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Zuflucht im Buddhismus und in der Literatur

Gino Leineweber: das könnte man für ein geschickt gewähltes Pseudonym halten, nicht weit weg von Tonio Kröger, als Andeutung der Verquickung von romanischer Kreativität und nordischer Pragmatik.
Doch das stand schon auf seinem Türschild, als er noch die wirtschaftlichen und steuerlichen Probleme seiner Mandanten auseinandersortierte, ganz bürgerlich kurz gestutztes Haar trug und die dazugehörigen seriösen Anzüge.
Inzwischen ist er auch äußerlich in den klangvollen Namen hinein gewachsen: mit silberner Löwenmähne, die an Franz Liszt oder die Brüder Grimm erinnert, das Outfit dezent-malerisch, gern mal mit Stehkragen oder Lederhosen (langen, versteht sich!)

Jetzt ist er Vorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung und eine Menge mehr.
Beispielsweise Mitglied des Kuratoriums der Hamburgischen Kulturstiftung. Oder– und das erklärt auch, weshalb er ein kleines Holzkettchen um’s Handgelenk trägt und warum sein freundliches Katzengesicht mit den breiten Wangenknochen meist so wolkenlos heiter schaut - Vorsitzender des Buddhisten Vihara Hamburg e.V.
Außerdem webt Gino Geschichten. Kurzgeschichten für verschiedene Anthologien, einen Band mit mystischen Erzählungen sowie eine Novelle über den Conquistador Pizarro. Er liest viel und gern vor, nicht nur Selbstverfasstes, mit ruhiger, trockener, norddeutscher Stimme: eine Klangfarbe wie friesischer Tee.
Lyrik schreibt er auch – aber dazu kommen wir noch…

Was fällt einem überaus erfolgreichen Steuerberater ein, der eines Tages die eigene Praxis verkauft, um fortan als freier Künstler zu leben? Der gleichzeitig aus heiterem Himmel gewissermaßen ‚aktiver’ Buddhist wird?
1998 – da war er immerhin bereits Mitte 50 – machte sein Lebensweg plötzlich diesen scharfen Knick.
„Na, so plötzlich war das gar nicht!“, protestiert Gino. „Ich hatte mich mein Leben lang für Literatur interessiert. Ja, und für Philosophie. Die Richtung, die mir am besten gefiel, war der Stoizismus, der ist ja dem Buddhismus einigermaßen verwandt, wenn auch natürlich nicht so spirituell: das Ziel bei beidem liegt im Gleichmut. Über die Meditation kam ich zur buddhistischen Lehre. Ich hab mich dann immer intensiver damit beschäftigt und bezeichne mich – ja, ziemlich genau seit 2001 - als Buddhist.“

Dagmar Seifert (DS): Warum seitdem? Was muss passieren, damit man sagt: Jetzt bin ich einer - ?

Gino Leineweber (GL): Also es gibt ja keine Taufe oder so was. Aber etwas, das nennt man ‚Zuflucht nehmen’, beim Buddha, der Lehre und in der Gemeinschaft der Buddhisten. Da gibt es auch bestimmte Rituale, die man machen kann – aber nicht zwangsläufig machen muss… Die hab ich übrigens nicht gemacht. Ich hab mich auf den Weg eingelassen, den achtfachen Pfad, der beinhaltet, dass man verschiedene Tugenden lebt. Und genauso hab ich mich, wenn man so will, auf den Weg des Schriftstellers eingelassen. Denn das Bedürfnis, die Sehnsucht, zu schreiben, war auch schon immer in mir. Ich hab als junger Mann auch bereits dies und das verfasst. Aber im Grunde war nie richtig Zeit dazu, ich war ja beruflich enorm eingespannt.

DS: Wieso eigentlich gerade im Beruf des Steuerberaters, der so trocken und unkreativ anmutet, das genaue Gegenteil vom Künstler-Dasein?

GL: Oh, auch das hat mich immer sehr fasziniert. Ich liebe Zahlen, ich hab ein besonderes Verhältnis zu Zahlen, obwohl ich vielleicht in Mathematik gar nicht so überragend gut war. Aber ich kann prima ordnen und strukturieren. Als Steuerberater kann man tatsächlich anderen Menschen enorm helfen, das ist auch etwas Schönes. Ich hab teilweise wirklich wahnsinnig viel für meine Klienten rausholen können und bin dafür auch sehr gelobt worden. Und trotzdem, die Sehnsucht nach dem Schreiben war ständig da, stand wartend im Hintergrund. Ich wusste immer, dass ich das eines Tages machen würde. Das ist mir übrigens mal ganz früh geweissagt worden, aus meinem Horoskop: dass ich in der ersten Hälfte meines Lebens das Äußere ausleben würde und in der zweiten Hälfte das Innere. Später hab ich mich selbst mit Astrologie beschäftigt und konnte diese Tendenz anhand der Daten nur bestätigen.

Vielleicht bestimmte ihn auch ein Gefühl der Verpflichtung, ganz solide und ohne Seiltanzerei anzufangen? Der kleine Gino, 1944 in Hamburg geboren, stammte schließlich aus einer Kaufmannsfamilie. Großvater Leineweber besaß ein Lebensmittelgeschäft im Stadtteil Hamm, Vater Leineweber übernahm das später. Vielleicht hätte man gern gesehen, wenn der Enkel dieser Tradition gefolgt wäre? Er machte sehr viel größer Karriere; seine Praxis lag in der feinen Hamburger Johnsallee und beschäftigte ‚zum Schluss noch’ acht Angestellte. Die durften mitentscheiden, wer schließlich neuer Besitzer wurde:

GL: „Die Kollegen lagen mir ja am Herzen, die waren teilweise seit langer Zeit dabei. Eigentlich wollte ich mit fünfzig aufhören, zwei Jahre später wäre da ein Interessent gewesen; aber mit dem waren meine Mitarbeiter nicht so glücklich, deshalb hab ich weiter gesucht und die Praxis erst ’98 verkauft. Übrigens an meinen langjährigen Assistenten, dem gehört sie immer noch."

Es gibt freischaffende Künstler die, wie Richard Wagner (wenn auch vielleicht nicht ganz so genial) erwarten, ‚die anderen’ müssten ihnen ihren Lebensunterhalt irgendwie finanzieren, damit sie schöpferisch tätig sein können.
Gino Leineweber hat mit Fleiß und Hingabe seine Schäfchen allesamt ins Trockene gebracht, sitzt seelenvergnügt auf einem Riesenberg hochwertiger Wolle – bzw. in einer bildschönen, geschmackvoll eingerichteten Wohnung mit erstklassiger Adresse – und kann jetzt kreativ loslegen, so erfolglos oder ruhmreich, wie das Schicksal es will und ohne irgendjemand auf der Tasche zu liegen oder auf die Nerven zu fallen.

Leineweber verbindet gern das Autorendasein mit dem Reisen. Kürzlich war er bei einem internationalen Schriftstellerkongress in Islamabad, er hat am Buchprojekt ‚Und Bosnien, nicht zu vergessen’ (herausgegeben von Emina C. Camber) teilgenommen, das aus einem schriftstellerischen Workshop in Sarajewo entstand und ihn sehr begeistert hat:

GL: „Das war das erste Mal, dass ich an so was teilgenommen habe und es war in jeder Weise niveauvoll und erfreulich. Zuerst musste ich mich allerdings richtig überwinden, um mich mit meinen Ideen und meinen ersten Zeilen vorzustellen. Aber dann hab ich schnell gemerkt, wie sehr fair und sachlich damit umgegangen wurde, einfach konstruktiv. Und ich konnte mich ja ebenso dazu äußern, was die anderen schrieben.“

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