Literatur

Aktuell ist im Westend Verlag, der in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag feiert, das neue Buch der in Lübeck lebenden Autorin Charlotte Kerner erschienen. In „We are Volcanoes“ erzählt sie die Lebens- und Forschungsgeschichte der Ökovisionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway.

Die Künstlerin Andrea Cochius malte die Illustrationen für das Buch. Auf der Messe unabhängiger Verlage „Die Buchmacher“ in St. Petri, Lübeck, stellten Charlotte Kerner und Andrea Cochius das thematisch höchst aktuelle Buch vor.

 

Wir sprachen mit Rüdiger Grünhagen (Geschäftsleitung) und Robin Schmerer (Programm, Lektorat) vom Westend Verlag, mit der Wissenschaftsautorin und Journalistin Charlotte Kerner und der Bildenden Künstlerin Andrea Cochius über den Verlag und das Buch.

 

Der Westend Verlag: Mit dem Buch „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Welt zu retten“ startete der Westend Verlag (Frankfurt am Main) vor 20 Jahren. Das Buch erschien in vier Auflagen und wurde zum Bestseller im In- und Ausland. Das wiederum war Grundlage für die folgende „50-Dinge-Reihe“. Und es war die Grundlage für den heutigen Erfolg. Ein einziges Buch war also der Anfang. Längst ist Westend ein erfolgreicher, ambitionierter Sachbuchverlag mit den Schwerpunkt-Themen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie. Von Beginn an engagiert sich der Verlag auch für soziale Gerechtigkeit und Integration. Im Mai 2020 wurde der Westend Verlag für seine hervorragenden Leistungen mit dem „Deutschen Verlagspreis“ ausgezeichnet.

 

Charlotte Kerner Volcanoes COVERDie Autorin Charlotte Kerner, geboren 1950 in Speyer, lebt seit Mitte der achtziger Jahre in Lübeck. Auf ein Studium der Volkswirtschaft und Soziologie folgten einjährige Aufenthalte in Kanada und der Volksrepublik China. Seit 1980 ihr erstes Buch über Frauen in China erschienen ist, ist sie nur noch schreibend tätig: Seit Mitte der 1980er Jahre als freie Journalistin u.a. für ZEIT, GEO, EMMA, heute vor allem als Buchautorin mit zwei Schwerpunkten: Frauenbiographien (u.a. Hildegard von Bingen, Eileen Gray, Lise Meitner) und inzwischen vier Zukunftsromane, die Kerner wegen der für sie typischen Mischung aus Facts und Fiction auch „Factasy“ nennt: Zum Bestseller wurde ihr Klon-Roman Blaupause-Blueprint. Zwei Mal erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die GEDOK Schleswig-Holstein zeichnete die Autorin 1997 mit ihrem Literaturpreis aus. In der Laudatio heißt es: „Jedes ihrer Bücher ist eine Lesereise in eine neue Welt.“

 

Die Künstlerin Andrea Cochius (Lübeck) ist gelernte Steinbildhauerin, studierte Künstlerin und Projektmanagerin. In ihrer künstlerischen Arbeit setzt sie sich gerne mit dem Perspektivwechsel zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen auseinander. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Porträtmalerei. So sammelte sie bereits 2012 auf den Straßen Indiens Lebensgeschichten von Zufallsbegegnungen ein und setzte sie visuell um. Ihre Gemälde und Zeichnungen wurden u.a. in Belgien und Mexiko ausgestellt. In einem ihrer Projekte hat Andrea Cochius die Schlüsselfiguren der europäischen Einigung porträtiert (www.european-visions.eu). Diese Werke wurden bei verschiedenen Institutionen der Europäischen Union und bei der Lateinamerikanischen Buchmesse in Guadalajara ausgestellt (857.000 Besucher/innen).

 

Für die Künstlerin Andrea Cochius ist das Buch „We are Volcanoes“ eine Hommage an die drei außergewöhnlichen Öko-Visionärinnen - und eine Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft: „Ich wollte mit meinen Gemälden die Essenz der Gedanken und den Geist der Entschlossenheit einfangen – die Verbindung zwischen ihrer visionären wissenschaftlichen Arbeit und ihrer unermüdlichen Hingabe an unseren Planeten“. Sie sei zutiefst dankbar, ein Teil dieser wichtigen kulturellen Initiative geworden zu sein. „Und es erfüllt mich mit Stolz und Demut, dass meine Kunst die Geschichten dieser großen Denkerinnen begleiten darf.“ Jetzt hofft die Künstlerin vor allem, dass dieses Projekt viele Menschen anzieht und zum Nachdenken anregt. „Möge We are Volcanoes zeigen, wie Kunst und Wissenschaft gemeinsam unser Bewusstsein für die drängenden Umwelt- und Klimafragen unserer Zeit schärfen können.“

 

Marion Hinz (MH): Herr Grünhagen, was hat Sie veranlasst, „We are Volcanoes“ in Ihr Verlagsprogramm aufzunehmen?

 

Rüdiger Grünhagen: Wir haben das Buch veröffentlicht, weil die drei großen Öko-Visionärinnen Lynn Margulis, Rachel Caron und Donna Haraway etwas angestoßen haben, das bis heute nachwirkt. Sie sind Kämpferinnen für unsere Umwelt und Ikonen der Ökobewegung – und Charlotte Kerner hat ihre drei Biografien wunderbar und sehr außergewöhnlich miteinander verknüpft. Dieser Ansatz hat uns schnell überzeugt.

 

MH: Herr Schmerer, stimmen Sie dem zu?

 

Robin Schmerer: Ja, Charlotte Kerner ist eine begnadete Erzählerin, die zudem über ein enormes Fachwissen verfügt. So schafft sie es, uns drei Wissenschaftlerinnen näherzubringen, die der breiten Masse zu Unrecht kaum bekannt sind. Ein Buch, das eine Leerstelle füllt und zeigt, dass Öko- und Biologie weiblich sind. 

 

Andrea Cochius Charlotte Kerner Robin Schmerer F Marion Hinz

Andrea Cochius, Charlotte Kerner und Robin Schmerer in Lübeck. Foto: Marion Hinz

 

MH: Frau Kerner, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über drei Öko-Visionärinnen. Wie sind Sie auf diese drei Frauen gekommen?

 

Charlotte Kerner (CK): Rachel Carson kannte ich schon länger, in den Anfängen der Umwelt-, damals vor allem Anti-AKW-Bewegung, war ihr Buch „Der stumme Frühling“ fast Pflichtlektüre, gerade auch in öko-feministischen Kreisen. Sie hatte zum ersten Mal sehr populär aufgeklärt, dass sich Insektizide in Pflanzen, Tieren und Menschen anreichern und krank machende und sogar tödliche Kreisläufe in Gang setzen. Zu ihrem 100. Geburtstag schrieb ich ein Porträt über sie für die ZEIT und las mich wieder neu und intensiver ein - und war überrascht, dass sie drei wunderbare Bücher über das Meer verfasst hatte, die schon zehn Jahre vor Silent Spring internationale Bestseller waren!

Die Philosophin Donna Haraway kannte ich als Feministin durch ihr Cyborg-Manifest, das Mitte der 1980er-Jahre erschienen ist. Aber wie viele hatte ich nur Auszüge gelesen. Ich war sehr damit einverstanden, dass sie zum Beispiel die neuen Fortpflanzungstechniken nicht per se verteufelte, sondern aufforderte, sich die Wissenschaft anzueignen, zu verändern und zu nutzen! Als ich meinen SF-Roman Jane reloaded schrieb, las ich mehr von ihr, besonders zur Primatenforschung, und dann tauchte sie ständig als Stichwortgeberin in Kunstkatalogen auf, wenn es um die Grenzen Mensch-Maschine, das Verhältnis von Natur und Kultur ging. Ich las auch immer mehr Sekundärliteratur, die über sie erschienen ist. Das half mir dabei, ihr Denken zu entdecken.

Die Mikrobiologin Lynn Margulis habe ich in der Ausstellung Critical Zones - die in den Jahren 2020-22 in Karlsruhe gezeigt wurde – erst wirklich kennengelernt und in ihrer Bedeutung begriffen: Sie entdeckte die Symbiose als ein neue Antriebskraft der Evolution und forschte zur Bedeutung der Bakterien in der Entstehung und Bewahrung des bewohnbaren Planeten Erde, vor allem seiner Atmosphäre.

 

MH: Warum beschäftigen Sie sich im Buch mit allen drei Frauen? Welche Gemeinsamkeiten verbinden sie?

 

CK: Alle drei waren Biologinnen, aber sie nutzten ihr Wissen, um sehr unterschiedliche berufliche und politische Wege zu gehen: Für mich ist Carson die Schriftstellerin der Ökologie, Margulis die Forscherin oder auch Biologin der Ökologie und Haraway die Philosophin. Zusammen stehen sie für eine Wende hin zu einem ökologischen Denken, das heute fast selbstverständlich erscheint, damals war es unerhört, für viele fast ein Schock!

Besonders Carson und auch Margulis lassen ihre Leser*innen stauen, in der Hoffnung, dass Homo sapiens mit dem Zerstören aufhören wird. Auch deshalb hatte jede den Anspruch für ein breites Publikum zu schreiben! Veränderung beginnt auch im Kopf, wenn wir Dinge, Zusammenhänge begreifen!

Auf ihre Weise zeigt jede eindrücklich, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist, sondern nur ein Lebewesen unter vielen: Ein abhängiger und auf Andere und auf mehr-als-menschliches Leben angewiesener Erdling. Das wirklich zu verstehen, ist die Voraussetzung, um zu handeln oder auch nur zu wählen, so dass das Artensterben und die Klimakatastrophe wenigstens abgemildert werden.

 

Triptychon Andrea Cochius

Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway. Triptychon, gemalt von Andrea Cochius

 

MH: Was fasziniert Sie an Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway?

 

CK: Sie folgen aufeinander und bilden gemeinsam die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ab: Der kalte Krieg ebenso wie und die neuen sozialen Bewegungen, die seit 1960er-Jahren die Gesellschaft verändert haben, prägten ihre Leben und bis heute auch mein eigenes. Besonders die Frauen- und Ökologiebewegung waren und sind – wie es die Philosophin Eva von Redecker formuliert hat – “Revolutionen für das Leben“, für ein neues Leben!

Alles drei lebten widerständig, sie wehrten sich gegen Vorurteile, und vor allem wollten sie wissen, um die Welt zu begreifen. Diese Triumfeminat ergänzt sich wunderbar, Haraway nennt Margulis sogar ihre Lehrerin, weil sie die Verwobenheit der Lebensformen von der Mikro- bis in die Makroebene, die Bedeutung von symbiotischen Verhältnis in der Evolution nachweisen konnte.

  

MH: Warum ist es Ihnen wichtig, sie uns ins Gedächtnis zu rufen?

 

CK: Genau aus den Gründen, die ich gerade aufgezählt habe. Und auch um zu sehen, auf wessen Schultern wir stehen. In meinen Augen machen sie Mut sich weiter einzumischen. Gerade Lynn Margulis zeigt uns durch ihr tiefes Verständnis des Erdsystems und seiner geologischen Zeitdimensionen auf, dass es Sinn macht zu handeln: Weil unser Planet so schnell nicht untergeht, die Erde sei „a tough bitch“, ein zähes Weibsbild, schreibt sie. Wir sind nicht die letzten Generationen, sondern vielleicht die ersten, die entschlossen handeln können und dies endlich auch wollen!

 

MH: Warum heißt das Buch „We are Volcanos“?

 

CK: Im Jahr 1986 sprach die amerikanische Schriftstellerin Ursula K. Le Guin vor College-Studentinnen. Sie machte den jungen Frauen Mut, auszubrechen wie Vulkane, und mit ihren Taten und Gedanken die Welt zu verändern, neue Landkarten und Berge zu erschaffen. We are Volcanoes ist ein Zitat daraus, eine Vergleich, der auf die drei Biologinnen und ihr Werk zutrifft. Da sie Amerikanerinnen sind, haben wir die englische Version gelassen. Im Buch ist das Zitat als Motto und in deutscher Übersetzung abgedruckt.    

 

 

MH: Im Untertitel werden Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway als Ökovisionärinnen bezeichnet. Können Sie kurz umreißen, welcher Name für welche Vision, Entdeckung bzw. Erkenntnis steht?

 

CK: Carsons Beschreibungen der Naturzerstörungen, etwas der Bedrohung der Arten, der Schädigungen des Meeresbodens durch Schleppnetze – die Liste ist sehr lang – könnten aus den Tageszeitungen von heute stammen. Aber sie sah diese Zusammenhänge schon vor 60 Jahren! Margulis beschrieb mit ihrem Kollegen James Lovelock das anfällige Klimasystem der Erde, das in Zeiten des Anthropozän und Kapitalozän aus den Fugen gerät. Und es vergeht kaum eine Woche, in der nicht überlebenswichtige Symbiosen in der Natur, an denen Bakterien beteiligt sind, ob in der Zelle oder in Ökosystem, begriffen werden. Haraway, die ja noch lebt, reißt auch verbal die Grenzen zwischen „uns“ und der Natur ein. Denn wir leben in und als Natur und längst als mit den Tieren und der Technik verwobene Gefährt*innen.  

 

MH: Das Cover ist mit Hilfe von KI entstanden. Es zeigt die drei Frauen nebeneinander. Haben sie sich jemals kennengelernt?

 

CK: Also, Carson und Margulis auf jeden Fall, sie lasen gegenseitig ihre Bücher, aber sie waren nicht befreundet. Es existiert kein Foto der Zwei, und von denen Dreien schon gar nicht: Carson war bereits tot, als die Kolleginnen öffentlich sichtbar wurden. Aber ihre Themen und eine Haltung verbinden und einen die Naturwissenschaftlerinnen, die ich im Buch versuche einzufangen und zu deuten. Insofern zeigt der Titel diese drei als allegorische Gruppe – und zwar in den typischen Farben ihrer Hochzeiten. Es ist ehrlicher als ein montiertes Gruppen-Foto! Das Cover hat der Grafiker verstanden als „eine Hommage an diese sympathischen und selbstbewussten Frauen“, die durch die Illustrationen im Buch auch noch dokumentarisch porträtiert sind.

 

MH: Genau, schwarz-weiß Illustrationen leiten jedes der drei Kapitel ein. Sie zeigen die Ökovisionärinnen in ihrem Arbeitsumfeld. Die Illustrationen sind nicht durch KI entstanden, sondern von einer Künstlerin gemalt worden. Warum?

 

CK: Hier ging es darum, ausgehend von Fotos, die Forscherinnen zu porträtieren und zwei Fragen zu beantworten: Wie sahen sie aus? Wie haben sie gearbeitet? Was war ihr Lebensthema? Die Originale sind großformatige, bunte Acryl-Bilder, sie wurden anfangs nicht für das Buch geplant, sondern für spartenübergreifende Projekte zum Buchthema.

Als dann das Cover entwickelt war, wurde schnell klar, dass Fotos im Innern nicht in Konkurrenz zu dem starken Titelbild treten sollten und können. Denn sie hätten verloren. Die gemalten Frauenbilder brauchen das nicht, sie haben ein selbstbewusstes Eigenleben, eine neue und eigene Sicht.

 

MH: Wie ist es zur Zusammenarbeit mit der Künstlerin Andrea Cochius gekommen?

 

CK: Ich hatte Berichte über ihre modernen Porträts der großen Europäer*innen gesehen und war begeistert. Darunter sind übrigens auch die Grüne Petra Kelly und die französische Politikerin Simone Veil. Ich fragte Andrea, ob sie sich vorstellen könnte, mit mir zusammen die Fotos auszusuchen und die Bilder als Lebens-und Werkporträts zu gestalten. Es folgten viele Gespräche und Vorentwürfe, bevor dann die Malerin ihr Werk begonnen hat. Schon früh war uns klar, dass die drei Bilder eine Art modernes Triptychon bilden sollten. Deshalb zieht sich die Metamorphose des Monarch-Falters – den alle drei Frauen liebten – durch ihre Bilder. Die Tentakel eines Oktopus scheren sich nicht um Bildergrenzen, ebenso wenig das Korallenriff oder die Flechten bewachsenen Felsen an der Meeresküste, sie sprengen den Bild-Rahmen, wie auch die drei Biologinnen die Fachgrenzen.  

 

MH: Das Buch ist weder als Roman noch Sachbuch gekennzeichnet. Warum ist das so?

 

CK: Es ist ein erzählendes Sachbuch mit fiktionalen Elementen, etwa wenn ich drei Frauen miteinander oder nach ihren Tod reden lasse. Dafür habe ich Kommentare umgeschrieben oder erfunden, aber aufgrund von Quellen. Kapitel 4 ÜberLeben ist dann reine Science Fiction.

 

MH: Wie stellen Sie die literarisch-sprachliche Verbindung zwischen den Protagonistinnen her?

 

CK: In dem ich mich nicht um die echten Lebensalter schere, auch als Tote sprechen Carson und Margulis zu uns, kommentieren das Heute. Wenn sie meine biografische Erzählung unterbrechen, literarisch-sprachlich ist dies Science Fiction, oder auch Wissenschaftsfabulation, würde Haraway sagen. Ich spinne neue Gedanken- und Zeitfäden!

 

MH: Was bedeutet die „Tragetaschentheorie“?

 

CK: Die genaue Bezeichnung lautet The Carrier Bag Theory of Fiction, also die Tragetaschentheorie des Erzählens. Den Text hat die schon erwähnte Ursula Le Guin im Jahre 1989 veröffentlicht. Am Anfang stand ihrer Meinung nicht das Schwert bzw. der zielstrebige heldenhafte Kampf des Helden mit Eroberung und Sieg und Happy End. Vor der Eroberung der Welt muss Nahrung gesammelt und nach Hause gebracht werden, ohne Care-Arbeit kein Leben. Doch darum scherten sich die Welteneroberer und Heldenerzähler nicht, die pfeilgerade ihre Worte setzen. Die Erzählerinnen gehen andere Wege: Sie sammeln ein, umkreisen ein Thema, teilen Dinge und tun sich zusammen. Ein Denken in Rundungen und Verknüpfungen praktizieren sie, auch hier mehr Symbiose als Konkurrenz, mehr Kollektiv als Egomane. Das setzt Haraway auch in ihren Texten um, bei der Wortwahl, in der Grammatik, was durchaus anstrengend sein kann, aber mir immer neue Denkräume eröffnet hat.  

 

MH: Am Ende des Buches, im vierten Kapitel, entwerfen Sie eine Vision. Ist diese Vision das, was Sie sich für die Zukunft, für unsere Zukunft, für die Zukunft der Welt, der Erde vorstellen bzw. vorstellen möchten?

 

CK: Ich bin ja kein Hellseherin, und ich mache deshalb etwas, das wiederum Ursula le Guin wunderbar beschrieben hat: Lesende und Sf-Autor*innen gestalten die Welt zusammen. Insofern biete ich im vierten Kapitel Gedankenexperimente an, die auf dem Werk der drei Frauen

gründen, das ich vorher dargestellt habe. Spotlights und Szenen, ein neues Grundgesetz öffnen Denkräume – und im Kopf entstehen neue Welten.

 

MH: Welche Hoffnung(en) haben Sie für die Zukunft des Menschen?

 

CK: Ein Überleben – wie der Titel des letzten Kapitels sagt, aber am Ende nur für eine dezimierte Menschheit, nach zerstörenden und zerstörerischen Entwicklungen, die längst begonnen haben.

 

MH: Was wünschen Sie sich für unseren Planeten?

 

CK: Ein Ende des Kapitalozän ist die Voraussetzung, dass sich wirklich etwas ändert. Toll wäre es, wenn - auch durch Forschung und KI- Unterstützung - mehr Kommunikation und Verständnis zwischen Menschen und mehr-als-menschlichen Lebensformen möglich wäre.

 

MH: Was erhoffen Sie sich von den Leser*innen Ihres Buches?

 

CK: Dass sie Spaß haben beim Kennenlernen der drei Frauen haben und auch das Stauen mit ihnen feiern. Dass sie meine, etwas ungewöhnlichen Erzählwege mitgehen, neugierig bleiben oder werden… und sich am Ende über eine volle Tragetasche, gefüllt mit viel Erkenntnis freuen, die sie Zuhause auspacken.

 

Faktenreich, fiktiv, fesselnd erzählt: Charlotte Kerner: We are Volcanoes

„We are Volcanoes“ erzählt die Geschichte der drei Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway. Was die drei eint, ist ihre besondere Fähigkeit, Natur und Kultur, unsere Erde und uns in dieser Welt neu und anders zu denken. So umschreibt Charlotte Kerner es in ihrem Vorwort. Immer tiefer dringen auch wir Leser*Innen ein in die Welt dieser drei Frauen, dringen ein in die damals wie heute herrschenden ökologischen Probleme unserer Welt, hand- und hausgemacht von uns Menschen, die wir heute noch und endlich nach Lösungen suchen. Farbig, faktenreich, fiktiv erzählt uns die Autorin von den Vordenkerinnen unserer Zeit.

 

Die Autorin führt uns ein in die spannende Lebens- und Forschungsgeschichte dieser drei Frauen und zugleich in unsere eigene Geschichte. Noch größer gedacht: in die Geschichte der Menschheit. Die bahnbrechenden Werke der drei Biologinnen sind größtenteils entstanden, bevor die Wissenschaft Klimawandel und Artensterben bewiesen hat, bevor die Grenzen des Wachstums offensichtlich wurden und als Ökologie und Nachhaltigkeit noch keine Modewörter waren.

 

Charlotte Kerner hat ihr Buch in vier Kapitel eingeteilt. Die ersten drei Kapitel Stiller Frühling, Heißer Sommer, Gefluteter Herbst bringen uns die Thesen, Theorien und Beweise näher, die diese Visionärinnen so nachhaltig bekannt, zum Teil berühmt gemacht haben. Aber auch die unterschiedlichen Lebensgeschichten dieses visionären Triumfeminats, wie Charlotte Kerner es nennt, werden beleuchtet. Das vierte Kapitel Leerer Winter wiederum ist selbst visionär angelegt. Hier geht es um das (nackte) Überleben der Menschheit. Das geschieht in Form von Science Fiction (SF), eine Schreib- und Lesart, die Charlotte Kerner perfekt beherrscht, wie aus früheren Werken bekannt ist: z.B. durch Blueprint, ausgezeichnet mit dem Jugendliteraturpreis.

 

Am Ende von We are Volcanoes steht die SF-Short-Story Überleben: eine Geschichte aus einer Zukunft, die schon begonnen hat. Zweifellos: die drei Biologinnen waren Vulkane! Somit erschließt sich uns der Titel des Buches We are Volcanoes wie von selbst. Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Harraway sind Vulkane geblieben, heute größer und sichtbarer denn je, schreibt Charlotte Kerner. Dass dies so ist, ist auch ein Verdienst der Lübecker Autorin. Sie hat mit diesem sachlich-emotional tiefgründigen Buch den drei Öko-Visionärinnen ein Denkmal gesetzt. Die Künstlerin Andrea Cochius hat mit ihren Zeichnungen dazu beigetragen. Die Bilder sind im Original farbig (nicht schwarz-weiß wie im Buch abgedruckt) und als limitierte Drucke in der Lübecker Galerie Ansichtssache erhältlich.


Charlotte Kerner: „We are Volcanoes“

Illustrationen: Andrea Cochius

Westend Verlag

Gebunden, 232 Seiten

ISBN 9783864894428

- Weitere Informationen (Westend Verlag)

- Weitere Informationen (Homepage Charlotte Kerner)

- Weitere Informationen (Homepage Andrea Cochius)

- Weitere Informationen (Galerie Ansichtssache)

 

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