Was, wenn „Liebe“ nur ein freundliches Wort wäre für ihre eigene Unmöglichkeit? Nur ein Sammelbegriff für Sehnsüchte, die unerreichbar sind in einer Gesellschaft, deren Verhältnisse nun mal nicht so sind, dass sich Individuen stressfrei begegnen und entfalten dürfen? Nur ein Etikett für ineinander verstrickte Lebensläufe, die mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie immer schneller hin zu einem schwarzdunklen Ende drängen?
Im kleinen Saal der Elbphilharmonie ist im Rahmen des Musikfests Hamburg zu besichtigen, was übrigbleibt, wenn die Liebe zerbröselt.
Genau das hat Philipp Maintz‘ düstere Kammeroper „Thérèse“, destilliert aus Emile Zolas Roman „Thérèse Raquin“, zum Sujet. Aus einer unseligen Kindheit wird Thérèse in eine tief unbefriedigende Ehe hineingedrängt. Der Versorgung wegen, als Arbeitskraft im Laden ihrer Tante, der Mutter ihres lebensängstlichen Ehemanns, und um den Anschein von halbwegs heiler Familie zu wahren. Der vom Wiederauftauchen Laurents, eines halbseidenen, sexbesessenen Künstlers leicht zu knacken ist. Bald ist Camille, der Ehemann, nur noch im Weg. Thérèse und Laurent, zusammengehalten von ihrer Sehnsucht nach Wärme, von ihrer Gier nach Lust, sind bald ihr ständiges Geheimnistun von „Zieh dich aus!“ und „Wollen wir ins Bett?“ leid. Sie schmieden ein Mordkomplott, um endlich selbst heiraten zu können. Der finstere Plan gelingt zunächst, aber nun meldet sich ihr Gewissen. Zerrt immer furchterregender hervor, was doch verborgen bleiben sollte. Madame Raquin, die Mutter, erkrankt zwar zum Tode, kann sich die furchtbare Geschichte aber zusammenreimen. Immer größer wird die Bedrohung, die Zweckgemeinschaft zwischen Laurent und Thérèse zerbricht, Bezichtigungen, Gewalt, neue Mordgedanken brechen auf. Am Ende sind drei der vier handelnden Personen tot. Wie könnte die Liebe da überleben?
Es ist eine der stärksten Szenen von „Thérèse“, wenn kurz vor dem tödlichen Ende zwischen Laurent und „Thérèse“ noch einmal aufblitzt, was von der Liebe übrig ist: die verzweifelte Erkenntnis, was hätte sein können, wenn die helle Seite eine Chance bekommen hätte. Die Idee davon, woran man gescheitert ist. Und die klare Sicht auf das Ende einer finalen Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt.
Staatsopern-Intendant Georges Delnon hat das Stück – als Kooperation mit den Salzburger Osterfestspielen – inszeniert. Und zeigt glaubwürdig, wie in dem einen Raum sich ein Horrorkabinett zerstörter Gefühle auftut, ohne dass er dazu gewaltige Effekte brauchen würde. Delnon beherrscht die subtilen, durchdachten Details. Und je weniger Handlungs- und Fluchtmöglichkeiten das Bühnenbild (Marie-Thérèse Jossen) mit seiner Enge der Verhältnisse vorführt, desto verständlicher wird es, dass in ihnen Liebe sich zum Tod verkehrt. Fünf Kommoden, deren Oberflächen kleine Laufstege sind, ergeben eine zerstückelte Spielfläche, die wenig Raum für große Bewegung lässt. Die Möbel geben auch eine Ahnung davon, wieviel Ungesagtes noch in den Schubladen und hinter ihren Türchen lauert. Auf den fünf Stegen wird geschrieben, gegessen, gerudert, geschlafen, geschlagen, gemordet. Übersichtlich, alles im Rahmen einer bürgerlichen Ordnung, um die es offenkundig schlecht steht, wenn sie solche Ergebnisse hervorbringt. Ein Musiktheater-Beitrag zur #MeToo-Auseinandersetzung? Ganz bestimmt, wenn man sich das Gerangel der männlichen Besitzansprüche anschaut. Die verbale, aber auch die eruptive körperliche Gewalt gegen Thérèse. Den erbitterten Kampf um persönliche Unabhängigkeit. Die ständigen Verletzungen. Delnon braucht dafür kaum plakative Szenen, seine Darsteller schwimmen – einander mal näher, mal ferner - im Strom eines falschen Lebens, und er führt das mit einer hintergründigen Intensität vor, die einem manchmal den Atem raubt.
Das Libretto hat Otto Katzmeier verfasst, aus Zolas Worten komprimiert, ihnen nachempfunden. Obwohl die 90 Minuten ohne Pause durchgespielt werden, gibt es doch einige Längen. Es ist eben eine elende Quälerei, das Unglück anderer anzuschauen, das in jedem Zuschauerkopf andere, eigene Visionen freisetzen kann. Katzmeier singt auch den Laurent mit emotionaler Wucht, die der Fallhöhe von dessen Zusammenbruch glaubhaftes Format verleiht – wie überhaupt das hochkarätige Sängerquartett sich klar und verständlich durch die gewaltige Textmenge arbeitet: Marisol Montalvo als Thérèse, die – Opfer und Täterin zugleich - alle Spielarten des Unglücks vorführt, aber auch zeigt, dass unter der beherrscht wirkenden Oberfläche vergiftete Bosheit herangewachsen ist. Der verweichlichte Camille bekommt von Tim Severloh in hoher Stimmlage Kontur bis in den feuchten Tod hinein. Und ein Highlight ist Renate Behle mit ihrer Madame Raquin: klagende Verzweiflung, selbstverständliche Machthaberin, krankheitsgebeutelte Alte – Renate Behle singt und spielt das alles in wunderbaren Nuancen aus.
Für die sorgt sorgsam und präzise am Dirigentenpult Nicolas André. Seine zehn Hamburger Philharmoniker und Akkordeonistin Silke Lange spielen Maintz‘ Komposition so selbstverständlich, dass sie sich ohne große Auffälligkeiten und höhere Pulswerte ins Bühnengeschehen einfügt. Manchmal schwebt hier und da der Gedanke „Filmmusik“ durch den Raum, nicht unangenehm, sondern in Klangatmosphären, die illustrieren, was auf der Bühne geschieht. Wie sie es reflektieren, ob diese Reflektion auch beim Publikum ankommt, ob sie kommentiert, berührt, aufstört? Nach dem ersten Hören halten sich wenige solcher Momente im Gedächtnis – die Mordszene bei der Bootsfahrt auf der Seine, die hochaufgeladenen, beängstigenden, extrem ruhigen Minuten vor dem Ende der Tragödie.
Maintz, Jahrgang 1977, mit einem längeren Werkeverzeichnis und vielen Aufführungen, hat ein feines Gewebe gesponnen, ein Netz der aus Klängen, Klangflächen, allzu großen herausgestellten Affekten eher abhold: So erscheint das Drama der Thérèse Raquin trotz allen engagierten Einsatzes des Ensembles doch ein wenig blass und überlässt die Faszination am bitteren Geschehen eher Kriminalpsychologen als den Musik-Enthusiasten – sie ist umsichtige Organisatorin der Handlung, die Rückblenden und Vorausschauen leitmotivisch verknüpft. Nicht weniger, aber auch nur selten mehr. Dem sehr ordentlichen Applaus der Hamburger Premiere (im April war „Thérèse“ schon in Salzburg zu sehen und zu hören) stand das aber kein bisschen im Wege.
Philipp Maintz: Thérèse
Musikalische Leitung: Nicolas AndréInszenierung: Georges Delnon
Libretto von Otto Katzameier
Bühnenbild und Kostüme: Marie-Thérèse Jossen
Licht: Bernd Gallasch
Dramaturgie: Johannes Blum
Besetzung
Kartentelefon: +49 (0) 40 35 68 68
Musikfest Hamburg
Ort: Elbphilharmonie, Kleiner Saal, Platz der Deutschen Einheit 4, 20457 Hamburg
Weitere Vorstellungen: 21. und 22. Mai, jeweils 19:30 Uhr
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Alle Fotos © Hans Jörg Michel
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