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Film
Er hat sich bei einer Titelgeschichte über Kinderarbeit an der Elfenbeinküste nicht an die Fakten gehalten, kreierte aus den Berichten mehrerer Betroffener einen Protagonisten. Tragisch, denn vom literarischen Standpunkt überzeugt „Is Youssouf Malé a Slave?” als klassische amerikanische Erzählung in der Tradition von Ernest Hemingway oder Truman Capote. Verzweifelt versucht sich der Autor herauszureden, er habe mit seinem Artikel das Leben junger Menschen retten wolle, das Beste herausgeholt, was ging. Oder ein eher billiger Versuch: „Sie sagten, ich sollte die Geschichte ausschmücken.” Seine Vorgesetzte entgegnet nur kühl: "Ich sagte ausschmücken, nicht ausdenken.”

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Michael fliegt bei der NY Times raus, verkriecht sich tief deprimiert im verschneiten Montana bei seiner Freundin Jill (Felicity Jones), die dort in einem Universitätsarchiv arbeitet. Ihm gelingt es nicht einmal mehr, den profansten Auftrag zu ergattern, doch dann erhält der Autor einen seltsamen Anruf aus Oregon, der sein Leben verändert. Christian Longo (James Franco), ein bis dahin unauffälliger Familienvater, wird wegen Mordes an seiner Frau und seinen drei Kindern gesucht. Die Polizei nimmt den Flüchtigen zwei Monate später in Mexiko fest, er hat sich dort als Journalist Michael Finkel ausgegeben. Den Beamten gibt der charmante wortgewandte Longo unmissverständlich zu verstehen, dass es nur einen Menschen gibt, dem er seine Geschichte anvertrauen wird, dem Reporter, dessen Identität er angenommen hat. Michael kann dem Angebot nicht widerstehen, er wittert einen Scoop, glaubt so seinen lädierten Ruf wiederherstellen zu können. Jill ist entsetzt.

Der einstige Starreporter fühlt sich geschmeichelt, die erste Frage an seinem Gegenüber gilt deshalb auch nicht der Tat, sondern der eigenen Person, warum er grade ihn gewählt hat. Chris behauptet, alles von ihm gelesen zu haben, es sei, als wenn er ihn kennen würde. So glücklich wie als Michael Finkel war er selten zuvor gewesen. Der mutmaßliche Mörder bietet dem nach Erfolg gierenden Autor einen Faustischen Pakt an: er verspricht ihm die Exklusiv-Rechte, im Gegenzug soll Michael ihm das Schreiben beibringen. „Ich werde Ihnen die Wahrheit erzählen, nur ihnen. Obwohl, sie spielt sowieso keine Rolle mehr,” erklärt der Inhaftierte. Das klingt scheinbar resigniert, weit gefehlt. Jeder Satz des eloquenten Chris ist eine gut getarnte Falle. Der Journalist tappt prompt hinein und entgegnet brav: „Die Wahrheit spielt immer eine Rolle.” Der Film basiert auf Michael Finkels Report „True Story: Murder, Memoir, Mea Culpa”. Das Drehbuch schrieben Rupert Goold und David Kajganich. Mit virtuosem Geschick entwickeln sie die Dialoge, ohne viel vom eigentlichen Hergang der Morde zu verraten. Im entscheidenden Moment des Gesprächs heißt es: Schnitt. So befindet sich der Zuschauer in einer ähnlichen Lage wie Michael, zwar ist der völlig in Anspruch genommen von dem psychologischen Duell mit seinem Kontrahenten, aber ungeduldig fiebert er der Auflösung des Rätsels entgegen. Obwohl uns der Ausgang des Prozesses bekannt ist, schmälert es die Spannung nicht.

Eine Antwort auf die Frage, ob er die Tat begangen hat, bleibt Chris dem Reporter schuldig. Es entwickelt sich ein ungewöhnliches Katz- und Mausspiel, wobei lange offen bleibt, wer welche Rolle spielt. James Franco („127 Hours”) als Christian Longo hat etwas subtil Furchteinflößendes, man spürt, dieser Mann kalkuliert wohl überlegt jeden Schritt wie einen Schachzug. Er überhäuft den Journalisten mit einem kaum abreißenden Strom von Informationen, Zeichnungen, fühlt Seite für Seite mit Details, als wolle er jede Sekunde seines Daseins rekonstruieren und führt Michael damit bewusst in die Irre. Chris hat sich längst jenen minuziösen Stil angeeignet, der Finkels Artikel über den jungen Afrikaner so unwiderstehlich macht. Wohlgemerkt, jener Youssouf war eine rein fiktive Figur, deren Gedanken wir nur fälschlicherweise zu kennen glaubten. Die Wahrheit, auch wenn sich alles darum dreht, ethisch, moralisch, juristisch, mutiert zum Phantom. Chris spricht bewusst manchmal etwas schleppend, leise, manieriert, stilisiert sich als ein fast artifizielles Geschöpf, egomanisch bis zum Exzess, er kennt weder Mitleid, Empathie noch Verständnis. Genau diesen übersteigerten Narzissmus wird er später vor Gericht zum Beweis seiner Schuldunfähigkeit anführen. Immer wieder versucht er Michael das Gefühl zu vermitteln, sein Komplize zu sein, suggeriert Gemeinsamkeit und Schuld („Wer ist schon der, der er sein will”). Zuletzt endet selbst Jill in dem Netz seiner Intrigen und Lügen.

Schwer nachvollziehbar, warum grade Jonah Hill den in Ungnade gefallenen Reporter spielt, da er physisch so gar nicht dem schlanken Michael Finkel ähnelt. Nützt es ihm als Protagonisten oder der Message des Film, wenn er ein wenig tölpelhaft oder einfältig rüberkommt? Im Gegenteil, so steht der Gewinner bei diesem Machtkampf schon früh fest. Mit seinen riesigen Brillengläsern wirkt der Journalist wie ein tapsiger übergewichtiger Junge, der typische weltfremde Nerd. In Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street” an der Seite von Leonardo DiCaprio war er perfekt besetzt genau wie in Bennett Millers „Moneyball”. Chris und Michael mögen grundverschieden sein, eitel aber sind sie beide. Ob es ihnen gefällt oder nicht, sie sind einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert: eine erschreckende symbiotische Beziehung. Das psychologische Kammerspiel ist in kühlen, fast klinischen Farben inszeniert, vermeidet jede Art spektakulärer Gewaltszenen. Der Tod eines Kinder wird symbolisiert durch einen Teddy, der in Zeitlupe zu Boden fällt. Und doch lässt grade manchmal die Abwesenheit von Gewalt, das Blut in der Adern frieren. Die eigene Fantasie beginnt auf Hochtouren zu arbeiten, jede Abweichung von der Normalität wird so plötzlich zur potentiellen Gefahr. Es ist ein schwieriges Manöver für Regisseur Rupert Goold auf der einen Seite jene dunkle Seite des Journalismus zu entlarven und auf der anderen sie durch das Genre Dokudrama zu bedienen.

Eine wahre Geschichte heißt das magische Zauberwort der Branche, Fiktion ist erlaubt, und doch bleibt der Anspruch auf Authentizität. Entfernt erinnert „True Story- Spiel um Macht” an Truman Capotes „Kaltblütig”. Unvergesslich Philipp Seymour Hoffman in der Rolle des Schriftstellers in Bennett Millers Verfilmung. Michael musste sich dem Angeklagten gegenüber verpflichten, nichts vor Prozessende zu veröffentlichen. Chris spricht davon, jemanden schützen zu müssen. Dann vor Gericht behauptet er plötzlich, seine Frau hätte zwei der Kinder getötet. Nichts von dem, was er hier vorträgt, hat er je dem Reporter gegenüber erwähnt. Diese Art die Wahrheit zu verdrehen, Michael hat es ihm beigebracht, ohne zu ahnen, was er tat. Chris lächelt, zwinkert ihm vertraulich zu. Der Journalist begreift, der Täter hat nur mit ihm gespielt, ihn benutzt. Doch noch hat er selbst einen Trumpf parat.

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Originaltitel: True Story
Regie: Rupert Goold
Darsteller: Jonah Hill, James Franco, Felicitiy Jones
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 99 Minuten
Filmverleih: 20th Century Fox Deutschland
Kinostart: 6. August 2015

Fotos & Trailer: Copyright 20th Century Fox Deutschland

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