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Dass sich Künstlerinnen selbst an der andauernden Verwertung von Kunst beteiligen, ohne das Metier zu bereichern, ist nicht in erster Linie ein moralisches, sondern vor allem ein kulturelles Problem. Denn der Fundus künstlerischer Formen und Ideen wird dadurch ausgeplündert und aufgebraucht, sodass sich das Potenzial der Kunst als kulturelle Kraft verliert und schließlich ihre Fortsetzbarkeit in der bisherigen geistigen Tradition äußerst unwahrscheinlich wird. Die mit postmoderner Kettenbriefmentalität betriebene Verwertung der Kunst führt zu deren ultimativer Entwertung und ist alles andere als nachhaltig zu nennen.


Auf die Frage, was einem als Künstlerin denn sonst zu tun übrig bliebe, als sich in vermeintlicher Notwehr den falschen Verhältnissen irgendwie anzupassen, gibt es zwei mehr oder minder nahe liegende Vorschläge:


Für einen ersten Schritt zur Überwindung des Dilemmas genügte eigentlich schon der zwar nicht leicht, aber sofort ausführbare Entschluss, den Teufelskreis der künstlerisch ohnehin zum Scheitern verurteilten gegenseitigen Instrumentalisierungsversuche von Kunst und Kapital zu durchbrechen. Dazu ist nicht mehr und nicht weniger erforderlich, als auf die Zuwendung von Finanzmitteln und/oder von Anerkennung zu verzichten, wenn das von der dann nur pseudokünstlerisch zu erbringenden Erfüllung kunstfremder Absichten und Zwecke abhängig gemacht wird - Selbstbestimmung gibt es nun mal nur durch Selbstbeschränkung. (4)


Zur Verwirklichung dieses guten Vorsatzes kann die Einsicht verhelfen, dass es auch mit unfreier Kunst höchst unwahrscheinlich ist, sich aus finanziellen Nöten zu befreien. Des Weiteren hat auch die ersehnte Anerkennung nur einen sehr relativen Wert hat, da ungewiss bleibt, ob sie bloß der Servilität oder aber der künstlerischen Originalität gilt. Keine extrinsisch motivierte künstlerische Praxis auszuüben befördert zudem die unabdingbare individuelle Klärung, ob dem eigenen Kunstschaffen tatsächlich eine echte eigene Notwendigkeit zugrunde liegt. Andernfalls wäre es ratsamer, sich gleich einem leichteren und lukrativeren Geschäftsfeld als der Kunst zuzuwenden. Sich der Indienstnahme von Kunst für kunstfremde Interessen zu enthalten ist durchaus als eine Form des (indirekten) politischen Handelns in der Kunst anzusehen. Es ist allemal »ein viel stärkerer politischer Akt als das symbolische >Ausspielen< beim Verwenden politischer Inhalte innerhalb eines Kunstwerkes« (5) Etwas Politisches lediglich zum Inhalt, Thema oder Sujet von Kunst zu machen, wie es auf hohem Niveau etwa Hans Haacke tut, trägt nur dazu bei, »die formalistischen Voraussetzungen von Kunst zu verstärken«. (6) Statt gegen irgendeinen der unzähligen Polit-Skandale in Aktionismus zu verfallen, setzt »die politische Verantwortung... damit ein, dass der Künstler die Beschaffenheit von Kunst selbst hinterfragt«. (7)


Solche Fragen sollten sich einerseits auf die individuelle Sinnhaftigkeit des künstlerischen Tuns richten, andererseits auf dessen allgemeine gesellschaftliche Bedingungen. Ein zweiter Schritt, etwas Richtiges zu tun, bestünde dann als direkt politisch intendierte Kunstpraxis darin, an der Veränderung der institutionellen Verfassung des Kunstsystems mitzuwirken. Wenn größtmögliche Autonomie als die atmosphärisch und funktional wünschenswerte Qualität des Kunstsystems angesehen wird, ginge es darum, dass Künstlerinnen für ihre eigenen Organisationsformen sich selbst über Regeln verständigen, sie sich setzen und auch anzuwenden bereit sind.


Die experimentelle Erprobung solcher Regel-»Werke« wäre als ein konstitutives Moment künstlerischer Praxis zu begreifen und könnte eine Alternative zu den kommerzialisierten institutionellen Rahmenbedingungen von Kunst schaffen. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe würde das Bestehen einer Off-Szene nicht nur glaubwürdig legitimieren, sondern auch die gerade in der Alternativszene vorherrschende Gesetzlosigkeit mit ihren negativen Folgen der Desorganisation und Desorientierung zu überwinden helfen. In Zeiten forcierten Konkurrenzverhaltens und reduzierter Kulturbudgets wäre dabei ein besonderes Augenmerk auf die demokratische Selbstorganisation von beispielhaften Auswahl- und Vergabeverfahren zu richten, da sie für die Beschaffenheit des Kunstsystems konsumtiv sind.


II. MÖGLICHKEIT
Alle individuellen künstlerischen Entscheidungen, und allemal die selbst bestimmten, werden einer nachträglichen Bewährungsprobe unterworfen, die aber auch vor jeder künstlerischen Praxis als Horizont immer schon präsent ist. Dabei handelt es sich um das Bewusstsein, dass Auswahlprozesse unvermeidlich sind, damit eine Arbeit die private Sphäre verlassen und zu einem öffentlichen Faktor im Kunstsystem werden kann.


Dieses hässliche Faktum, dass man auch und gerade in der Kunst nicht um Selektionen herumkommt, wird möglichst bagatellisiert, tabuisiert oder ironisiert. In der Regel lässt man dieses für schmutzig gehaltene Geschäft von irgendwelchen für konform gehaltenen Jurys erledigen und zu einem »Moderationsprozess« verklären. Unter den heutigen sozioökonomischen Bedingungen geht es dabei nicht mehr um die Verteilung von Anerkennung, sondern um die Verteilung von Existenzchancen, nämlich als Künstlerin weiterleben und -arbeiten zu können - oder eben nicht.


An anderer Stelle (8) findet sich eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Juryproblematik, weswegen ich mich hier in pragmatischer Absicht zuerst auf drei wesentliche Kritikpunkte beschränke und dann einige Verbesserungsvorschläge mache, die darauf zielen, die Selektionsbedingungen strukturell zu verändern:

1. Keine der JurorInnen muss sich für die gefällten Entscheidungen verantworten.
Werden Jurymitglieder nach einer Begründung für ihre Entscheidungen gefragt, so verweisen sie auf ihre vermeintliche Verschwiegenheitspflicht. Dabei gibt es meist gar nichts zu verschweigen, weil auch in den Auswahlsitzungen die Entscheidungen selten begründet werden. Die Standardausrede dafür lautet, dass man sich ja auf keinen Fall ein Urteil über Kunst erlauben möchte, da dies doch heute gar nicht mehr möglich sei. Erörterungen der künstlerischen Qualität werden mit Hinweisen darauf unterbunden, dass man solche Diskussionen für anmaßend halte und deshalb natürlich auch sich selbst dazu nicht berufen fühle; zudem sei man schließlich nicht in einem philosophischen Seminar.

 
2. Als entscheidendes Auswahlkriterium gilt der tatsächliche oder vermeintliche Erfolg einer Sache.
Im Zeichen der Ökonomisierung reduzieren sich die - gleich ob von Staat oder Wirtschaft - an die Kunst gerichteten Ansprüche, Interessen und Erwartungen auf die eine entscheidende Frage: Bringen sie materiell oder symbolisch einen messbaren (Geld- oder Geltungs-) Gewinn ein? Diesem ökonomistisch verkürzten Zweck- und Prestigedenken werden alle qualitativen Aspekte der Kunst untergeordnet oder angepasst. Die allseits verbreitete und devote Übernahme von solchen sachfremden Gesichtspunkten entzieht - mehr oder weniger unabhängig von den gerade agierenden Personen - ganz zwangsläufig jeglichen fachspezifischen Diskursen den Boden. Die Jurorinnen agieren letztlich wie Lobbyisten, und alle Ansätze des Argumentierens dienen anstelle einer möglichst sachgerechten wie unabhängigen und wirklich (ergebnis-) offenen Entscheidungsfindung und -begründung der nachträglichen Rationalisierung des vorab Gewussten und Gewollten.

 
3. Es wird zumeist das gefördert, was der Förderung wahrscheinlich am wenigsten bedarf.
Wenn der Grundsatz für vernünftig gehalten wird, dass , so werden Sinn und Zweck von Kunstförderung durch die praktizierten Auswahlverfahren geradezu pervertiert. Denn während es besonders angesichts knapper Mittel geboten wäre, die Qualitätsdiskussion über deren Vergabe auf solche Kunstentwürfe zu konzentrieren, »die bedroht sind und ohne eine solche zusätzliche Förderung untergehen würden« (9), ist eben der feste Vorsatz verbreitet, möglichst das zu finden und zu fördern, was bereits »erfolgreich« ist oder zu werden verspricht. Da sich indes genau diese Kunst am ehesten über den Verkauf finanziert, degradieren sich Jurys zu Zulieferungsagenturen für den Markt. Eine solche - vielfach mit öffentlichen Mitteln betriebene - Kunstförderung ist dann tatsächlich primär Wirtschaftsförderung.

 
Diese relativ deprimierende Diagnose erzwingt geradezu die Frage nach den Möglichkeiten einer grundsätzlichen Veränderung der überkommenen Jurierungsrituale: Wie wären Auswahlprozesse zu organisieren, in denen auch eine tatsächlich förderungsbedürftige Kunst sich als förderungswürdig erweisen könnte? Oder anders gefragt: Wie ist die notorische Benachteiligung bzw. Unterdrückung tatsächlich innovativer, also alternativer, radikaler und konsequenter künstlerischer Arbeitsansätze zu verringern, sodass diese für die kulturelle Evolution gleichsam unverzichtbaren »Mutanten« nicht eliminiert werden?

 
Zur Rechtfertigung der skandalösen Jurierungspraktiken verweist man gerne auf den im Unterschied zum Kuratorenmodell immerhin demokratischen Charakter der gängigen Jurierungspraxis. Damit wird nicht nur betont, dass jeder Urteilsspruch natürlich auf einem Mehrheitsvotum basiert, sondern zugleich wird auch das Entscheidungskriterium »Erfolg« als durch und durch demokratisch dargestellt. Indes ist ein allein auf das Mehrheitsprinzip und damit auf den Mainstream fixiertes Demokratieverständnis allemal in einem hochspezialisierten gesellschaftlichen Teilbereich wie der Kunst primitiv. Statt der einmaligen, einsamen und endgültigen mehrheitlichen Willensentscheidung müsste die zuvor in den gesellschaftlichen Gruppen und Subsystemen zu organisierende Willensbildung wieder ins Zentrum der Demokratisierungsversuche rücken.

 
Dabei sind alle Anstrengungen darauf zu richten, dass die Willensbildung in allen Phasen und in jeder Hinsicht sich im erweiterten Verständnis höchst demokratisch vollziehen kann und das Recht sowie das Vermögen aller Beteiligten zur Selbstbestimmung stärkt. Erst unter dieser Voraussetzung wird es wahrscheinlicher, dass die in Auswahlverfahren fachlich geforderte Unabhängigkeit und moralisch gebotene Verantwortung auch tatsächlich aufgebracht wird.


Doch nicht nur für die Steigerung der Professionalität und Seriosität, sondern insbesondere für die Zurechenbarkeit individueller Verantwortung, ohne die jede Selektionsentscheidung eine Farce wäre, ist Selbstbestimmung unabdingbar. »Das Grundgesetz verwendet denn auch die Begriffe Verantwortung und Entscheidungsfreiheit synonym...«, während »... sich Politiker und Gesetzgeber angewöhnt haben, von Eigenverantwortung anderer zu reden, und damit nicht selbst bestimmte Freiheit, sondern im Gegenteil die Erfüllung fremd gesetzter Pflichten meinen« (10), so der Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio.


Wie also sind Auswahlverfahren derart als demokratische Institute der freien, offenen Willensbildung zu organisieren, damit nicht nur ihre Qualität und Legitimität, sondern auch ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit erhöht wird?


1. Auswahlverfahren sollten nicht bloß auf das Ergebnis fixiert sein, sondern die Art und Weise wie sie praktiziert werden, wäre als mindestens ebenso wichtig anzusehen und ein adäquates Maß an Zeit und Geld hierfür zu investieren. So sollte etwa die bezweckte Förderung sich nicht erst als Ergebnis des abgeschlossenen Auswahlverfahrens für verschwindend wenige der Bewerberinnen ausschließlich in Form finanzieller Zuwendungen realisieren. Vielmehr wäre anzustreben, dass sowohl materiell (etwa durch angemessene Erstattung der aufgewendeten Bewerbungskosten) als auch ideell (etwa durch intensive Diskussion der eingereichten Arbeitsproben) auch im Auswahlprozess selbst möglichst viele bereits profitieren können, statt nach dem Prinzip »the winner takes it all« zu verfahren.

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