Für ihn sei heute der perfekte Tag, gestand Martin Grubinger, nachdem der Applaus verklungen war. „Erst Konzert, dann Fußball, Deutschland gegen Frankreich. Dazu noch so schönes Wetter. Was will man mehr!“
Nun, vielleicht ein paar Bälle im gegnerischen Kasten? In Punkto Zusammenspiel und Timing könnte die deutsche Nationalmannschaft von dem genialen Schlagwerker und Bayern-Fan noch jede Menge lernen.
Die gut 75 hochkonzentrierten Minuten, die der Österreicher, begleitet von den Schlagzeugern Slavik Stakhov und Jürgen Leitner, sowie den Pianistinnen Ferhan und Ferzan Önder, den Hamburgern im großen Saal der Elbphilharmonie zu Gehör brachte, waren jedenfalls ungleich beglückender als die darauffolgenden 90 Minuten Gekicke plus Nachspielzeit.
Martin Grubinger gilt ja als Gute-Laune-Musiker. Sobald er seine Schlägel in der Hand hält und die ersten Töne der Marimba oder anderer Percussion-Instrumente erklingen, huscht fast immer ein Strahlen über sein Gesicht, das auf Mitspieler und Publikum ansteckend wirkt.
Dieses Mal jedoch war der Auftakt ungewöhnlich ernst und in seiner politischen Botschaft nicht zu verkennen: „Gezi Park 1“, ein aus drei Sätzen bestehendes symphonisches Werk für zwei Klaviere und Orchester, bearbeitet und gekürzt für zwei Klaviere und Percussion. Mit diesem Stück hat der aus Ankara stammende Komponist Fazil Say der brutal niedergeschlagenen Protestbewegung gegen die Regierung Erdogan ein unglaublich starkes musikalisches Denkmal gesetzt.
Beginnt der erste Satz „Evening“, (30. Mai 2013, Abend, Gezi Park Istanbul) leise und gedankenvoll, dabei durch eine melodische Linie des Marimbaphons durchaus hoffnungsvoll, verdüstert sich die Stimmung in „Night“ (Der Morgen des 31.Mai zwischen 2 und 5 Uhr) zu einem Unheil verkündenden Klaviersolo, bei denen die Männer hinter ihren Instrumenten abtauchen, während Grubingers Ehefrau Ferzan und ihrer Zwillingsschwester Ferhan den Tasten und Klaviersaiten beklemmende Töne entlocken.
„Police Raid (31. Mai, 5 Uhr morgens), der dritten Satz, gleicht einer Explosion. Wie Maschinengewehrsalven peitschen die Klänge durch den Raum und lassen die Brutalität der Polizei vor Augen stehen. Danach Ruhe, aber kein Frieden, obgleich der Epilog in hoher Lage vorsichtig optimistisch stimmt.
Im Anschluss ein brandneues Werk aus dem Hause Grubinger, erst am Abend zuvor in Hamburg uraufgeführt: „The Numbers of Fate“ (die Zahlen des Schicksals), an dem auch Grubinger Senior („der sie schön grüßen lässt“) mitgewirkt hat. Ein positiv gestimmtes, mitreißendes Stück mit unregelmäßigen Siebener-Rhythmen, das sofort die Atmosphäre im Saal verändert. Nun tobt ein bestgelaunter Berserker durch das Percussions-Arsenal, die Zwillinge wippen im Takt, und die ungestüme Spielwut der drei Schlagwerker an der baskischen Txalaparta (einem archaisch wirkenden Perkussionsinstrument aus sieben, unterschiedlich langen Vierkanthölzern, die mit senkrecht gehaltenen Stöcken geschlagen werden) wird mit einem Jubel quittiert, der glatt vergessen läßt, dass man sich in einem nur viertelvollen Konzertsaal befindet.
Als letztes Stück steht Fazil Says „Konzert für Percussion und Orchester op. 77“ auf dem Programm, eine Komposition, die Says eigens für Martin Grubinger geschrieben hat und die pure Schlagzeugklänge, bunte Orchesterfarben und folkloristische Elemente unerhört facettenreich vereint.
Als Zugabe warten „Grubinger & Friends“ mit dem wohl meistgecoverten Tango aller Zeiten auf: Astor Piazollas „Libertango“, in einer hinreißenden Bearbeitung für Percussion und Klavier, die das Hamburger Publikum förmlich von den Sitzen reißt.
Ja, wohl wahr: „Die Musik ist Wiederauferstanden“, wie Martin Grubinger etwas pathetisch formuliert. Endlich wieder Konzert, endlich wieder Kultur- was für ein Genuss! Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Elbphilharmonie (wie auch alle anderen Kultureinrichtungen) ihre Raumkapazitäten bald wieder voll ausschöpfen dürfen.
Allerdings: So ohne jedes Gedränge an den Garderoben, auf den Toiletten und auf den Rollteppen ist auch nicht schlecht. Musikfreunde mit Neigung zur Klaustrophobie sollten jetzt buchen!
Martin Grubinger & Friends
Besetzung in der Elbphilharmonie am 14. und 15.06.2021:
- Martin Grubinger Schlagwerk
- Slavik Stakhov Schlagwerk
- Jürgen Leitner Schlagwerk
- Ferhan Önder Klavier
- Ferzan Önder Klavier
Programm:
- Fazıl Say
Gezi Park 1 für zwei Klaviere und Orchester op. 48 / Bearbeitung für zwei Klaviere und Perkussion
- Martin Grubinger
The Numbers of Fate (Uraufführung)
- Fazıl Say
Konzert für Perkussion und Orchester op. 77 / Bearbeitung für zwei Klaviere und Perkussion
Veranstalter: Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette / HamburgMusik
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