calder) ihren Reiseplänen zu: Gertrudes Onkel, Sir Frank LaCelles (Mark Lewis Jones) ist britischer Botschafter am Hofe von Schah Naser ad-Dan in Teheran.

Galerie - Bitte Bild klicken
Die neue Umgebung ist für Gertrud wie ein Märchenland. Botschaftssekretär Henry Cadogan (James Franco) zeigt ihr Basare und Oasen, sie teilt seine Leidenschaft für persische Poesie und die schroffe Schönheit der Natur. Es entwickelt sich bald schon eine tiefe Beziehung zwischen den beiden. In Henry hat die unkonventionelle Protagonistin endlich den ersehnten Seelenverwandten gefunden. Bei einem ihrer Ausritte macht er Gertrude einen Heiratsantrag. Als Unterpfand seiner Liebe schenkt Henry ihr die Hälfte einer antiken Münze, die andere Hälfte trägt er stets bei sich. Doch das Glück währt nur kurz. Hugh Bell hat Erkundigungen eingezogen. Cadogan ist als Spieler bekannt und hoch verschuldet. So jemand kommt als Ehemann nicht in Frage. Gertrude reist nach England, um ihren Vater umzustimmen, doch bevor sie eine Entscheidung zwischen Liebe und Familie treffen muss, erhält sie einen Brief aus Teheran: Henry ist tot, angeblich ein Unfall. Gertrude ist überzeugt, dass er sich das Leben genommen hat: In dem Umschlag befindet sich seine Hälfte der Münze.

Eine feministische Version von „Lawrence of Arabia”? Regisseur Werner Herzog mag es gar nicht, wenn man seinen Film mit dem von David Lean aus den Sechziger Jahren vergleicht. Zwar gibt es biographische Berührungspunkte, aber der koloniale Blickwinkel hat etwas störend Gönnerhaftes. “Königin der Wüste” ist genau das Gegenteil. Was die Protagonistin auszeichnet, ist ihre Achtung vor dem Fremden, sie will es erforschen, verstehen, nicht es sich untertan machen oder zivilisieren. Wie die meisten wusste Herzog nicht einmal, wer Gertrude Bell war bis ein aus Syrien stammender Freund, ihm die Kopien ihrer Briefe und Tagebüchern schickte. Die furchtlose Engländerin war ihrer Zeit weit voraus. Als sie die Heimat in Richtung Orient verließ, gab es noch nicht das Frauenstimmrecht und an der Universität Oxford mussten die ersten weiblichen Studenten zum Teil mit dem Gesicht zur Wand gedreht in den Vorlesungen sitzen, um die männlichen Kommilitonen nicht durch ihre Reize abzulenken. Kritiker monieren, dass der Regisseur den Gefühlen zu viel Raum gibt und nicht Bells Rolle als politische Beraterin und Angehörige des „Secret Intelligence Service“ im Ersten Weltkrieg. Vergessen scheint, dass Herzog sich schon immer dem „Cinéma vérité“ verweigerte und der Einschätzung, dass die Kamera Authentizität reproduzieren könnte. Selbst in seinen Dokumentarfilmen wie „Die Höhle der vergessenen Träume” (2010) geht es ihm um die eigene Perspektive auf den Gegenstand.

Der Nahe Osten: unser Kopf ist so voll von Kriegsbildern, zerbombten Städten, Diktatoren, Drohnen, Flüchtlingen. Der Begriff Nahost verbindet sich fast automatisch mit dem Wort Konflikt. Wie es früher einmal war, bevor das Osmanische Reich zerfiel, genau davon erzählt Werner Herzog. Drei Jahre nach Henrys Tod bricht Gertrud zu einer Reihe waghalsiger Expeditionen auf, nur von ihrem treuen Diener Fattuh (Jay Abdo) und einer kleinen Karawane begleitet. Die unerschrockene Historikerin und Archäologin will die Gewohnheiten der Beduinen erforschen. Offiziell stehen die rivalisierenden Stämme zwar unter türkischer Befehlsgewalt, führen in der Wüste aber ein autarkes Leben unter der Herrschaft ihres jeweiligen Scheichs. Die türkischen Behörden und Militärpatrouillen umgeht Gertrud geschickt. Der umsichtige Fattuh hat für alle Fälle eine gefälschte Erlaubnis besorgt. Das britische Militär ist nicht begeistert über den riskanten Alleingang der Lady. Doch der britische Vizekonsul in Damaskus, Major Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis) bewundert Gertrudes Mut. Er lässt sie ziehen und macht ihr zum Abschied ein ganz besonderes Geschenk. Sie wird es später ohne zu zögern einem Beduinen-Scheich als Geste ihrer Ehrerbietung überreichen. Zwischen dem verheirateten pflichtenbewussten Offizier und der eigenwilligen ruhelosen Ethnologin entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Statt Briefe, die von ihren entlegenen Reisestationen kaum die Zivilisation erreichen würden, schreibt Gertrude für Charles ein Tagebuch.

Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes”, 1972) gehört zu den ganz Großen des internationalen Kinos, das stellt niemand in Frage. Aber wie kein anderer Regisseur scheint er Filmkritiker zu provozieren. Sicherlich ist es nicht seine Absicht, wohl eher ein unvermeidbarer Kollateralschaden. Die Rezensenten reagieren auf seine Filme wie auf einen persönlichen Angriff, entwickeln dabei zuweilen ein besonderes Talent, den Künstler misszuverstehen. „Fitzcarraldo”(1982) wurde in Cannes gefeiert, „Cobra Verde” (1987) stieß jedoch in Deutschland auf moralisches Entsetzen. Vielleicht war das Publikum noch nicht bereit, die Schwelle des Ekels leichtfertig zu überschreiten, nur um exzentrischen Machtbesessenen die Stirn zu bieten. Jetzt endlich nach Jahrzehnten halsbrecherischer apokalyptischer Exploitation-Spektakel werden Albträume aus Gewalt, Blut, Schrott und Grauen wie in „Mad Max” als ästhetisch virtuos akzeptiert. TV-Serien wie „Breaking Bad” haben den Geschmack entscheidend verändert. Viele jener Szenen in “Cobra Verde” würden heute vielleicht anstandslos passieren, damals hielt die Zeitschrift ‘konkret’ das bildgewaltige Ausbeutungs-Epos quasi für eine Fortführung von Leni Riefenstahls “Triumph des Willens”. Im Magazin „Der Spiegel“ schrieb Hellmuth Karasek: „zur Kinski-Schmiere verkommender Faschismus” und „klappriges Herrenmenschentum, geritten auf der alten Mähre Kinski”, „das Ungeheuerlichste: wenn Herzog Schwarze zu Dekor-Zwecken einsetzt”.

Doch nun hat der 72jährige Regisseur ein anderes Tabu verletzt und wider Erwarten einen angeblich „konventionellen” Film gedreht. „Herzkino” heißt es voller Verachtung. „Königin der Wüste” ist ein wunderschöner elegischer Klassiker und Gertrude Bell im Grunde ein sehr einsamer Mensch. Zweimal verliebt sie sich auf jene verzweifelte tiefe Art, die ein Leben für immer zerstören kann. Aber sie zeigt eine bemerkenswerte Würde und Stärke, vielleicht gerade weil sie dem Tod so nah war. Auf ihre Art ist sie störrischer als jener Fitzcarraldo, der davon träumt im peruanischen Dschungel ein Opernhaus nach dem Vorbild des „Teatro Amazonas“ in Manaus zu errichten und den Sänger Enrico Caruso zu engagieren. Es sind nicht die typischen Waffen der Frau, mit denen die Engländerin kämpft, sondern die einer poetischen Visionärin. Nichts kann sie von ihrer Mission abbringen, auch wenn Gertrude damals noch nicht ahnen konnte, dass sie nach dem ersten Weltkrieg maßgelblich an der Entstehung des heutigen Nahen Ostens beteiligt sein würde. 1921 steckte sie die Landesgrenzen ab zwischen dem neuen Königreich Irak (vormals Mesopotamien), Jordanien, Palästina, Syrien und Saudi Arabien. Auf ihre Empfehlung hin wurde Emir Faisal, der die arabischen Stämme gegen die Osmanen geeint hatte, zum König Iraks erklärt.

Die Protagonisten in Herzog Spielfilmen waren oft laute ungebärdige Kerle, die ihr Schicksal mit einem ungeheuren Kraftaufwand zu erzwingen versuchten. Diese Frau zehrt im Gegensatz zu ihnen von einer stillen fast übersinnlichen Kraft, dem tiefen unbeirrbaren Glauben, das Richtige zu tun. Sie besitzt eine natürliche Autorität, die Beduinen begegnen ihr mit großem Respekt als wäre sie eine von ihnen. Ihre Waghalsigkeit zeugt von immensen Selbstbewusstsein. Werner Herzog unterläuft damit seine eigenen monströsen Führerfiguren, die er uns bisher präsentierte, jene besessenen Exzentriker. Was mag die Botschaft dahinter sein? Es geht dem Autorenfilmer nie um das Extreme als Solches, Wüste, tosende Flüsse oder der undurchdringliche Dschungel stehen für innere Landschaften. Jede Expedition ist auch eine Suche nach sich selbst. So überwältigend und rein war die Natur selten zuvor wie in diesem Film, Kamera: Peter Zeitlinger („Begegnungen am Ende der Welt”, 2007). Gedreht wurde in Jordanien und Marokko. Es gibt ein Ölbild von der achtjährigen Gertrude Bell, sie steht neben ihrem Vater. Verblüffend die Ähnlichkeit mit Nicole Kidman. Das Heroische ist bei Herzog nicht Privileg der Männer. In seinem Dokumentarfilm „Land des Schweigens und der Dunkelheit” schildert er das Dasein der 56jährigen taubblinden Fini Straubinger und in „Schwingen der Hoffnung” Juliane Koepcke, die als Einzige einen Flugzeugabsturz im peruanischen Urwald überlebt.

Nicole Kidman steht die Überlegenheit der Gertrude Bell. Sie widersetzt sich gekonnt dem Phänomen Alter. Eine Kunstfigur oder zeitlose Lichtgestalt, Einzelgängerin wie fast alle Protagonisten Herzogs. Die Einsamkeit der Wüste tröstet sie über die eigene Einsamkeit hinweg. Auf ihren Expeditionen folgt sie keiner Landkarte. Sie bereist Palästina, Syrien und Arabien, durchquert Salz- und Sandwüsten. In der antiken Hethiter-Stadt Karkemisch trifft sie auf ein britisches Archäologen-Team, zu dem auch der junge T. E. Lawrence (Robert Pattinson) gehört. Der ironische, scharfzüngige Lawrence ist „Gertie” wie er sie nennt, sofort sympathisch. Keiner von beiden ahnt, das er im Leben des anderen noch eine Rolle spielen wird. Der verschroben clevere Junge ist das Gegenteil von einem Peter O’Toole als Lawrence von Arabien. Gertrude wagt sich vor nach Jabal al-Druze im Süden Syriens, dem unerforschten Territorium des kriegerischen Drusen-Stammes. Ihre nächste Expedition führt sie in die „verbotene Zone”, wo sie den kriegerischen Clan der Ibn Raschid und deren Emir treffen will, den selbst ernannten Anführer der Araber. 1914 erreicht Gertrude durch die Nefud-Wüste das Ha’il, das Hauptquartier der Ibn Raschid und wird gefangen genommen.

Gertrude Bell starb in der Nacht zum 12. Juli 1926, zwei Tage vor ihrem 58. Geburtstag, an einer Überdosis Schlaftabletten. Sie ist in Bagdad begraben - der Stadt, in der sie das irakische Nationalmuseum mit aufgebaut hat und bis heute als „Mutter des Iraks” verehrt wird. In der britischen Botschaft steht noch immer ihr Schreibtisch.

Datenschutzhinweis

Diese Webseite verwendet YouTube Videos. Um hier das Video zu sehen, stimmen Sie bitte zu, dass diese vom YouTube-Server geladen wird. Ggf. werden hierbei auch personenbezogene Daten an YouTube übermittelt. Weitere Informationen finden sie HIER

Originaltitel: Queen of the Desert
Regie: Werner Herzog
Darsteller: Nicole Kidman, James Franco, Damian Lewis, Robert Pattinson
Produktionsland: USA, Marokko, 2015
Länge: 129 Minuten
Verleih: Prokino Filmverleih
Kinostart: 3. September 2015

Fotos & Trailer: Copyright Prokino Filmverleih

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.