Was ist eigentlich Freundschaft? Wie entsteht sie? Was hält langjährige Freunde zusammen? Was kann sie trennen? Was ist bei Freundschaft anders als bei Liebe? Gilla Cremer geht dem in ihrem neuen Soloabend nach, den Gerd Bellmann musikalisch unterstützt. Premiere für einen Nachdenk-Abend der Extraklasse in den Hamburger Kammerspielen.
Am Ende, da ist es mucksmäuchenstill in den Hamburger Kammerspielen. Am Ende des neuen Stücks von Gilla Cremer, als ihr Ausloten des Begriffs „Freundschaft“ bei den letzten Dingen angekommen ist. Als einer von vier erzählten Lebenswegen zu Ende geht. Und ein grelles Licht fällt auf eine Dritte im Bunde, die aus ihrer Sicht vernünftig handelte und doch das Wesen Freundschaft so völlig missverstanden hat.
Drei Frauen holt Cremers Monolog auf die Bühne – Ruth, die Erzählerin, deren beste Freundin Niwea, und Britta, deren durchgeplantes Leben unerwartete Wendungen nimmt, und Knut, der wenig redet, viele Melodien im Kopf hat, aber immer und verlässlich da ist, wenn man ihn braucht.
In einen von einer Pause unterbrochenen Monolog von zwei Stunden passt viel Text, und doch wirkt der nur am Anfang etwas lang – wenn Gilla Cremer in einem Ritt durch die Jahrhunderte die Entwicklung von Freundschaft ein bisschen zu lexikalisch nachzeichnet. Das ist informativ, aber hinein gezogen in den Abend, bei dem Dominik Günther die Regie führt, wird man erst, wenn sie, im Kleinmädchen-Röckchen, vom erlebten Entstehen von Freundschaft spricht. Von den zarten Wurzeln der Faszination am Anderen, vom Vorbild, vom Bewundern. Wenig am Beginn von Freundschaft ist wirklich rational, und die Menge der Zitate aus Philosophie und Literatur zeigt vor allem, wie groß dieses Rätsel ist und wie sehr es kluge Köpfe zu immer neuen Aphorismen inspiriert hat. Klar wird schnell: Freundschaft ist kein Ponyhof.
Gilla Cremer gibt den Worten Raum zum Nachklingen, zum Gedanken-Anstoßen, zum Kramen in eigenen Erinnerungen. Man kann sich an diesen vier Lebenswegen reiben, man kann befreit lachen, manches hat hohen Wiedererkennungswert, manches ist einfach urkomisch. Es sind oft Einzelne, die im Publikum lachen – denn ein Geheimnis von Freundschaft ist immer das exklusiv gemeinsam Erlebte, das nur wenige Menschen teilen; und das ist – selbst bei gleichen zeittypischen Rahmenbedingungen – bei jedem etwas anderes. Erinnerungen sind Unikate.
Gemeinschaftsfähiger sind da schon die Musikfetzen und Songschnipsel, die Gerd Bellmann spielt und singt, oft zusammen mit Gilla Cremer, manchmal als akustische Beschwörung von Erinnerungen, manchmal als bissiger Kommentar zum gesprochenen Wort. Lieder zum Thema natürlich, Freundschaftslieder.
Starke Bilder mit drei Leitern und einem Seil
Auf der Bühne (Ausstattung: Eva Humburg) gibt es nur vier Requisiten, mit denen Gilla Cremer so scheinbar mühelos wie virtuos spielt: Drei Leitern unterschiedlicher Größe und ein kräftiges Seil machen Beziehungen, Entwicklungen, Ereignisse, Verstrickungen und Machtverhältnisse unmittelbar sichtbar, und es ist faszinierend zu beobachten, wie fein, passgenau und dabei doch fast beiläufig sie eingesetzt werden.
Der Abend spart nichts aus: Wir erleben das geheimnisvolle Aufblühen von Freundschaft, die oft irrational wirkenden Bindungsfäden, das Einrichten in einer nur den Freund/inn/en zugänglichen Symbolwelt. Das Scheitern mancher Freundschaftsversuche, das enge Verspinnen von Lebensfäden, die Bewährungsproben und Katastrophen, die Lebensfehler und Zumutungen, Gemeinsamkeiten, die Albernheiten und – selten – das überschäumende oder stille Glück einer tiefen Freundschaft. Erzählt dicht, mal schnodderig, mal nachdenklich entlang von runden Geburtstagen der Viererbande. Da bekommen die Erlebnisse dann hohen Wiedererkennungswert.
Am Ende ist es tatsächlich erst der Tod, der die Jahrzehnte währende Freundschaft zwischen Niwea und Ruth trennen kann, aber nicht auflösen. Diese letzte Station des Monologs lässt die Zuschauer überklar sehen, wie unterschiedlich Freundschaft verstanden werden kann. Und wie eine andere Freundschaft – die zu Britta – diese Bewährungsprobe nicht übersteht, allen Schwüren und Verbindungen zum Trotz.
„Freundschaft“ ist, wie alle Stücke von Gilla Cremer, kein Abend, den man leicht wegsteckt. Er klingt lange nach, ruft bei jeder und jedem im Publikum andere Erinnerungen wach, und stößt andere, sehr persönliche Gedanken an.
Großer Applaus am Schluss für Gilla Cremer und Gerd Bellmann nach zwei prallen Text- und Spielstunden. Hamburgs Theater-Unikat hat mit „Freundschaft“ ein großes neues Juwel im Repertoire, das es locker verträgt, mehr als einmal erlebt zu werden. Zusammen mit den besten Freund/inn/en, aber sicher auch allein.
# Freundschaft
Mit Gilla Cremer
Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9-11, 20146 Hamburg
Weitere Informationen
Nächste Vorstellungen: 12.9., 10.10., 11.12, jeweils 20:00 Uhr.
Kartentelefon Mo-Sa, 10-19 Uhr: (040) 4133 440.
Theaterkasse Mo-Sa 12-19 Uhr.
Online – jederzeit
Abbildungsnachweis: Alle Fotos Arno Declair
Header und Galerie: Szenen aus # Freundschaft.
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