Literatur
Umberto Eco, 2011 Buchmesse Frankfurt, Heike Huslage-Koch

Ein norditalienischer Schriftsteller und Sprachwissenschaftler, Bestseller- und Kinderbuchautor, Verfasser der in Deutschland als „Streichholzbriefe“ bekannten Zeitschriftenkolumnen, von Berufs wegen Semiotiker, Literaturkritiker, Universitätsprofessor, Medienjongleur, -wissenschaftler und -theoretiker, aus der katholischen Kirche ausgetretener, mehrfach erklärter Berlusconi-Gegner, vor allem aber ein großer Kopf: Ein wahrhaft weltoffener, europäischer, (selbst-) kritisch- und querdenkender, leidenschaftlich engagierter Intellektueller, das war Umberto Eco (1932-2016).

Ihm verdankt die Wissenschaft nicht nur eine bahnbrechende „Einführung in die Semiotik“ von 1975 – zuvor wusste kaum jemand, dass es eine Zeichenlehre überhaupt gibt – und die kulturell-akademische Aufwertung von massentauglichen Serienhelden wie James Bond, sondern auch subtil ironische, dabei (oder dadurch?) hilfreiche und durchweg unterhaltsame Bücher, z.B. wie man eine akademische Abschlussarbeit zu verfassen hat, sowie Begriffe wie „das offene Kunstwerk“, „die Intention des Lesers“ oder „die Grenzen der Interpretation“.
Schon einmal gehört?

Auf jeden Fall schrieb Eco mit seinem Mittelalter-Krimi „Il nome della rosa“ (dt. „Der Name der Rose“, 1982) im Jahr 1980 nicht nur die Vorlage für Jean-Jacques Annauds bekannte gleichnamige Verfilmung (1986) mit Sean Connery in der Hauptrolle des fiktiven „William von Baskerville“, sondern auch Kulturgeschichte: Der intertextuell und multilingual verschachtelte sowie mit zahlreichen literarischen und historischen Referenzen gespickte Roman gilt als ein Paradebeispiel für den Beginn der literarischen Postmoderne.

Eingerahmt ist dieses Werk, das Eco den internationalen Durchbruch bescherte, von einer Reihe anderer Bücher über Fernsehquiz-Sendungen (1961), unterforderte Verleger („Das Pendel von Foucault“, 1988), einen Ritter namens „Baudolino“ (2000), einen alten Buchhändler (2005) oder über den „Friedhof in Prag“ (2010). Darunter befinden sich auch Abhandlungen über die Kulturgeschichte des Schönen (2004) und des Hässlichen (2007) oder sein letztes Werk, die Mediensatire „Nullnummer“ (2015), die dem Leser gesellschaftliche Zustände wie die Korruption in Italien sowie das zähe Erbe des Faschismus bewusst macht.

Der Mitbegründer diverser Zeitschriften sowie der neoavantgardistischen Künstler- und Intellektuellengruppe „Gruppo 63“ – eine italienische Entsprechung zu der deutschen „Gruppe 47“ –, Sympathisant der Sprache Esperanto, langjähriger Verlagslektor, Fernsehmitarbeiter und lachender Berufsskeptiker, fühlte sich von den Schriftstellern James Joyce und Jorge Luis Borges maßgeblich beeinflusst.

Die englische Sprache, sagte der Piemonteser öfter, habe er vor allem am Beispiel amerikanischer Comics und durch seine Lektüre der Werke von James Joyce („Ulysses“) gelernt. Damit fing er früh an: Während seines Studiums der Philosophie und Literatur des Mittelalters an der Universität Turin improvisierte der junge Student aus Begeisterung über das z.T. ausgefallene Vokabular des irischen Romanciers ein mehrstimmiges und mehrsprachiges Radio-Experiment mit verschiedenen Sprechern und Sprachen. Das avantgardistische Sendeformat arbeitete u.a. mit elektronisch verfremdeter Sprache, um Joyce’ literarische Strukturierung des berühmten Sirenen-Kapitels nach dem musikalischen Prinzip einer Fuge an den Zuhörer zu bringen. Liebhaber hierfür fanden sich in den frühen 1950-er Jahren freilich eher nicht in Ecos italienischer Heimat, sondern nur im damals künstlerisch wohl aufgeschlosseneren Belgien, denn nur dort wurde es je gesendet. Später hatte Eco dann reichlich Gelegenheit, sein Englisch als Gastprofessor in den USA, etwa an den Universitäten Columbia, Harvard, Bloomington oder New York University, aufzupolieren.

Nach dem Medienrummel um sein folgenträchtigstes Hauptwerk „Der Name der Rose“, das in Deutschland den u.a. im Italienschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 1988 erkennbar gewordenen sogenannten „Eco-Effekt“ auslöste, rief der kosmopolitische Allrounder Eco just in dem Jahr an der Universität Bologna ein weiteres ungewöhnliches transkulturelles Kulturprogramm über die „Anthropologie des Westens“ aus der Sicht von Nicht-Westlern ins Leben. In einem kollaborativen Rahmen veranstaltete das intellektuelle Multitalent einen Konferenzzyklus, der an diversen Orten in China, Mali, Europa und Indien ausgetragen wurde, um den Ost-West-Dialog sowie die internationale Verständigung auf breiter akademischer Ebene netzwerkartig zu fördern.

Vergangenen Freitagabend verstarb dieser vielseitige, widerständige Mann, der 1962 die deutsche Illustratorin, u.a. als Lehrerin an der Deutschen Schule in Mailand sowie als Kunst- und Museumsdidaktikerin tätige Renate Ramge geheiratet und einen Sohn und eine Tochter mit ihr hatte, an einer Krebserkrankung in seiner Wohnung in Italien im Alter von 84 Jahren. Sein kritischer, rebellischer und nachdenklicher Humor, seine ironische Skepsis und sein Sinn für geistreich doppelbödige Unterhaltung auf höchstem Niveau werden in der italienischen, europäischen und internationalen Kulturszene fehlen. Wer wird nun für „Freiheit und Gerechtigkeit“ („Libertà e giustizia“) – so der Name einer Oppositionsgruppe, die Eco 2002 in spielerisch-paradoxaler Namensverkehrung der historischen, gegen Mussolini kämpfenden Partisanen-Gruppierung „Giustizia e libertà“ mit Freunden und Gleichgesinnten im Berlusconi-bedrohten Italien gründete – ebenso vehement, gekonnt und überzeugend wie der Träger von weltweit 39 Ehrendoktorwürden streiten: „Ecco: Eco!“?

Hoffen wir auf weitere Geschenke des Himmels: Der Nachname „Eco“ bedeutet auf Deutsch wohlgemerkt nicht nur „Echo“, sondern soll sich als Akronym vom lateinischen Ausdruck „ex caelis oblatus“ – wörtlich ein „Geschenk aus den Himmeln“ – ableiten. Ein städtischer Beamter verlieh ihn Ecos Großvater, der ein Findelkind gewesen sein soll. Wenn das nicht erfunden ist, so ist es allemal hervorragend ausgedacht oder einfach nur: ein Glücksfall der Geschichte.

Abbildungsnachweis:

Header: Umberto Eco auf der Frankfurter Buchmesse, 2011. Foto Heike Huslage-Koch

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