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CF: Ich empfinde das betonte Selbstreferentielle hier auch öfters als schwierig. Manchmal steht sich Hamburg damit selbst im Weg. Auch in Bremen wird beispielsweise vieles sehr gut gemacht, aber da schaut man ungern hin und denkt: „Ach, Bremen...“ Jetzt leiten sie seit einigen Monaten die Kreativ Gesellschaft. Ich habe gehört, dass Sie auf den Begriff der ‚Gesellschaft’ bestanden haben. Ich finde das sehr bemerkenswert, warum haben sie darauf bestanden? Warum nicht der Begriff der Agentur wie ursprünglich von Seiten Hamburg postuliert?
ER: Letztendlich gibt es zwei Gründe: Der eine ist, dass ich den Begriff ‚Agentur’ für ganz falsch konnotiert halte. Und der andere, dass ich sofort wahrgenommen habe, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Projekt der Kreativagentur unter anderem auch an dem Begriff Agentur gerieben hat.
Die Diskussion über den Begriff war notwendig und legitim. Das Beste, was wir daraus machen konnten war, das Projekt ‚Hamburg Kreativ Gesellschaft’ zu nennen. Und ich finde ‚Gesellschaft’ insofern auch einen guten Begriff, weil er in seiner doppelten Wahrnehmbarkeit darauf verweist, das hinter dem merkantilen noch eine andere Idee stecken kann.
CF: Auch der Begriff des Kreativen ist ja durchaus umstritten. In manchen künstlerischen Genres ist dieser sogar negativ besetzt. „Ich will kein ‚Kreativer’ sein!“, heißt es und nicht nur bei denjenigen, die aus den Haltungen der 1960er- und 70er-Jahre heraus argumentieren. Dieser Begriff in der Konnotation zur Wirtschaft und zur Branche, was bedeutet der für Sie?
ER: Ich habe neulich eine öffentliche Diskussion gehört, die über das Kulturbüro NRW zum Thema Kreativwirtschaft geführt werden sollte. Es saßen unter anderem der Regionalbeauftragte der Bundesregierung für NRW und auch Christine Ebeling von „Komm in die Gänge“ mit am Tisch. Es war von Anfang an klar, dass es keine Definition über die verwendeten Begriffe gab. Da redete der eine über Kreativität, der eine über Künstler, der dritte über Kultur und jeder sprach nur für sich und schimpfte auf diesem Hintergrund seines eigenen Begriffs. Miteinander reden war irgendwie gar nicht möglich!
Kreativität ist ein großer und diffuser Begriff. Auch ich finde es definitorisch sehr schwierig und nicht nur weil er gerade inflationär benutzt wird. Ich würde mir fast wünschen, wir könnten den Begriff zwei Jahre liegen lassen, um ihn dann wieder in die Hand zu nehmen und zu schauen, was davon übrig geblieben ist.
Ich spreche lieber darüber, was Kultur, was Kunst und was Kreativwirtschaft ist. Was die Kunst betrifft, bin ich ein großer Verfechter einer eher autonomen und authentischen Kunst. Da bin ich gewissermaßen ein Fundamentalist. Die Kunst darf nicht instrumentalisiert werden. Sie steht für sich und hat im besten Falle auch jene eigene Kraft, die sich immer ein Stück weit einer Erklärung entzieht und etwas neues schafft. Das macht sie eigentlich auch aus. Sie kreiert eine eigene Wahrnehmung, die man mit allen Sinnen empfinden kann, also auch intellektuell verstehen kann, aber vielleicht weniger beschreiben kann. Also das ist mein Kunstbegriff.
Aber dann gibt es den Kulturbegriff, der eher Zivilisation meint und den Begriff der Kreativwirtschaft mit einer klaren Definition was das ist. An der halten wir uns in unserer Arbeit.
In Hamburg gibt es dieses neue Leitprojekt „Kreatives Hamburg“, da wird es dann wieder schwammig und ich bin sehr froh, dass wir dafür nicht zuständig sind. Wir sind zwar ein wichtiger Teil des Leitprojektes, aber zu planen, wie wir eine kreative Stadt werden, das finde ich vermessen und damit wären wir sofort überfordert.
Ich weiß aber auch, dass, wenn wir einen guten Job in der Kreativwirtschaft machen und am Ende dann die Kunst und das Lebendige noch deutlicher sichtbar sind, dann hilft das, zu einer kreativen Stadt zu kommen. Stärkung der Kreativwirtschaft ist ein Baustein dafür.
CF: Ich erinnere mich gut daran, als verschiedene Bundesländer sich dran machten, Kulturwirtschaftsberichte in Auftrag zu geben. Allerdings ohne wirklich vergleichbare Parameter, denn die Definition, wer und was zur Kreativwirtschaft gehört, wurde individuell entschieden. Während in einigen Berichten die Bereiche Film und Architektur nicht auftauchten, waren es in anderen Kunst oder Musik. Gibt es da denn jetzt eine einheitliche Definition?
ER: Zwei Dinge gibt es dazu zu sagen: Zum einem, es gibt eine einheitliche Definition des Bundes, präziser der Wirtschaftsministerkonferenz, aber beispielsweise keine auf EU-Ebene, da herrscht nach wie vor das von Ihnen erwähnte Wirrwarr. Es gibt nun auch in den Ländern eine einheitliche Definition von elf Teilmarken, die identisch der des Bundes sind. Man scheitert allerdings auch dort, die Kräfte dieses Wirtschaftszweiges statistisch zu erfassen. Was in der Branche der Chemie oder der Automobilindustrie messbar und vergleichbar ist, trifft auf die Kreativwirtschaft, trotz länderübergreifendem Leitfaden, nicht oder nur teilweise zu. Das liegt daran, dass Unternehmen im Kreativbereich oft unterhalb der statistischen Messbarkeit liegen, sie sind zu klein. Auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Dazu kommt, dass die Kreativwirtschaft sich in verschiedene Sektoren spaltet, zum Beispiel dem öffentlichen Sektor: Institutionen, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befinden wie Theater und Museen. Zwar kann hier die sozialversicherungspflichtige Arbeit gemessen werden, aber die Wertschöpfung nicht und taucht entsprechend in der Statistik wenig auf, wie das beim zweiten Sektor vergleichbar ist, den Vereinen und Stiftungen. Über den weiß man auch zu wenig und erfasst ihn nicht vollständig. Selbst der gewerbliche Teil kann nur annähernd erfasst werden, wie ich eben beschrieb.
Wir sind in der Hamburg Kreativ Gesellschaft neben der Fokussierung auf Unternehmen auch auf Existenzsicherung unserer Klientel aus, was in der Bundesdefinition fehlt. Wir können dabei helfen, dass Künstler besser von ihrer Kunstproduktion leben.
CF: Welche Prämissen müssen geschaffen werden und wo liegen die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer der Kreativ Gesellschaft?
ER: Eine Prämisse wäre: Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen und dann gut, wenn wir die Bedürfnisse unserer Kunden erfüllen. Wir haben uns vier Arbeitsfelder gesetzt und beginnen jetzt mit unseren Kunden darüber zu reden, wo wir ansetzen können. Wir brauchen das Feedback und die Hinweise unserer Kunden damit wir Situationen verbessern können, die wir im Moment noch gar nicht sehen. Die vier Felder sind: Erstens Beratung, Qualifizierung und Professionalisierung sowie Vernetzung. Da haben wir den Markt einigermaßen sondiert und festgestellt, dass es in der Bundesrepublik und auch in Hamburg einen sehr verzerrten Beratungsmarkt gibt, der davon geleitet ist, Personen aus dem Arbeitslosengeld II oder Hartz IV in die Selbstständigkeit zu vermitteln. Dafür gibt es in Deutschland sehr viel Geld. Dies ist aber für unsere Klientel überhaupt nicht relevant, die sind und empfinden sich nicht arbeitslos. Die haben auch keine Idee davon, ein Unternehmen zu gründen. Wir sind nun im Gespräch, mit professionellen Einrichtungen Angebote zu schaffen. Auf der anderen Seite müssen wir unseren Akteuren vielleicht auch näherbringen, etwas unternehmerischer zu denken. Aber am Ende kann das auch falsch sein. Muss ein Musiker auch etwas über Märkte, Steuer und Recht wissen? Ich weiß es nicht. Warum entwickeln wir also keine Systeme, die eine Arbeitsteilung zur Verfügung stellen und fragen uns, wie wir dies dann finanziert bekommen? Das wäre ein anderer Weg.
Viele mit denen ich hier bislang sprach meinen, man müsse den Künstlern beibringen wie sie all das selbst machen und organisieren. Ich habe da kein endgültiges Urteil.
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