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Architektur

Der Letztere war die Lichtgestalt der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts und hat in den 1950er- und 60er-Jahren sein Spätwerk abgeliefert. Chandigarh die neue Reissbrett-Hauptstadt des Punjabs (Indien) war in den 1960ern der große Abschlussbericht seiner „Urbanistik“ und „kommenden Baukunst“. Seine Kirchenskulptur Notre-Dame-du Haut de Ronchamp wurde1955 geweiht, Schneider-Eslebens aufstrebende Kuppel der Düsseldorfer Rochuskirche fast gleichzeitig. Ein Jahr später trafen sich beide in Berlin für die Planungen des Berliner Hansaviertels. Schneider-Eslebens möglicherweise wichtigstes Bauwerk ist dem Auto gewidmet: eine Großgarage (1953). „Der Spigel“ nannte die Haniel-Garage „einen eleganten, leichten und vollkommen transparenten Bau mit einer schwebenden, aufgehängten Zufahrtsrampe. Er traf den Nerv der Nachkriegszeit, in der der Auto-Boom gerade begann!“ Die Architekturqualität ist immerhin noch heute nach der Sanierung so überzeugend, dass ein Hersteller von Luxusautos dort seine Gebrauchten präsentiert.

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Auf den Spuren von Le Corbusier?
Auch bei Le Corbusier ist nie so richtig deutlich geworden, ob er lieber fürs Auto geplant als für die Menschen gedacht hat. Beiden ist die Liebe zu einem weiteren schnellen Verkehrsmittel nachgesagt worden. Le Corbusiers städtebauliche Gedankenwelt entsteht aus der Sicht des Flugzeuges (vor dem Krieg) für Südamerika, später für Chandigarh, Paul Schneider zu Esleben bekommt zwischen 1961-1971 eine Professur für Raumstruktur an der Hochschule für bildende Kunst (HfbK) in Hamburg. Er fliegt mit dem Flugzeug wöchentlich nach Hamburg und übernachtet im Hotel Atlantic. „Der Spiegel“ nennt ihn deshalb „Schneider-Jetleben“.
Ein Makel bleibt aber leider von „PSE“ gegenüber „Corbu“ bestehen. Er hatte in einem Zeitverzug von einem halben Jahrhundert zu wirken, er ist kein „Hochmoderner“, sondern Spätgeborener, was für die Reputation und Ehre keine Gnade war und ihn möglicherweise der Ruf eines „Me To“ anhängt. Nicht viel anders gestaltet sich das Verhältnis zum Vorbild Mies van der Rohe. Schneider-Eslebens möglicherweise prägnantester Entwurf, das Mannesmann-Hochhaus in Düsseldorf (1954-58), steht im Dialog mit Mies van der Rohes nordamerikanischen Skyscraper-Entwürfen. Beide Helden haben sich gegenseitig besucht und gewürdigt. Und trotzdem ist es denn doch so: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“, denn den deutschen Nachkriegsarchitekten hat man trotz ihrer Qualität in der Welt keine Altäre mehr gebaut. Und in Deutschland selbst geriet PSE mitten in den „Düsseldorfer Architekturstreit“, weil ausgerechnet der Architekt Friedrich Tamms (1904 – 1980), aus dem ehemaligen Dunstkreis von Albert Speer der erste Nachkriegsstadtbaurat in Düsseldorf wurde und die Nachwuchsarchitekten darunter litten, dass Düsseldorf zu einem Zentrum der ehemaligen Nazi-Prominenz wurde.

München kann mit vielen Archivarien, Plänen und Modellen protzen
So wurde es denn Zeit, Paul Schneider von Esleben zu seinem 100. Geburtstag und zehn Jahre nach seinem Tod endlich einmal der breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Weil sein Nachlass 2006 an das Architekturmuseum der TU München vergeben wurde, startet man dort mit einer sehenswürdigen Rundumshow die bis heute einzige Retrospektive. Es ist die Ausstellung eines vielseitigen Architekten, der ein außerordentlich begabter Zeichner und ein vielseitiger Designer war und Möbel und Schmuck entwarf – was nun in einer weiteren starken Parallele zu Le Corbusier steht.

Scheider-Esleben ist der Typus des beseelten Generalisten. Was seine Architektur betrifft, arbeitet er technisch und konzeptuell gleichzeitig. Einen Schlüssel für die Entwicklung des Internationalen Luftverkehrs liefert er 1971 mit dem Flughafen Köln-Bonn. Auch wenn sich die dezentrale Abfertigung in seinen sternförmigen Terminals nicht weltweit an den Großflughäfen durchgesetzt hat – für mittlere Anlagen ist es nach wie vor die schönste Orientierung kurze und intime Wege und Wartezonen zu haben. Und auch was die Materialien betrifft, geht er voran, und er wird zum Protagonisten des Stahlbetonbaus (wie am Kölner Airport) und mit dem Mannesmann-Hochhaus baut er den ersten Stahlskelettbau mit Vorhangfassade in Deutschland und liefert eben einen ernstzunehmenden zu Hochhäusern in Manhattan und Chicago.

Ausstellung im Eins zu Eins
Bei der am letzten Sonntag in Düsseldorf an zwei Standorten eröffneten Ausstellung handelt es sich um ein ganz anderes Konzept: nicht im musealen Schatzhaus, sondern mehr oder wenig in der angesprochenen Architektur selbst und öffentlich im Stadtraum wurde der Prototyp einer „barrierefreien“ Ausstellung eröffnet. Dabei wird das Mannesmannhochhaus (heute NRW-Wirtschaftsministerium) zum größten Exponat der Ausstellung im Maßstab 1: 1. Unter dem Titel „Ikone des Wirtschaftswunders“ wird hier die Geschichte des Bauwerks am Original vermittelt. Das Mannesmann-Hochhaus hat sicher endgültig dazu beigetragen, dass der Düsseldorfer Architekturstreit schließlich zu Gunsten der Jungen entschieden wurde und in den 1950er Jahren der Hauch einer Chance bestand, in Deutschland wieder an die internationale Architekturszene anzuschließen. Immerhin war Mies van der Rohe bei einem Besuch sehr angetan.
Interessant ist auch noch eine andere Parallele. So wie zu Bauhauszeiten für die Umsetzung von Stahlrohrmöbeln des Mies van der Rohe es einen intensiven Austausch mit den Werkstätten der Junkers-Flugzeugwerke gab, so entwickelte sich zwischen Mannesmann und PSE eine Art Joint Venture, Stahlrohrsysteme von MM einzusetzen, die bis dahin im Hochhausbau nicht üblich waren. Mit Hilfe von USA-Patenten wurde ein Muster entwickelt, das bis heute das Haus prägt.
Ein Teil der Ausstellungsinstallationen steht jetzt in der Lobby des Hochhauses, auch das Zwischengeschoss ist im Original zu besichtigen. Nach Absprache auch der Blick aus dem 21. Geschoss, der an manchen Tagen bis Köln reicht. Da das Haus fein, intelligent und energiesparend rekonstruiert wurde, leistet dieses Live-Ausstellung vor allem eins: eine Gänsehauterinnerung an die 1960er Jahr und – wie ich registriere – , auch eine Rehabilitierung nach Fehlinterpretationen aus den 1950er Jahren. Heute wird der Zeitgeist von damals verstanden, PSE bringt ihn u.a. mit den feinen Profilen der Treppengeländer bis zum Blumentopf für den damals modernen Gummibaum herüber.
Das Hochhaus wurde nicht nur aufgrund seines neuen Erscheinungsbildes, sondern auch wegen der viele technischen Neuerungen für das Unternehmen zu einem Aushängeschild für eine neue Unternehmenskultur.

Der Künstlerarchitekt
Thematisch wird der Maßstab einer Architekturausstellung im positiven Sinne gebrochen: Im Zwischengeschoss zeigt Benjamin Zibner seine fotografische Spurensuche auf dem französischen Landsitz Ramatuelle von Paul Schneider von Esleben, wo im Künstleratelier eine integrierte Spannung zwischen eigenen Artefakten und dem Bau zu notieren ist. Im Begleitprogramm finden Veranstaltungen wie das gut eingeführte Format des „Architekturquartetts“ statt (27. August, 19.00 Mannesmannhochhaus). Und um das Hochhaus herum werden im Stadtraum am Rhein großformatige Plakate unter dem Titel „PSE plant“ mit nicht verwirklichten PSE-Entwürfen gezeigt – diese Megaprojekte werden den ein oder anderen Düsseldorfer provozieren. Der zweite, größere Teil der Ausstellung ist im Haus der NRW-Architektenkammer unter dem Titel „Die Marke PSE _ Architektur zwischen Architektur und Abriss“ zu sehen – dort in der Lobbyhalle kommt die eigens entwickelte kubistische Installation für Texte, Bilder und Videos besonders gut zur Wirkung.
Die Düsseldorfer Ausstellungen präsentieren insgesamt das widerborstige Multitalent von allen Seiten: PSE hatte eine das Künstler-Gen und Künstler-Eltern. In der väterlichen Linie Schneider gab es seit vielen Generationen Bild- und Altarschnitzer. „Daher schickte der Großvater auch seine sieben Söhne auf die Düsseldorfer Kunstakademie, um Bildhauerei zu studieren. Der Vater, Franz Schneider, betätigte sich zunächst als Porträtmaler, dann als Bildhauer, bevor er 35-jährig in Karlsruhe das Architekturstudium aufnahm“ schreibt Kuratorin Ursula Kleefisch-Jobst. Zeit seines Lebens hatte Paul Schneider von Esleben also zwei Seelen in seiner Brust. Was dessen Erbe betrifft, hat er keine Architekten hinterlassen, sondern einen Popstar der eigenen Güteklasse (Florian, Ex-Kraftwerk) und eine Designerin (Claudia), die, gemeinsam mit anderen, in den 1980er-Jahren im Hamburger Schanzenviertel mit einer eigenwilligen Designlinie namens „Möbel per du“ Furore gemacht hat.

In Bezug auf die moderne Architektur mag Paul Schneider-Esleben ein Nachzügler gewesen sein – aber als Persönlichkeit und ‚dichte Packung’ ist er in Deutschland nachdem Krieg ziemlich unerreicht geblieben – Le Corbusier hin oder her.

Paul Schneider von Esleben. Architekt 

München: bis 18.10.2015 Pinakothek der Moderne
Öffnungszeiten:
 Di - So 10 - 18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr
Kuratorin: Regine Hess.
Ein umfangreicher Katalog zur Ausstellung in München mit Illustrationen und wissenschaftlichen Aufsätzen verschiedener Autoren erscheint bei Hatje Cantz.

Paul Schneider von Esleben – das Erbe der Nachkriegsmoderne
Düsseldorf: bis 25. September 2015 (Mannesmannhochhaus), bis 23. September 2015 (Haus der Architekten)
Öffnungszeiten: Mo – Do von 9 – 18 Uhr, Fr von 9 – 17 Uhr geöffnet. Sonderöffnung an den Sonntagen 13. und 20. September 2015 von 10 – 18 Uhr
Ausstellungskonzept Paul Andreas, Düsseldorf und Ursula Kleefisch-Jobst, M:AI,
Kuratoren Paul Andreas, Düsseldorf mit Karen Jung, M:AI
Für die Düsseldorfer Ausstellung gibt das M:AI ein Magazin heraus, reich illustriert mit aktuellen Fotografien der Bauten von Thomas Mayer und historischen Aufnahmen u. a. von der bekannten Fotografin Inge Goertz-Bauer.


Abbildungsnachweis.
Header: Haniel-Garage, Nachtbild. Foto: Thomas Mayer
Galerie:
01. Paul Schneider-Esleben, Privatbesitz: Claudia Schneider-Esleben, Hamburg
02. Mannesmann Haus, Düsseldorf, 1958. Landesarchiv NRW. Foto: Inge Goertz-Bauer
03. Mannesmann Haus, Düsseldorf, 21. Etage. Foto: Thomas Meyer
04. Kirche St. Rochus, Düsseldorf. Foto: Thomas Meyer
05. Rolandschule (Hofseite), Düsseldorf. Foto: Thomas Meyer
06. Haus Zindler, Düsseldorf, 1966-67. Landesarchiv NRW. Foto: Inge Goertz-Bauer
07.
Flughafen Köln-Bonn, 1970. Foto: Köln-Bonn Airport08.
08.
Punkthochhaus der Commerzbank, Düsseldorf, 1962. Foto: Thomas Meyer
09. ARAG-Stufenhochhaus; Detail, Balkenkopf,1967. Abriss: 199. LandesarchivvNRW. Foto: Inge Goertz-Bauer
10. Aussegnungshalle, Hückelhoven-Baal. Foto: Thomas Mayer
11. NewYork, 1956, Aquarell. Archiv Claudia Schneider-Esleben
12. NewYork, 1956, Tuschezeichnung. Archiv Claudia Schneider-Esleben
13. Ausstellungssystem PSE (Rendering)

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