Dirk C. Fleck: Feuer am Fuß
- Geschrieben von Dirk C. Fleck -
Offener Brief an meine reichen Freunde
Ich bin einer dieser 0,01 Prozent stolzer und uneinsichtiger Kapitalisten. Ich bin einer von Ihnen. Ich habe etwa dreißig Unternehmen in unterschiedlichen Branchen mitbegründet und finanziert. Vom Nachtclub bis zum Onlineversand. Ich bin der Gründer eines Internet-Werbeunternehmens, welches vor einigen Jahren von einem Softwarehersteller für sechs Milliarden US-Dollar übernommen wurde. Ich sage Ihnen das, weil ich in vielerlei Hinsicht nicht anders bin als Sie. Für meinen Erfolg führe ich ein Leben, von dem 99,9 Prozent der Menschen nicht einmal zu träumen wagen.
Sie wissen, wovon ich rede. Also lassen Sie uns offen sprechen. Ich bin nicht der intelligenteste Mensch und auch nicht der am schwersten Arbeitende. Was mich von anderen unterscheidet, ist meine Risikobereitschaft und die Fähigkeit zu sehen, wo die Reise hingeht. Wir haben uns von einer freien Marktwirtschaft zu einer Feudalgesellschaft entwickelt. Und deshalb appelliere ich an meine steinreichen Kollegen und Kolleginnen, die wie ich in einer Illusion leben: Wachen Sie auf! Keine Gesellschaft kann diese Art von Ungerechtigkeit auf Dauer aufrechterhalten. Die betrogenen Massen sind bereits zu uns unterwegs. Ihr Aufstand ist nicht zu verhindern, auch nicht durch den totalen Überwachungs- und Polizeiapparat, den wir so fleißig mitfinanziert haben. Revolutionen bauen sich langsam auf. Aber irgendwann glimmt die Lunte, und bevor man sich versieht, steht das ganze Land in Flammen. Ich garantiere Ihnen: Es wird schrecklich werden, vor allem für uns. Es ist aussichtslos, den Suprakapitalismus gegen den Sturm der Zeit abzusichern, er führt nur noch ein brutales Rückzugsgefecht, in dem Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen auf der Strecke bleiben. Deshalb habe ich mich entschieden, durch gezielte Investitionen in beträchtlicher Höhe jenen Ideen und Initiativen zum Durchbruch zu verhelfen, die schon seit längerer Zeit an einer besseren Welt arbeiten. Wer jetzt die Seiten wechselt, wird nicht zum Verräter an seinen Idealen – er schafft sich neue Ideale und bewahrt sich so seine Selbstachtung.
Unser politisches Denken ist abgestanden. Aber viele von euch Plutokraten wollen die Botschaft nicht hören. Leute wie wir haben immer behauptet, dass unsere Positionen gerecht und gut sind, und zwar für die Allgemeinheit. Was für ein Unsinn! Bin ich wirklich so eine überlegene Person? Gehöre ich in die Mitte des moralischen und wirtschaftlichen Universums? Natürlich nicht. Die meisten Menschen beginnen ja zu glauben, dass der Kapitalismus selbst das Problem ist. Ich bin nicht der Meinung, und ich bin sicher, Sie auch nicht. Kapitalismus ist die größte Sozialtechnologie, die jemals erfunden wurde, um den Wohlstand der menschlichen Gesellschaften zu erschaffen. Aber wenn der unersättlichen Gier in diesem System nicht Einhalt geboten wird, neigt es zu Konzentration und Kollaps. Unsere dringlichste Aufgabe ist es nun, die Balance zwischen Elend und Prunk einigermaßen wieder herzustellen.
Denken Sie daran und lesen Sie den beiliegenden Spendenaufruf von Malcolm Double U sorgfältig durch. Ich jedenfalls habe mich entschlossen, den größten Teil meines Vermögens der URP zu stiften. Siebenundachtzig andere Milliardäre haben sich bisher ebenfalls so entschieden. Tun auch Sie etwas für Ihren Seelenfrieden und bauen Sie mit an einer neuen Welt, einer Welt, in der wir konkurrenzlos agieren, die wieder Lebensqualität statt Leid generiert. Einer Welt, die sehr viel pfleglicher mit der Natur umgeht, als wir es bisher getan haben. Ich bin sicher, dass Sie sich richtig entscheiden werden.
Hochachtungsvoll,
Scott Neeson
Omai faltete das Schreiben, das ihm heute Morgen von Malcolm Double U per G-Com zugesandt worden war, zusammen und begab sich in den Garten, wo die dreizehn Mitglieder des Wissenschaftsrats um einen runden Tisch versammelt waren, an dem auch Maeva, Steve und Rajani Platz genommen hatten.
„Iaorana”, begrüßte der tahitianische Präsident die Anwesenden, um den Gruß dann zur Verblüffung aller in deren Muttersprache zu wiederholen: „Good morning, bonjour, buenos dias, dobre utro, günaydin, goede morgen, god morgen, bom dia, hyvää huomenta, guten Morgen…”
Die angesprochenen Frauen und Männer klatschten begeistert Beifall. Seit Wochen weilten sie nun auf Tahiti, um sich gemeinsam den Kopf darüber zu zerbrechen, was in der URP-Satzung unbedingt verbessert werden müsste, um die nachhaltige Entwicklung in den Regionen noch wirkungsvoller zu befördern. Die Herrschaften hatten ihre Aufgabe offenbar sehr ernst genommen, denn ihre Studie mit dem Namen „What Matters In The Future?”, die jedem am Tisch vorlag, hatte einen Umfang von 198 Seiten. Professor Filip Horák, ein Informatiker der Karls-Universität in Prag, sollte die Kernaussagen der Studie vorstellen.
„Bevor wir Ihnen zuhören, Professor”, meldete sich Maeva zu Wort, „möchte ich noch kurz etwas mitteilen, das mein Herz seit gestern höher schlagen lässt. Wir wissen, dass die Regionen der URP im nächsten Monat eine neue Generalsekretärin oder einen neuen Generalsekretär bestimmen. Rajani wird sich nicht mehr zur Wahl stellen. Ich verstehe das, sie hat das Amt nach meinem fingierten Tod völlig unvorbereitet übernommen und über die Jahre hervorragend verwaltet. Ich wüsste nicht, in welchen Zustand sich die URP heute befinden würde, wenn unsere Organisation von Rajani nicht so energisch zusammengehalten worden wäre. Meine wunderbare Freundin weiß, wie dankbar ich ihr dafür bin und immer sein werde. Es ist wahrhaftig nicht übertrieben, wenn ich sage: Rajani Bala hat sich um die Erde verdient gemacht.”
Die Angesprochene saß sichtlich gerührt zwischen den applaudierenden Geistesgrößen, deren feierliche Sympathiekundgebung jäh unterbrochen wurde, als sich ein Sturmvogel in großer Höhe erleichterte und direkt in die Mitte des Tisches traf. Rajani schien der (Vor-) Fall gelegen zu kommen, jedenfalls war sie es, die am lautesten darüber lachte und somit den Rest an respektvoller Ehrbezeugung vertrieb. Sie konnte damit nicht umgehen, in ihrem Leben waren ihr zu viele Menschen begegnet, die mutiger, klarer und beseelter agierten als sie, und denen niemals eine derartige Huldigung zuteilgeworden war.
„Die Nachricht, die ich Ihnen eigentlich erzählen wollte”, nahm Maeva ihre kurze Rede wieder auf, „dürfte uns alle mit Freude erfüllen, mich natürlich ganz besonders. Mein Bruder Omai hat sich gestern Abend nach einem langen und intensiven Gespräch mit Rajani und mir bereit erklärt, sich für das Amt des URP-Generalsekretärs zur Wahl zu stellen. Und jetzt steht natürlich zu befürchten, dass er auch gewählt wird. Das Leben ist doch ein ständiges Auf und Ab”, bemerkte sie scherzhaft und erntete ein herzliches Gelächter.„Aber bitte, Professor Horák, jetzt haben wir Sie lange genug warten lassen.”
Horák räusperte sich und legte die Hand auf sein Exemplar der Studie, bevor er mit der für ihn typischen Falsettstimme Folgendes zu bedenken gab: „Das geopolitische Umfeld, in dem sich die tausend URP-Regionen zu behaupten haben, ist katastrophal, wir alle wissen das. Wir erleben gerade den Zusammenbruch des skrupellosesten und menschenverachtendsten Systems der Geschichte, das Armageddon der Menschheit. Dieser Hinweis ist notwendig, damit wir die Konflikte und Schwierigkeiten verstehen, mit denen es unsere Regionen zu tun bekommen, wenn sie nicht bereit sind, neben der neuen Lebensführung – ich komme darauf noch ausführlich zu sprechen – auch klassische Verteidigungsstrategien zu entwickeln.”
Er strich mit dem Zeigefinger über seinen scharfkantigen Nasenrücken und blickte sich aus blitzenden, blassgrauen Augen um. „Mit dem Bankrott der einstmals großen Industriestaaten”, fuhr er fort, „sind natürlich auch sämtliche Sozialsysteme zusammengebrochen. Die Menschen verhungern in den Städten und dort, wo sie noch Kraft haben, kommt es zu blutigen Aufständen, die von den Privatarmeen der herrschenden Eliten unter großem Aufwand niedergeschlagen werden.
Im US-amerikanischen Bundesstaat Georgia steht ein Monument aus Granitstein. Es wurde 1978 von einer unbekannten Person in Auftrag gegeben und ist dem englischen Stonehenge nachgebildet. In die massiven Blöcke ist eine Art Satzung in acht modernen Sprachen eingraviert. Auf der Oberseite der Blöcke findet sich diese Satzung in verkürzter Form noch einmal in vier altertümlichen Sprachen wieder: Babylonisch, Altgriechisch, Sanskrit und in ägyptischen Hieroglyphen. Wörtlich heißt es: ›Halte die Menschheit unter fünfhundert Millionen in fortwährendem Gleichgewicht mit der Natur / Lenke die Fortpflanzung weise, um Tauglichkeit und Vielfalt zu verbessern / Vereine die Menschheit mit einer neuen, lebendigen Sprache / Beherrsche Leidenschaft, Glauben, Tradition und alles sonst mit gemäßigter Vernunft / Schütze die Menschen und Nationen durch gerechte Gesetze und gerechte Gerichte / Lass alle Nationen ihre eigenen Angelegenheiten selbst intern regeln und internationale Streitfälle vor einem Weltgericht beilegen / Vermeide belanglose Gesetze und unnütze Beamte / Schaffe ein Gleichgewicht zwischen den persönlichen Rechten und den gesellschaftlichen/sozialen Pflichten / Würdige Wahrheit, Schönheit, Liebe im Streben nach Harmonie mit dem Unendlichen / Sei kein Krebsgeschwür für diese Erde / Lass der Natur Raum, lass der Natur Raum.‹”
Der Professor hielt einen Moment inne. „Ich habe diesen Text in meinen Gedanken lange hin und her bewegt”, sagte er, „er formuliert ja einige Ideale, mit denen man durchaus einverstanden sein kann. Bis auf den ersten Halbsatz: ›Halte die Menschheit unter fünfhundert Millionen.‹ Wenn die globale Bevölkerungszahl sich heute bei fünfhundert Millionen befände, wäre das zu unterschreiben, aber so bedeutet diese Zielsetzung nichts anderes als einen in seinen Dimensionen nicht vorstellbaren Massenmord. Dass er bereits eingesetzt hat, halte ich für möglich. Es gibt genügend Indizien, die darauf hinweisen. Die Rückkehr längst überwunden geglaubter Seuchen zum Beispiel, die vor keiner Grenze haltmachen. Es sei denn, man sichert diese Grenzen ab. Will heißen: Niemand kommt von außen unkontrolliert in eine Region. Ich weiß, das klingt unvorstellbar für Sie und scheint absolut inakzeptabel. Wir weisen aber deshalb darauf hin, weil klar sein muss, dass eine gesellschaftliche Neuausrichtung in einer kollabierenden Welt nicht möglich ist, ohne die Erschütterungen zur Kenntnis zu nehmen, die der Kollaps mit sich bringt. Dazu gehört der radioaktive Fallout ebenso wie der gigantische CO2-Ausstoß übersättigter Meere und aufgeweichter Permafrostböden. Es handelt sich hier um die Langzeitfolgen unseres fahrlässigen Umgangs mit der Natur, vor denen die Klimatologen seit Jahrzehnten gewarnt haben.
Die Liste der Probleme ist lang, ich will hier nicht im Einzelnen darauf eingehen, sie sind in der Studie ausführlich erklärt. Vielmehr reizt es mich, Ihnen an diesem wunderschönen Morgen anzudeuten, was in den Regionen alles an positiven Maßnahmen vorhanden und noch möglich ist.
Horák setzte die getönte Hornbrille ab und ersetzte sie durch eine randlose Lesebrille, die seine asketischen Gesichtszüge besonders unterstrich.
„Was in der URP-Satzung bisher als Maßgabe festgeschrieben ist, gleicht in vielen Dingen eher einer Empfehlung, als einem Diktat. Lateinisch dictare, bestimmen”, entschuldigte er sich achselzuckend, als er den Unmut in Maevas Gesicht bemerkte. „Die Satzung steht unserer Meinung nach unter einem etwas zu schwammig gehaltenem Motto. So heißt es zu Beginn: „Ein wesentlicher Aspekt wird sein, am Eingang der wirtschaftlichen Produktionsprozesse die Weichen so zu stellen, dass alles, was hergestellt wird, letztendlich in den Kreislauf der Natur zurückkehrt. Was nicht in die Wirtschaft hineingeht, kann auch nicht als Abfall, Einleitung oder Emission herauskommen.“ Später wird es konkreter: „Als absolutes Tabu in den Mitgliedsregionen der URP gilt der Ge- und Verbrauch von Erdöl, Kohle, Atomkraft und künstlich produzierten chemischen Verbindungen. Beton ist als Baustoff unerwünscht. Genmanipulationen an Pflanzen, Tieren oder Menschen sind verboten.“ Auch zum Finanzsystem finden sich klare Anweisungen, die Schließung der Börsen zum Beispiel. Aber anstatt konkret zu bleiben, weicht die Satzung an entscheidenden Stellen in Absichtserklärungen aus. Zum Schluss legt die URP ihren Mitgliedern eine neue Bodenordnung ans Herz. Ich zitiere: „Die Idee, die hinter unserer Bodenreform steht, ist so einleuchtend wie vernünftig: Das Land gehört allen Menschen, es darf der Allgemeinheit nicht abgekauft werden. Es wird dem Einzelnen lediglich zur Nutzung überlassen. Vom erwirtschafteten Gewinn profitiert dann die ganze Gemeinschaft.“
Das, meine Damen und Herren, ist Poesie, aber kein Gesetzestext. Einen solchen braucht es aber. Die URP-Regionen nehmen inzwischen ein Viertel der gesamten Erdoberfläche ein. Genug Power also, um den Gesamtzustand der Erde positiv beeinflussen zu können. Dazu braucht es konkrete Vorschriften – Gesetze, Diktate. Und diese Vorschriften müssen für alle Mitglieder verbindlich sein.”
Professor Horák blickte Maeva an: „Ich spüre ein gewisses Unbehagen bei Ihnen”, sagte er, „das überrascht mich nicht. Ihre Einstellung zu den diktatorischen Maßnahmen, die man in ECOCA ergriffen hat, ist uns bekannt. Aber zwischen der Ökodiktatur und einer strengen ökologischen Gesetzgebung besteht ein gewaltiger Unterschied. Die von uns vorgeschlagenen Gesetze sind nicht gegen die Menschen gerichtet, sondern erhöhen deren Lebensqualität, das ist etwas völlig anderes.
Was ist verkehrt daran, wenn statt der normalen Mobiltelefone das G-Com Pflicht wird? Was ist verkehrt daran, wenn man die Regionen drängt oder gar verpflichtet, in der Landwirtschaft mit der schwarzen Erde, der Terra Preta zu arbeiten? Ebenso wichtig wie die Schwarzerde ist der Anbau von Hanf. Hanf unterstützt die Produktion der Terra Preta, denn es findet nicht nur Verwendung in Form seiner Pflanzenbestandteile, sondern auch als Biomasse zur Herstellung chemischer Grundstoffe. Mittels Pyrolyse erhält man Methanol, Öle, BTU-Gas und Holzkohle. Durch Fermentation entstehen Alkohole und methanhaltiges Biogas, aus dem Wärme und Strom erzeugt werden können. Hätten beispielsweise die USA auf nur sechs Prozent ihrer Fläche Hanf angebaut, wäre mit der darauf gewonnenen Biomasse der Gesamtbedarf der Vereinigten Staaten an Benzin und Öl zu decken gewesen. Hanf ist ein Muss für jede Region. Insgesamt ließen sich circa fünfzigtausend Produkte aus dieser Pflanze herstellen, das käme einer Revolution in unserem Alltag gleich.
Ich nenne Ihnen noch einige andere Verbote und Gebote, die sinnvoll sind und deshalb in die Satzung gehören. Das Kunststoffverbot beispielsweise. Äußerst wichtig wäre ein Gesetz, das die Entsorgung der Müllaltlasten in den Regionen regelt. Dazu gehören die Säuberung der Wälder, Flüsse und Seen. Im Anschluss daran bräuchte es ein Renaturierungsgebot. Das betrifft vor allem die Industriebrachen. Die Natur muss zurückgewonnen werden, um den verbliebenen Tierarten das Überleben zu sichern. Von Artenvielfalt kann ja heute keine Rede mehr sein, also kümmern wir uns um den Rest. Per Gesetz.
Die Regionalisierung der Wirtschaft muss vorangetrieben werden. Das Bildungssystem wäre ein weiterer Punkt, der in die Satzung gehört. Es sollte sich in erster Linie an der Natur ausrichten. Dazu hat Doktor Berggruen in der Studie ausführlich Stellung bezogen. Dann wäre da das Verhütungsgebot. Wichtig. Die Regionen müssen zahlenmäßig in etwa stabil bleiben, damit berechenbar gebaut und angepflanzt werden kann und ein nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen möglich ist. Die Frauen sollten wieder auf natürliche Verhütungsmethoden zurückgreifen können, auf Pflanzen also, die das Problem in den alten Kulturen seit Jahrhunderten gelöst haben. Es gibt Hunderte solcher Pflanzen in allen Klimazonen der Welt. Zum Glück konnten viele dieser Pflanzen vor der Patent- und Monopolisierungssucht der Pharmaindustrie gerettet werden.”
„Darf ich kurz unterbrechen…?!”
Professor Horák blickte irritiert auf.
„Hier bin ich…”
Vier Plätze zu seiner Linken hob eine attraktive Dame um die vierzig ihre mit Goldschmuck verzierte Hand und lachte. Es war Doktor Cipriana Navarrete, Toxikologin von der Universidad Católica del Norte in Santiago de Chile. Horák hatte eine Schwäche für die Frau mit den Dachsaugen und er fand, dass er sich ihr gegenüber in den letzten Tagen äußerst ungelenk verhalten hatte.
„Aber bitte, Frau Doktor, unterbrechen Sie nur…”, stammelte er.
„Danke, Professor. Unsere Studie – mit der ich, wie die Kollegen wissen, nicht in allen Punkten einverstanden bin – spricht davon, dass die Bevölkerungszahlen in den Regionen stabil bleiben müssen. Das werden sie sowieso, verlassen Sie sich darauf. Und ich möchte hinzufügen: Wenn wir Glück haben, werden sie das!
Während die jüngste UNO-Prognose noch von einem ungebrochenem Anstieg der Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen bis zum Jahre 2050 spricht, gehen viele Wissenschaftler inzwischen davon aus, dass die Kurve sogar schon nach unten zeigt. Zu beweisen ist weder das eine noch das andere. Die Zahl der Menschen auf diesem Planeten ist nicht mehr zu ermitteln. Wer sollte und wollte uns zu Zeiten des Harmagedons zählen? Und mit welchen Methoden? Alle Strategien zur Entschärfung der angeblichen Population Bomb, alle ordnungspolitischen Aktivitäten, die sich auf derart zweifelhafte Statistiken stützen, sind zum Scheitern verurteilt. Wovon wir jedoch detailliert Kenntnis haben, sind die Stolpersteine, die unsere Zivilisation dem ungebrochenen Bevölkerungswachstum in den Weg gelegt hat und deren Auswirkungen für Millionen, ich würde sogar sagen für Milliarden Menschen unerträgliches Leid und Tod bedeuten. Ob es sich um den atomaren Fallout, die Folgen des Klimawandels oder um Kriege und Bürgerkriege handelt – ich muss ihnen das im Einzelnen nicht aufzählen, es ist ein globales Trauerspiel, in dem eine Katastrophe in die nächste greift. Und jede dieser Katastrophen trägt erheblich zur Dezimierung des Menschengeschlechts bei, das steht ja wohl außer Frage. Aber bis vor zwanzig, dreißig Jahren wurden die gigantischen Verluste von den Geburten noch ausgeglichen. Das ist heute nicht mehr so.”
Doktor Cipriana Navarrete sah Maeva, Omai und Rajani der Reihe nach an, als wollte sie eruieren, wie viel Wahrheit ihnen an dieser Stelle zuzumuten sei. Aber hier ging es sozusagen ums Eingemachte. Hier ging es um die elementare Frage, ob die menschliche Rasse in Bälde noch in der Lage sein würde, sich fortzupflanzen, oder ob ihr die Evolution ein für alle Mal einen Riegel vorschob. „Die Menschen sind auf dem besten Wege auszusterben”, sagte sie unvermittelt. „Nicht weil sie sich gegenseitig vernichten, das haben sie immer getan und sind doch immer mehr geworden. Nein, wir sterben aus, weil wir demnächst nicht mehr zeugungsfähig sein werden. Das ist schon einer ganzen Reihe von Tierarten passiert, unter anderem den Alligatoren, die zu den ältesten Lebewesen auf diesem Planeten gezählt haben. Bei der Frage, warum sich eine Spezies nach der anderen auf diese Weise verabschiedet, sind wir auf Vermutungen angewiesen, beim Menschen kennen wir die Ursache: Plastik.
Die Meeresschutzorganisation Oceana berichtet, dass weltweit stündlich circa tausend Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen werden, wovon die Hälfte aus Plastik besteht. Es gibt Gegenden so groß wie Europa, in denen die Plastikkonzentration um das Vierzigfache höher ist als die Planktonkonzentration. Und es wird noch schlimmer kommen in den nächsten Jahren, da die größeren Teile, die man theoretisch noch aus dem Wasser fischen könnte, durch die Arbeit der Sonne und des Salzes allmählich abgebaut und zu kleinen Teilchen zerfallen, die von den Meeresbewohnern aufgenommen werden und am Ende der Nahrungskette in unseren Mägen landen.
Jetzt fragen Sie sich, was dies mit der wachsenden Zeugungsunfähigkeit zu tun hat, schließlich ernährt sich nur gut die Hälfte der Menschheit von den Früchten des Meeres. Richtig. Aber Plastik ist überall, in jedem Haushalt und auf jeder Müllkippe. Und überall im Plastik sind Phthalate. Sechshundert von diesen allgegenwärtigen Weichmachern haben sich über die letzten hundert Jahre nachhaltig in unser Leben gefressen. Und noch lange, nachdem man ihre gesundheitsschädigenden Wirkungen erkannt hatte, war es der Politik nicht möglich, die PVC-Industrie in die Schranken zu verweisen. Weichmacher gehörten zu den meistverkauften Chemikalien der Welt. Dumm nur, dass Phthalate nicht in den Verpackungen bleiben, sie bleiben auch nicht im Küchengerät oder im Kinderspielzeug – Phthalate verflüchtigen sich, sie gehen sozusagen in die Luft – in unsere Atemluft.
Die Universität Católica del Norte hat vor zwei Jahren aus eigenen Mitteln eine Studie finanziert, in der Kinder aus allen fünf Kontinenten auf Phthalate untersucht wurden. Wir haben kein einziges Kind gefunden, das nicht belastet war. Viele Kinder werden bereits im Mutterleib Opfer der Weichmacher. So wird beispielsweise die Entwicklung des Hodens gestört. Bei erwachsenen Männern sind die Testosteron-Niveaus inzwischen deutlich abgesenkt, was eine Verschlechterung der Spermaqualität zur Folge hat. Aber wirklich fatal ist die Wirkung der Weichmacher auf den Hormonhaushalt. Bei jungen männlichen Fischen zum Beispiel wird ein Protein gefördert, das eigentlich nur bei ausgewachsenen Fischen vorkommt und ausschließlich der Eiproduktion dient. Mit anderen Worten: Die Weichmacher haben dafür gesorgt, dass die männlichen Fische verweiblichen. Und genau diese Entwicklung steht uns Menschen nun auch bevor… In Anbetracht dieser Tatsache”, schloss Doktor Cipriana Navarrete lächelnd, „sollten wir uns eigentlich über jeden gesunden neuen Erdenbürger freuen. Danke, Professor Horák, dass Sie mich haben ausreden lassen.”
Der Tscheche errötete leicht, bevor er seine Rede wieder aufnahm.
„Neben den Ver- und Geboten, von denen ich gesprochen hatte”, begann er mit belegter Stimme, „sollte die Satzung aber auch Empfehlungen aussprechen. So empfiehlt es sich beispielsweise, den Moringabaum großflächig anzupflanzen. Keine andere Pflanze enthält so viel Nähr- und Vitalstoffe wie der Moringabaum. Die Inder nennen ihn den Baum des Lebens. Seine Heilkraft ist legendär. Aber der Baum ist noch in anderer Hinsicht von unschätzbarem Wert: Er ist in der Lage, verschmutztes Wasser in relativ kurzer Zeit zu reinigen, eine Eigenschaft, die man heute gar nicht hoch genug schätzen kann und die weltweit viele Probleme zu lösen in der Lage ist.”
Der Professor setzte die Brille ab und rieb sich die Augen. „Ich möchte Sie nicht über Gebühr ermüden”, sagte er, „deshalb schließe ich meinen kleinen Vortrag an dieser Stelle. Aber ich hoffe, dass ich Ihnen zumindest vermitteln konnte, warum unsere Studie, aus der ich Ihnen ja nur einen kleinen Vorgeschmack geben konnte, so umfangreich ausfallen musste. Die Schwierigkeit wird jetzt sein, unsere detailliert ausgearbeiteten Ideen in einen lesbaren Gesetzestext zu fassen. Auf keinen Fall darf die Satzung von Juristen formuliert werden – wann immer Juristen das Wort führen, klingt es kompliziert und nach Bevormundung. Nein, die Satzung muss sinnlich erfahrbar sein, es muss schon beim Lesen deutlich werden, dass hier die Weichen zu einem besseren Leben gestellt werden. Keine leichte Aufgabe. Am besten wäre es wohl, wenn man einen Journalisten oder Schriftsteller mit der Arbeit betraute …”
Omai und Maeva blickten sich vielsagend an. Steve kam es vor, als hätte ein Marionettenspieler ihre Gesichter einander zugedreht. Er ahnte bereits, was auf ihn zukam. Ein Besuch bei Cording im Elsass…
Die nächste Folge (Feuer am Fuß 18) erscheint am Freitag, 11. Dezember 2015.
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Offener Brief des US-Milliardärs Nick Hanauer an seine reichen Freunde: "Ich sehe Mistgabeln" vom 3. Juli 2014 in: Independent24
Der Baum des Lebens!
Moringa Oleifera und Hildebardtii – schon der Name dieser bei uns erst seit kurzem bekannten Pflanze klingt wie eine Zauberformel. Die Arten dieser Gattung sind laubabwerfende, kleine Sträucher oder Bäume mit knolligen Wurzeln oder „Flaschenbäume“ mit angeschwollenen Stämmen.
In Indien nennt man ihn Baum des Lebens. Schon seit über 5000 Jahren hat Moringa einen festen Platz in der traditionellen ayurvedischen Heilkunst.Mehr als 300 Krankheiten soll er angeblich heilen können. Die Pflanze gilt als das mit Abstand nährstoffreichste Gewächs überhaupt. Zahlreiche wertvolle Nähr- und Vitalstoffe sind besonders in den Blättern oder im Blattpulver in optimal abgestimmter Form zu finden. Hervorzuheben ist hierbei die hohe Anzahl an Aminosäuren, denn 18 von 20 bekannten essentiellen Aminosäuren konnten in den Blättern nachgewiesen werden. Diese können vom menschlichen Organusmus nicht selbstständig hergestellt werden, sind jedoch wichtiger Bestandteil für den Sauerstofftransport im Körper, die Konzentrationsfähigkeit und viele wichtige Gehirnfunktionen.
Auch ein hoher Anteil an Antioxidantien sind in der Moringapflanze nachgewiesen. Sie sind unablässig für einen leistungsfähigen Organismus, denn sie schützen uns vor freien Radikalen, die häufig die Ursache von Erkrankungen sein können.
Die so genannten ORAC-Werte („oxygen radical absorbance capacity“), mit Hilfe dessen festzustellen ist, zu welchem Maße freie Radikale gehemmt werden, sind bei Moringa bedeutend höher als bei anderen Pflanzen. Die Blätter der Moringa haben also eine besonders hohe antioxidative Wirkung – Quelle: Gesundheitsinstitut Deutschland
Abbildung: Moringa Hildebrandtii Baum. Quelle: Wikipedia, CC
ZITAT
„Wo materieller Fortschritt, wo Eroberungen von ganz äußerlicher Perfektion herrschen, an welcher weder unser Herz noch unser Menschenkörper teilhaben konnten, wo all das herrscht, was sich auf Bequemlichkeiten stützt und sich unter Ausschluss jedes inneren Fortschritts auf dieser Grundlage verfeinert, da hat sich echte Kultur nicht mehr entwickelt. Im Maße, wie wir Fortschritte machen und unser Einfluss auf die äußere Natur uns Wüsten beschert, die messbar sind, entgeht uns gleichsam der Himmel, und bei dieser Ausdrucksweise handelt es sich um ein Bild, das für die Realität nicht ohne Folgen ist."
ANTONIN ARTAUD (1896-1948) war ein französischer Schauspieler, Dramatiker, Regisseur, Zeichner, Dichter und Theater-Theoretiker.
Foto: Antonin Artaud um 1926. Aufgenommen von einem Fotograf der Agence de presse Meuriss. Quelle: Bibliothèque nationale de France (gemeinfrei)
STIMME ZUM BUCH
Die besondere Bedeutung dieses Buches geht aber weit über der eigentlich darin erzählten Geschichte hinaus! Tahiti könnte als eine Art Code-Begriff für Eingeweihte werden, die sich darin einig sind, dass es möglich wäre aus der kapitalistischen Ideologie des angeblich "freien" Marktes, des unbegrenzten Wachstums und der Zerstörung unseres Planeten auszubrechen und umzukehren. Dieses Buch in Form eines Zukunftsromanes macht Hoffnung darauf, dass wir es selbst in der Hand haben und auch umsetzen werden und allein deshalb sollte es als äußerst wertvoll weiter empfohlen werden. Fazit: Kaufen! Weitersagen!!!
Sozialprojekte.com über „Das Tahiti-Projekt“
Dirk C. Fleck wurde 1943 in Hamburg geboren. Nach dem Studium an der Journalistenschule in München volontierte er beim Spandauer Volksblatt in Berlin und war Lokalchef der Hamburger Morgenpost. Er war Redakteur bei Tempo und Merian, seit 1995 ist er als freier Autor für die Magazine Spiegel, Stern und Geo tätig und schreibt für die Welt und die Berliner Morgenpost. Er ist Autor des Öko-Thrillers Palmers Krieg (1992) sowie des Zukunftsromans GO! Die Ökodiktatur (1996), für den er den deutschen Science-Fiction-Preis erhielt. Dirk C. Fleck lebt und arbeitet in Hamburg.
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