Theater - Tanz
David Bennent - Trommler, Wortverkäufer, Schauspieler. St.Pauli Theater. Foto: Jin Rakete

David Bennent spielt am St. Pauli-Theater den schwindsüchtigen Edmund in Eugene O’Neills autobiographischem Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“.
Isabelle Hofmann sprach mit dem Schauspieler über Kindheitstrauma, Leistungsdruck, den Papst und das Verlangen nach einem Leben als Wortverkäufer in Kasachstan.

Isabelle Hofmann (IH): Eugene O’Neill schildert die Hölle der Schauspielerfamilie, in der er aufwuchs: Die Beziehungen sind vergiftet durch gegenseitige Verachtung und Schuldzuweisungen, durch Geiz, Morphiumsucht und Alkohol…

David Bennent (DB): Wir spielen das Stück nicht auf so eine destruktive und hoffnungslose Art. Besonders Ben und ich gehen etwas freier miteinander um.

IH: Ben Becker, der Ihren kraftprotzenden, versoffenen Bruder Jamie spielt, stammt wie Sie aus einer Schauspielerfamilie. Sie schöpfen beide aus dem Vollen.

DB: Vor allem kennen wir uns sehr lange und verstehen uns sehr gut. Wir haben einen Riesenspaß miteinander auf der Bühne zu stehen. Das kommt auch rüber. Ben und ich als Brüder, so etwas darf man sich nicht entgehen lassen!

IH: Sie selbst haben eine ältere Schwester, Anne Bennent, die auch schon als Kind vor der Kamera stand. Kennen Sie nagende Eifersucht?

DB: Nein. Als meine Schwester anfing, Filme zu machen und Theater zu spielen, habe ich sicher mal auf ihre Arbeit geschielt, aber als Konkurrentin habe ich sie nie empfunden.

Eines langen tages, st. pauli theaterIH: In O’Neills Stück beklagt sich die Mutter bitter über das Leben in billigen Hotels an der Seite ihres geizigen Gatten. Sie macht das unstete Schauspieler-Dasein auch für die Trunksucht der Männer verantwortlich. Wie war das in Ihrer Familie?

DB: Wir waren auch sehr viel unterwegs. So ein Leben ist schwer als Kind. Aber es waren nicht die schlimmsten Hotels, in denen wir wohnten. Mein Vater hat immer versucht, die Familie gut unterzubringen. Und die Male, an denen ich ihn betrunken erlebt habe, kann ich an einer Hand abzählen.

IH: Mary hasst das Vagabundenleben. Wie war das bei Ihrer Mutter?

DB: Meine Mutter war eine freie Frau, die aus Liebe ihrem Mann gefolgt ist. Sie war stark und intelligent genug, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie es wollte. Meine Schwester wohnt heute in einem sehr idyllischen Haus bei Wien. Großer Garten, gleich dahinter der Wald. Ihr Sohn wird jetzt 14 und findet den Wald nur noch öde. Was ich sagen will: Es fehlt einem immer irgendetwas.

IH: Ein Heim hatten Ihre Familie ja: Ein Sommerhaus, wie die Tyrones, aber sicher schöner. Sie schilderten öfter, wie glücklich Sie auf Mykonos waren.

DB: Ja, natürlich! Es hat mir sehr gefallen, sechs Monate nackt am Strand herumzutoben und mit den Fischerjungen im Meer zu baden. Ich bin sehr dankbar, dass meine Eltern das gemacht haben. Ich hatte gute Eltern!

IH: O’Neill hat sein Kindheitstrauma in dem Stück verarbeitet. Ist Ihnen ein Stück oder eine Rolle auch schon mal wie eine Therapie vorgekommen?

DB: Das ganze Leben ist eine Therapie! Man lernt jeden Tag, jeden Moment. Durch das Stück versteht man ziemlich viel. O’Neill hat unheimlich unter seinem Vater gelitten, aber er hat dieselben Fehler gemacht: Er hat seine Kinder terrorisiert! Daran denke ich oft: Bloß die Fehler nicht zu wiederholen, unter denen man selbst gelitten hat.

IH: Wollen Sie denn Kinder?

DB: Bisher hat es sich nicht ergeben, aber ich bin neugierig auf alles.

IH: Das Drama der Tyrones ist ja, dass sie sich im Grunde lieben, aber Schicksalsschläge verdrängen. Gab es in Ihrer Familie auch Tabu-Themen?

DB: Gott sei Dank nicht. Meine Eltern waren immer sehr offen mit uns. Ich finde es schlimm, wenn man weiß, da ist etwas in der Familie, aber keiner traut sich darüber zu reden. Wenn es dann rauskommt, wird es ganz furchtbar. Ich kann nur hoffen, dass die Kinder von Günter Grass wussten, dass ihr Vater Mitglied der Waffen-SS war und es nicht aus seinem Buch erfahren mussten.

IH: Sie wurden jahrelang mit Oskar, einer Figur von Grass identifiziert. War die Verfilmung der „Blechtrommel“ für Sie im Rückblick Fluch oder Segen?

DB: Ehrlich gesagt, beides! Der Film hat mir Türen geöffnet. Aber der ganze Rummel drum herum ging mir furchtbar auf die Nerven. Ich bin ja nicht der einzige Mensch, der 1,55 Meter groß ist. Bei Danny DeVito, Prince und Leonard Cohen spricht keiner über die Größe. Aber ich hatte dieses Problem wegen dieser Rolle. Heute sage ich: Die „Blechtrommel“ ist ein Klotz am Bein – aber ein goldener Klotz.

IH: Das haben auch andere. Romy Schneider verließ Deutschland, um das Sissy-Image loszuwerden. Wann kam Ihr Befreiungsschlag?

DB: Eigentlich gleich. Ich habe Glück gehabt, weil mein Vater mich die ersten Jahre geschützt hat. Er hat entschieden, dass der zweite Teil nicht gedreht wird, obwohl die Produzenten sehr scharf darauf waren. Später habe auch ich gesagt, lasst mich in Ruhe damit, ich will das nicht. Ich erinnere mich noch, wie der Film in Cannes vorgestellt wurde und welche Angst ich vor den Menschenmassen hatte. Ich fühlte mich erst wieder sicher, als mein Vater mich auf den Arm nahm. Und dann diese aggressive Skandalpresse! Die wollten von mir immer herausbekommen, dass Volker ein Pädophiler ist und ich vergewaltigt wurde. Deshalb bin ich auch froh, dass ich zum Theater gegangen bin. Der ganze äußerliche Quatsch im Filmgeschäft interessiert mich überhaupt nicht.

IH: Ihr Vater erzählte mal, wenn er sich nicht gut genug fand, hätte er vor Wut und Verzweiflung geheult. Hat er den Leistungsdruck weitergegeben?

DB: Anfangs war er schon sehr streng. „Wenn Du es machst, dann mache es bitte auch gut“, hat er gesagt. „Blamiere mich nicht.“ Aber er war nie destruktiv. Er wusste genau, dass man mit zu viel Druck auch alles zerstören kann.
Er hat mir alles über den Beruf beigebracht. Und natürlich ist er mit mir auch Rollen durchgegangen. Er hörte jeden falschen Ton, jeden falschen Rhythmus. Das hat mir sehr geholfen.

IH: Also doch Druck!

DB: Mein Vater war sehr anspruchsvoll und hat viel von uns erwartet. Aber, wenn ich unglücklich bei einer Arbeit war oder Schwierigkeiten am Theater hatte, dann hat er sich mit mir aufgeregt und mir beigestanden. Er hat uns immer unterstützt. Das hat mich angespornt und mir Kraft gegeben.

IH: Sie haben oft mit Ihrem Vater auf der Bühne gestanden. Hatten Sie jemals Angst vor seinen Augen nicht bestehen zu können?

DB: Nein. Mein Vater sagte immer: „Macht was ihr wollt. Hauptsache, Ihr seid glücklich“.

IH: Sind Sie glücklich?

DB: Was heißt Glück? Mit dem Wort muss man aufpassen. Ich bin gesund, mir geht es gut und ich bin auf eine Art und Weise glücklich, weil ich jede Freiheit habe, das zu machen was ich möchte. Darüber bin ich sehr dankbar. Ich kann meinen Beruf so ausüben wie ich will, ohne dass mir jemand dazwischen quatscht.

IH: Sie haben 2007 erstmals wieder einen Film mit Volker Schlöndorff
gedreht: „Ulzhan“, ein hochpoetisches Roadmovie über einen Franzosen, der zum Sterben nach Kasachstan fährt und auf dem Weg zwei ungewöhnliche Menschen trifft. Was haben Sie Schlöndorff gesagt, als er mit dem Skript ankam?

DB: „Nach 30 Jahren – endlich!“

IH: Warum hat es so lange gedauert?

DB: Ich denke, weil dieser Abszess noch nicht geplatzt war. Dieser eingekapselte Wunsch, den zweiten Teil der „Blechtrommel“ zu machen. Dadurch war unsere Freundschaft eine Zeit lang unterbrochen.

IH: Die Rolle des Schamanen Shakuni ist Ihnen wie auf den Leib geschrieben. Man hat den Eindruck, Sie mussten sich gar nicht verwandeln.

DB: Ich lehne mich da schon sehr aus dem Fenster. Als ich in Kasachstan mit dem Motorrad durch die Steppe fuhr, hatte ich auch mal kurz daran gedacht, einfach dort zu bleiben.

IH: Shakuni hat ein paar ausgefallene Wörter im Kopf und verkauft sie gegen einen Liter Milch und ein paar Eier.

DB: Wie schön wäre es, so etwas wirklich zu leben. Die vollkommene Freiheit.

IH: Sie halten nicht viel von Regeln und Konventionen, stimmt‘s?

DB: Wenn man sich hier unsere Politiker anguckt?! Wie wir veräppelt werden, immer neu und immer hinterhältiger! Wie der Wulff sich benommen hat! Da würde ich gern auf die Straße gehen und die Leute auffordern, keine Steuern mehr zu zahlen. Eigentlich müsste ich mich auf den Mond schießen lassen oder wirklich in die Wüste gehen. Aber das kann ich nicht, weil ich so gerne auf der Bühne stehe. Also muss ich Kompromisse machen.

IH: Im Film kommen Sie gerade noch rechtzeitig zu Ihrem sterbenden Vater. Wie war das bei Ihrem eigenen Vater – waren Sie bei ihm als er starb?

DB: Leider nicht. Ich war in Frankreich bei den Dreharbeiten zu „Michael Kohlhaas“. In unserem letzten Telefongespräch sagte mein Vater: „Ich weiß nicht, ob ich noch auf dich warten kann. Aber wenn ich vorher gehe, weiß ich, Du bist auf Deinem Pferd.

IH: Fehlt er Ihnen?

DB: Ja. Was mir am meisten fehlt, sind die langen Telefonate, die wir hatten. Ich konnte mit ihm über alles sprechen und über alles schimpfen, das geht jetzt nicht mehr.

IH: Sind Sie eigentlich ein gläubiger Mensch?

DB: Ich weiß, dass mich die Person Jesus nicht kalt lässt. Aber an die verlogene Institution, die diese Geschichte benutzt hat, glaube ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass ein 85-jähriger Greis in seinem Papa-Mobil einen Anarchisten wie Jesus vertreten kann. Aber die Bibelgeschichten finde ich schön und es imponiert mir, was Ben Becker mit seiner Bibel-Show macht. Da kommen Kids zu Ben, weil sie ihn als Schauspieler klasse finden und gehen mit ein paar geilen Geschichten wieder raus. Das finde ich in Ordnung. Das ist auch eine Art von Wortverkauf.


David Bennent wurde 1966 als Sohn des Schauspielers Heinz Bennent und der Tänzerin Paulette Renou in Lausanne (Schweiz) geboren. Mit seinem Vater und seiner Schwester Anne Bennent stand er schon als Kind vor der Kamera. Einen Großteil seiner ersten Jahre verbrachte die Familie auf Mykonos (Griechenland). Bennent besuchte nur kurz eine Schule, die meiste Zeit unterrichtete ihn die Mutter. Frühen Ruhm erlangte er 1979 durch die Rolle des Oskar Matzerath in Volker Schlöndorffs Roman-Verfilmung „Die Blechtrommel“ von Günter Grass. Wegen seiner geringen Körpergröße dachte der leidenschaftliche Reiter zunächst an eine Karriere als Jockey, übernahm dann aber eine Rolle bei Patrice Chereau an der Comèdie Francaise in Paris, wo er von 1990-1997 zum Ensemble von Peter Brook gehörte. In Deutschland trat er erstmals als Narr in Shakespeares „König Lear“ 1985 an der Schaubühne Berlin auf. Später war er fest am Berliner Ensemble engagiert. Mit seinem Vater tourte er u.a. in Becketts „Endspiel“ und einem Hölderlin-Abend durch ganz Europa.

„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ läuft bis zum 29. April (außer Mo.),
im St. Pauli-Theater Hamburg, Spielbudenplatz 29,
Karten unter Tel.: (040) 4711 0666

Fotonachweis: (c) Jim Rakete
Header und Galerie: Ausschnitte aus „Eines langen Tages Reise in die Nacht, St. Pauli-Theater.

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