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Die Finanzmärkte kommen nicht zur Ruhe, die Schuldenberge wachsen ins Unermessliche und kaum einer kennt noch die Mitverursacher.
Den texanischen Energie-Konzern „Enron“ beispielsweise, der vor zehn Jahren 70 Milliarden Dollar verheizte. Lucy Prebble hat den bislang größten Firmenskandal in der US-Geschichte zu einem Wirtschaftskrimi verarbeitet, der Ross und Reiter beim Namen nennt. In „Enron“ an den Hamburger Kammerspielen spielt Martin Semmelrogge bis zum 25. September den größenwahnsinnigen Finanzchef und Bilanzfälscher, der die Schuldenberge in einem ausgeklügelten System aus Schattenunternehmen versteckte.
Isabelle Hofmann (IH): Herr Semmelrogge, beim Piraten-Open-Air in Grevesmühlen spielten Sie gerade den legendären Freibeuter Stede Bonnet, als Enron-Finanzchef Andrew Fastow steigen Sie nun wieder in die Sphären der Wirtschaftskriminalität auf. Fällt die Umstellung schwer?
Martin Semmelrogge (MS): Das ist nicht ganz einfach, ich muss mich ziemlich zurück nehmen. Als Pirat kann ich ordentlich auf den Putz hauen. Aber hier steht nicht der charmante Bösewicht im Vordergrund, sondern ein Zahlengenie. Die Rolle muss man seriös spielen.
IH: Nach „Das Geld anderer Leute“ (2009) ist „Enron“ das zweite Stück, in dem Sie einen Finanzhai spielen. Wie viel muss man als Schauspieler von Geldgeschäften verstehen, um sie glaubhaft über die Bühne zu bringen?
MS: Ich verstehe jetzt schon so ungefähr, wie das System funktioniert. Der kleine Mann wird immer wieder überrumpelt. Lieber drei Mal nachfragen, bis man es kapiert, anstatt sich bescheißen zu lassen – das habe ich gelernt.
IH: Wenn Sie eine Million Euro anzulegen hätten, würden Sie noch Aktien kaufen?
MS: Ich würde die Million lieber in etwas Schönes investieren. In einen Aston Martin oder einen Porsche zum Beispiel.
IH: Das ist doch keine Anlage…
MS: Doch, klar. Auch Autos können Dividende bringen, wenn man die richtigen kauft. Ich könnte mir aber auch vorstellen eine Ranch in den USA zu kaufen und zu bewirtschaften. Irgendwas, damit ich unabhängig bin und nicht das machen muss, was mir irgendjemand sagt.
IH: Andrew Fastow wollte auch unabhängig sein. Jetzt steckt er seit sechs Jahren in Louisiana im Knast wegen Betrug, Geldwäsche und Konspiration. Inwieweit ist es für Sie ein Unterschied eine reale oder eine fiktive Person zu spielen?
MS: Hier weiß man, dass nichts erfunden ist. Das ist für die Authentizität toll. So ein Typ kommt immer wieder auf die Füße. Der berät sicher schon den Knastdirektor bei dessen Geldanlangen.
IH: Was würden Sie Fastow fragen, wenn Sie könnten?
MS: Ich würde ihn fragen, wo die 45 Millionen sind, die er zur Seite geschafft hat.
Ich habe den falschen Beruf! Aber, was soll’s. Geld ist auch nicht alles. Diese Managertypen sind keine faszinierenden Helden. Das sind alles ziemlich kalte Leute. Die denken ja noch, sie haben was Gutes für die Firma getan.
IH: Jahrelang systematisch Bilanzen zu fälschen und Schrottaktien zu verkaufen schafft nicht jeder. Nötigt so etwas auch Bewunderung ab?
MS: Was heißt Bewunderung?! Es macht eher Angst, dass solche Leute an der Spitze stehen, die keine Verantwortung haben für die Welt. Smart ist ja okay, aber so smart, dass man mehr als 20.000 Leute um ihre Existenz bringt, ist ein verdammt schmutziges Geschäft. Pfui!
IH: Sind Leute wie Fastow süchtig?
MS: Klar, das sind Spieler. Die brauchen kein Geld. Die wollen Geld, das ist der Unterschied. Zu Hause sind sie der liebe Vater und in der Firma lassen sie die Leute über die Klinge springen. Wenn man aufsteht und nur glücklich ist, wenn man am Tag eine Million macht, ist das Sucht. Adrenalin pur. Als wenn man im Rennwagen sitzt. Viele haben ja auch Probleme mit dem anderen Geschlecht. Sex hat nichts mehr mit Liebe und Eroberung zu tun, nur noch mit Kaufen.
IH: Ein Phänomen unserer Zeit.
MS: Richtig, heute kauft man sich alles. Aber wenn man nicht auf der richtigen Schule war, ist man schon nicht mehr dabei. Wie viel Jugendliche hängen in Warteschleifen rum, weil sie auf den falschen Schulen waren und zu Hause keine Vorbilder hatten.
IH: Sind Sie Vorbild für Ihre Kinder?
MS: Ja, schon. Ich bin fleißig. Ich habe nie jemandem auf der Tasche gelegen – das werde ich auch nicht tun, weil ich es ganz schrecklich finde abhängig zu sein. Und meine Kinder haben gelernt, dass man auch kämpfen muss. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Wenn man auf die Schnauze fliegt, muss man auch wieder aufstehen.
IH: Sie haben selbst vorgemacht, wie das geht. Sie saßen mehrmals im Gefängnis.
MS: Ja, und jetzt werde ich immer auf Knast, Alkohol und angebliches Fahren ohne Führerschein reduziert. Dumme Sensationsgeschichten. Dabei trinke ich seit 1999 keinen Tropfen Alkohol mehr und ich fahre nur noch in Spanien Motorrad, dort, wo ich auch wohne.
IH: Sie haben diese Sensationsgeschichten aber auch angeheizt. Zum Beispiel mit der Boulevardblattserie „Deutschlands wildester Star packt aus“.
MS: Damit habe ich mein Buch, meine Biographie verkauft. Ich lebe ja auch von meinem Image, sonst wäre ich nicht so interessant für die Leute. Dabei habe ich nur ein paar Punkte in Flensburg. Doch sobald ich irgendwo auftauche, zeigt mich jemand an. Die Polizisten sollten hingehen, wo es Verbrechen gibt und nicht Prominente jagen.
IH: Nach dem letzten Zusammenstoß mit der Polizei haben Sie sich bei Ihren Fans entschuldigt. Warum nicht bei Ihren Kindern?
MS: Für die Fans tut es mir Leid. Denen kann ich ja nicht erklären, wie es wirklich war. Meine Kinder sind erwachsen, die wissen genau, dass der Staat mit zweierlei Maaß misst. Einige schlagen hier die Leute halbtot und kriegen auf Bewährung, andere begehen Ordnungswidrigkeiten, weil sie mit einem EU-Führerschein fahren, der in Deutschland angeblich nicht anerkannt ist und werden gleich als Schwerverbrecher hingestellt. Das sind keine Bürgergesetze, das hat mit Sinn und Verstand nichts zu tun. Die Gerechtigkeit ist oft eine Farce.
IH: Haben Sie eigentlich Mitleid mit Andrew Fastow? Der sitzt immerhin seit sechs Jahren hinter Gittern.
MS: Wieso soll er mir Leid tun? Der kommt bestimmt reich wieder raus. Ich wünsche keinem im Knast zu sein. Aber im Grunde ist Knast wie ein Kloster. Da ist alles weg. Da hat man wirklich Ruhe. Man kann in Ruhe lesen, man kann in Ruhe über alles nachdenken. Es war eine interessante Erfahrung für mich. Man sieht alles relativer. Viel gelassener und cooler. Auch Krankheit und Tod.
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