Demokratische Freiheiten bekommt man nicht geschenkt. Das macht das Buch „Der Himmel ist blau. Kann sein“ auf schmerzhafte Weise bewusst.
28 österreichische Frauen erzählen darin von ihren Erlebnissen im Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft von 1938 und 1945, spannend, hautnah und berührend. Das Buch bildete in Österreich 1985 den Auftakt, endlich öffentlich den wichtigen Beitrag von Frauen im Widerstand gegen Krieg und NS-Terror zu thematisieren.
Um in einer Zeit zunehmender Geschichtsvergessenheit die Stimmen dieser mutigen Frauen präsent zu halten, hat sich der Wiener Promedia Verlag entschieden, die Interviews jetzt in einer neuen Edition zu publizieren.
Kurz vor Kriegsende gelingt es der Wiener Arbeiterin Agnes Primocic mithilfe zuverlässiger Freundinnen, einer Gruppe politischer Häftlinge zur Flucht zu verhelfen. Die ehemalige Sozialdemokratin und Betriebsrätin schmuggelt Zivilkleidung und Waffen in ein Konzentrationslager in Pinzgau bei Schloss Fischhorn. So rettet sie den Männern das Leben, denn die Deutschen beginnen bereits, vor den anrückenden Alliierten ihre Verbrechen zu vertuschen und töten daher gezielt politische Häftlinge. Mehrmals gerät Agnes Primocic dabei in brenzlige Situationen und verdankt nur ihrer Intuition und Geistesgegenwart, dass sie unentdeckt bleibt.
„Ich hab schon das Herz unten in den Zehen gespürt“, erinnert sie sich im Interview, „es ist mir ja net einerlei gewesen, ich hab ja auch an die Kinder denkt und an das Versprechen, das ich mein Mann geben hab. Aber das Gefühl, wenn ich die rausbring, wenn ich 17 Leben retten kann! Mein ganzer Kampf, mein ganzes Bemühen gegen das Regime ist ja gewesen, vielleicht net bewußt, sondern unbewußt, zumindest Leben zu retten.“
Dieses Zitat – die mundartliche Ausdrucksweise wurde aus den Interviews in die Schriftfassung übertragen - und letztlich die ganze Geschichte von Primocic sind kennzeichnend für die Mehrheit der im Buch präsentierten Frauen. Bis auf wenige Vertreterinnen aus dem bürgerlichen Milieu entstammen die meisten armen Wiener Arbeiter- oder Kärntner Bauernfamilien. Für die Entwicklung eines Klassenbewusstseins brauchen sie keine Bücher, das lehrt sie allein die alltägliche Erfahrung, wie es z.B. Maria Bures beschreibt: Sie hätte gerne eine Ausbildung gemacht und wäre Friseuse geworden, aber dafür fehlte das Geld. Zur Politik kommt sie „durch den Hunger, weil die Reichen so viel haben und weil ich einen Zorn gehabt hab, dass ich so viele Stunden in der Waschkuchl steh. Da ist mir der Knopf aufgegangen. Hab ich mir dacht, ich bin dumm, weil ich das so mach. Die Not wär ja gar net notwendig, wenn die Arbeiter zusammen was machen. Das hab ich mir so denkt, und so bin ich in die Politik hineinkommen, ganz allein, ich hab mit niemanden gredet.“
Doch häufig sind schon die Eltern oder Geschwister politisch aktiv, überwiegend bei den Sozialdemokraten. Als die im März1938 beim Einmarsch von Hitler-Deutschland in Österreich jeden Widerstand aufgeben und stillhalten, schließen sich viele Frauen enttäuscht kommunistischen Organisationen an, vor allem der Roten Hilfe, die sich um Inhaftierte und deren Familien kümmert. Die Frauen sind allein mit den Kindern, weil der Mann entweder eingezogen oder verhaftet ist. Trotz der Sorge um die Familie können sie sich angesichts der Gräueltaten der Nazis nicht zu Passivität und Anpassung entschließen. Sie versorgen die zurückgelassenen Kinder verhafteter Frauen, schreiben, drucken und verteilen Flugblätter, um über den Krieg aufzuklären, geben Nachrichten weiter, verstecken verfolgte Menschen, organisieren Sabotageakte in den Betrieben. Die Gefahr, aufzufliegen und verhaftet zu werden, begleitet sie ständig.
Spitzel und Denunzianten verraten sie. Fast alle Frauen haben die Verhörmethoden der Gestapo durchlitten, die versucht, Informationen aus ihnen heraus zu prügeln. Erholt hat sich davon keine. So ist dieses Buch in mehrfacher Hinsicht ein Zeugnis weiblicher Überlebenskunst. Nur zugeben, was die Gestapo sowieso schon weiß und dabei niemanden verraten, war das Ziel. Die Wiener Studentin Mali Fritz sagt: „Unter keinen Umständen hätt ich der Gestapo was zugegeben. Für mich war eine absolute Kluft zwischen ihnen und mir: diese Kluft war unüberbrückbar.“ Die Gestapo will Mali als Spitzel gewinnen, macht verlockende Angebote, will mit ihr handeln. Doch sie weigert sich: „Alles Lüge und Gespinst!“ Denn sie weiß: „Das war der Gegner für mich, der es auf unsere Vernichtung abgesehen hatte.“
Sie bezahlt ihre Standhaftigkeit mit weiterer Folter. Ihre Peiniger zerren sie zu einem glühenden Ofen, wo sie vor einer Wand niederknien muss und auf den dunklen Boden blickt: „dort habe ich das erste Mal diese Tränenspuren entdeckt, diese Salzspuren, … Schau, ich war verhungert, ich war erfroren. … Kannst dir vorstellen, dass ich phantasiert hab mit diesen Salzspuren. Die salzigen Tränen haben sich in riesige Augen verwandelt. Ich hab mit diesen Augen verhandelt, mit Augen, die ich sehr bewundert habe. Weißt du, wir haben unsere Zwiegespräche geführt. So geht es hunderten und tausenden, hab ich gedacht, denn wenn schon in diesem Zimmer so viele Spuren sind, müssen es hunderte, tausende sein, die genauso leiden. Überall gehts so zu. Das Entscheidende war, daß du dies nicht als eine persönliche Sache ansiehst.“
Man kann diesen Zustand als eine Art Entpersonalisierung ansehen, um den Folterqualen zu entfliehen. Jedenfalls gibt diese Fantasie einen Halt in der Situation des völligen Ausgeliefertseins und das tröstende Gefühl, mit anderen leidenden Menschen verbunden zu sein.
In der endlosen Einsamkeit der Isolationshaft hilft die Flucht in innere Traumwelten, in den überfüllten Zellen unterstützen die Frauen sich untereinander. Sie organisieren einen geregelten Tagesablauf, pflegen gegenseitig notdürftig die Verletzungen, tauschen durch Klopfzeichen Informationen aus. Selbst dem angestellten Gefängnispersonal wird die Brutalität von SS und Gestapo manchmal zu viel und es zeigt gegenüber den Gefangenen vereinzelt menschliche Gesten.
In dem Buch geht es gezielt um die weibliche Erfahrung im Widerstand gegen die NS-Gewaltherrschaft. Einige Frauen kommen aus katholisch-konservativen Widerstandsgruppen, die Mehrzahl berichtet aus sozialdemokratisch-kommunistischen Zusammenhängen. Die 28 Erzählungen sind eine Auswahl aus ursprünglich 100 Interviews, die die vier Herausgeberinnen Anfang der 1980er geführt haben. Das Wissen um die historischen Zusammenhänge von Austrofaschismus und Österreichs Rolle im Krieg wird vorausgesetzt. Nur ein kleiner Exkurs über Verfolgung und Widerstand der slowenischen Bevölkerung und die Partisanenverbände in Kärnten bildet eine Ausnahme. Man erhält Einblick in ein historisches Kapitel, das gerne verschwiegen wird: der Beitrag der Kärntner Slowenen zur Befreiung Österreichs vom NS-Regime. Noch lange nach Kriegsende wurden die slowenischen Partisanen als Banditen diffamiert.
Die Geschichte der Bäuerin Johanna Sadolschek-Zala illustriert die Kärntner Situation exemplarisch. Die Familie war so arm, dass sich Großmutter, Mutter und Tochter ein Paar Schuhe teilen musste. „Wenn eine nach Eisenkappel gangen ist, haben die andern zwei zu Hause bleiben müssen. Ja, und wie der Hitler kommen ist, haben sie versprochen und geredet, es wird alles vom Himmel runterfallen.“ Tatsächlich verbesserte sich zunächst die Situation der Bauern: ihre Schulden wurden gestrichen bzw. von der staatlichen Landstelle übernommen. Die Familie schöpfte Hoffnung.
Doch im Zuge der Germanisierungspolitik begann im April 1942 die zwangsweise Massenaussiedlung der Slowenen: „… die Umsiedlung, das Einsperrn, die Vertreibung. Dann haben einige, die im KZ gewesen sind und entlassen warn, auch erzählt, was der Hitler macht mit die Leut, wie er sie schlägt, wie sie verhungern, wie sie lebendig noch in die Gaskammern reingeworfen werden und von den Massengräbern, das haben sie schon erzählt.“
Johanna Sadolschek-Zala beteiligt sich am Aufbau der Antifaschistischen Frauenbewegung, ein Netzwerk von Frauen, die Partisanengruppen unterstützen: Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, Bekleidung, manchmal auch Unterkunft. Überzeugende Argumente dafür zu finden war einfach: „… da sind die Partisanen, die wollen den Hitler vertreiben, der Hitler wird besiegt werden, und alle müssen mithelfen, ansonsten werden wir alle zugrundegehn.“
Als Johanna Sadolschek-Zala im Oktober 1943 verhaftet wird, gelingt es ihr, zu den Partisanen zu fliehen. Eine Nachbarin kümmert sich um die zurückgelassenen Kinder. Ohne die breite Unterstützung der Kärtner Bevölkerung wäre der Partisanenkampf weniger erfolgreich und letztlich gar nicht möglich gewesen, selbst einige Kärntner Gendarmen liefern ihnen am Ende die eigene Munition.
Die Strapazen und die Grausamkeit des Krieges reflektieren die Frauen im Rückblick abwägend: haben sich die persönlichen Opfer gelohnt? Anerkennung haben sie nach 1945 nicht erhalten, im Gegenteil. Eigentlich muss man den Krieg als ganzen verhindern, sagt die ehemalige Partisanin Oswalda Tonka, denn er verändert die Menschen zum Schlechten. Johanna Sadolschek-Zala hat so viel Brutalität gesehen und musste so hart um ihre Existenz kämpfen – ihr Hof wurde von den Nazis abgebrannt -, dass sie noch heute manchmal Selbstmordgedanken hat. „Das macht einen auch bitter, man schaut uns jetzt so an, als wärn wir Verbrecher, wir, die wir wirklich was dazugetan haben, dass Österreich die Freiheit hat, das kränkt einen schon.“
Die erzählten Geschichten sind abenteuerlich, emotional und auch immer wieder erschreckend, denn sie zeigen, was der Verlust demokratischer Rechte bedeutet. Gerade weil der Text den Sprachduktus und Dialekt der Frauen beibehält, vermittelt er das Erlebte besonders eindringlich. Man muss dem neu aufgelegten Buch so viele Leser*innen wie möglich wünschen!
Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945.
Hg: Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/Lisbeth N. Trallori
Promedia Verlag Wien 2023
304 S. 14,8 x 21. gebunden, bebildert
ISBN: 978-3-85371-525-3
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