Musik
La Belle Helene (c) Klaus Lefebvre

Helena kriegt sich gar nicht mehr ein: Sie soll endlich ihren „homme à la pomme“ bekommen, den sagenhaften Paris, Hirten-Prinz aus trojanischem Geblüt, der mit seinem Apfel einst den Beauty-Contest dreier zankender Göttinnen entschied.
Die Vorfreude darauf darf Jennifer Larmore in der Neuinszenierung der Hamburger Staatsoper von Jacques Offenbachs „La belle Hélène“ so hübsch wie endlos austirilieren, dass sie aus dem Bühnenhimmel heraus per Fernbedienung abgeschaltet werden muss.

Die Frage, wer denn die Schönste ist im ganzen Land, hat öfter zu schweren Verwicklungen geführt. In Offenbachs quirliger Heldenposse ist die titelrollige Helena dem Schönling Paris willig zugewandt. Für ihn ist die schönste Frau der Welt die Prämie, mit der ihn Venus im Streit der Göttinnen bestochen hat. Die beiden Elite-Partner Helena und Paris düpieren durch ihr geschickt eingefädeltes Quickie und ihre Flucht Helenas Ehemann Menelaos und die großen Könige Griechenlands – was in der griechischen Sage bekanntlich den Krieg um Troja auslöst.

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1864 in Paris uraufgeführt, ist „La belle Hélène“ ein wunderbarer, quirliger Komödienstoff. Schon damals ohne allzu viel Tiefgang, sieht man davon ab, dass es im tiefsten Kern um menschliche Sehnsüchte, Träume und Leidenschaften geht, die in Helenas Ehe offenbar unbefriedigt bleiben. Doch darüber huscht die Hamburger Inszenierung achtlos hinweg. Hier werden vor allem die Schwächen der aktuell Herrschenden und Mächtigen kräftig durch den Kakao gezogen.

In Hamburg wurde das zum Auftakt der letzten Simone-Young-Spielzeit vom kanadischen Duo Renaud Doucet (Inszenierung und Choreografie) und André Barbe auf die Bühne der Staatsoper gebracht. Die beiden sind hier bereits bekannt durch ihre Pop-Art-„Cenerentola“ aus dem Jahr 2011. Auch „La Belle Hélène“ kommt höchst dekorativ daher, im quietschig-bunten 60er-Jahre-Stil. Ort der Handlung, die schon Offenbach vom alten Griechenland nach Paris und in ein Seebad verlegt hatte, ist ein mondänes Kreuzfahrt-Schiff. Eine allerliebste Idee, denn Kreuzfahrten sind ja durchinszenierte Traumwelten unserer Tage, weitgehend abgekoppelt vom bösen Alltag auf fremden Kontinenten.

Barbe & Doucet haben ihre Show mit großer Detailversessenheit durchgeplant. Ob das Helenas Dienerin Bachiis ist, die als Nana-Mouskouri-Kopie auftritt, ob die sehr männliche Elektra, die schon mal das Beil über die Bühne wuchtet, mit dem einst Agamemnon erschlagen wird, oder Menelaos, der Helena wohl auch deswegen vernachlässigt, weil er vor sich bei seinem schwulen Diener besser aufgehoben fühlt. Oder Agamemnon, der als Voyeur in den Pool abtaucht, um die Waden diverser Fräuleins beim Baden besser betrachten zu können. Oder Paris’ Auftritt als libertärer Hasch-Prophet und Hippie-Guru zum Schluss.
Grandios ist auch die hyperagile Balletttruppe; die Tänzerinnen und Tänzer machten bella figura als fesche Matrosen, als griechische Soldaten im Faltenmini, als Cheerleaders, als Badenixen oder als freizügige Hippie-Compagnie.
Nicht jede optische Pointe trifft allerdings ins Schwarze. Vor allem das einstige Skandalon der Oper – Helenas höchst freizügige Bettgeschichte mit Paris – schrumpft im Vollzug zu einem dünnen, schnell verrichteten Shades-of-Grey-Träumchen, bei dem nur noch die Frage fehlt: Liebling, war ich gut? Knisternde Frivolität, Schauer der Erotik? Fehlanzeige, statt dessen die Problemtiefe einer durchschnittlichen Vorabend-Serie und sinnfreier Klamauk.

Die Anbindung ans Griechenland der Finanzkrise soll ein Kalauer mit einem Giros-Konto herstellen, der zur besseren Verständlichkeit als einzige Textstelle auf Deutsch erzählt wird. Leider. Man hätte sich gewünscht, er wäre ebenso gnädig untergegangen wie viele weitaus intelligentere Scherze und Wortspiele auf ihrem langen Weg von der Bühne über die deutsche Übersetzung hoch über ihr bis zum Ohr der Zuhörer. Und dann wird noch da Angela Merkel mit einer Schubkarre voller Euroscheine über die Bühne geschickt. Spätestens da wünscht man sich, dass nicht alles, was im Lauf einer sicher fröhlichen Operettenproduktion so an Einfällen auftaucht, dann auch seinen Platz auf der Bühne behalten darf.

Im Libretto hielt man sich an die Urfassung mit einem versöhnlichen Schluss. Aktuell wäre vielleicht eine kleine Andeutung, wie sie in anderen Text-Versionen auftaucht, dass Helenas finale Entführung durch Paris kurz darauf in den Trojanischen Krieg führt – so wie nur sechs Jahre nach der Uraufführung der „Belle Hélène“ zwischen Deutschland und Frankreich blutig gekämpft wurde. Nicht, um den Spaß zu verderben, aber es hätte wenigstens eine sinnhafte Verbindung zur Außenwelt der Komödie herstellen können.
Die Masse an kleinteiligem Augenfutter stört auf die Dauer die Wahrnehmung der grandiosen Musik Offenbachs. Gerrit Prießnitz am Dirigentenpult der Philharmoniker suchte akribisch nach den feinen lyrischeren Zwischentönen, die es bei Offenbach ja reichlich gibt. Leider kommt es dabei immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten über das rechte Tempo zwischen den Sängern, die gern mal nach vorn preschen wollen, und dem großartig spielenden Orchester, das – am straffen Zügel geführt – immer wieder bremst. Ermüdet vom optischen Dauer-Karneval auf der Bühne hätte dem Publikum sicher öfter mal mehr vom akustischen Champagner gut getan. Und man erinnert sich sehnsüchtig an die beiden frechen Offenbach-Einakter, die vor Jahren mal in der opera stabile zeigten, mit wie viel weniger Aufwand man deutlich mehr zeigen kann.

Großartig der Chor als beinahe dauerpräsenter Mitspieler, durchchoreographiert in viele kleine Einzelgeschichtchen und brillant einstudiert von Eberhard Friedrich – eine tragende Leistung. Unter den Solisten überzeugte vor allem Jennifer Larmore mit ihrem koloratursicheren Mezzo, und mit einer Stimme, die begreifbar macht, warum einst auch eine Jessye Norman Gefallen an dieser Rolle fand. Jun-Sang Han als Paris ist dagegen ein stimmlich hübsches Leichtgewicht, er gab einen ausgesprochen dezenten lyrischen Hirten-Prinzen, der sich hier und da hörbar in die hohen Tenorlage hinaufdrücken muss. Peter Galliard als hintergangener Gatte Menelaos wird von der Inszenierung nur als tumbe Knallcharge benötigt, er versuchte, das stimmlich abzufedern und landete doch bei den hohen Tönen manchmal knapp über der Soll-Frequenz, Format hatten noch Rebecca Jo Loebs Oreste und Christian Miedls Chalchas. Die übrigen boten eine anständige Ensemble-Leistung, ohne große Ausrutscher nach oben.

So wird der Abend vor allem zu einer Leistungsschau der Werkstätten –das aparte Bühnenbild, das sehr an das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ erinnert, überraschende Videoprojektionen, die Extra-Applaus bekamen, die unzähligen farbenfrohen Kostüme, die die Vermischung von Kreuzfahrt- und altgriechischer Realität augenfällig machen (opulente Präsentation im Internet).

Der Premieren-Applaus blieb ohne Buhs und freundlich. Aber man ist schon froh, dass Meisterkoch Auguste Escoffier die berühmte „Birne Hélène“ anlässlich der Pariser Uraufführung kreiiert hat. Diese Hamburger Opernsaison-Eröffnung hätte ihn kaum dazu inspiriert.


Nächste Vorstellungen: 24.+28.9., 2.+8.10, jeweils 19:30 Uhr und 5.10., 15:00 Uhr. Karten online oder unter Tel.: (040) 3568 68: 5 bis 7 Euro
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: "La Belle Hélène". Alle Fotos: © Klaus Lefebvre
Header: Jennifer Larmore (Hélène), Mitglied des Staatsopernchores.
Galerie:
01. Rebecca Jo Loeb (Oreste), Benjamin Popson (Ajax deuxième), Sergiu Saplacan (Ajax premier), Viktor Rud (Agamemnon), Dovlet Nurgeldiyev (Achille), Jun-Sang Han (Pâris), Christian Miedl (Calchas), Chor, Komparsen
02. Jennifer Larmore (Hélène), Christian Miedl (Calchas)
03. Jennifer Larmore (Hélène), Jun-Sang Han (Pâris)
04. Jun-Sang Han (Pâris), Jennifer Larmore (Hélène)

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