Das 1917 gegründete Deutsche Ledermuseum in Offenbach am Main widmet sich in einer Ausstellung dem Handschuh. Über 90 Exponate sind in der Ausstellung „Der Handschuh: Mehr als ein Mode-Accessoire“ zu sehen und ordnet die vielfältige Kulturgeschichte der Handbekleidung und den Facettenreichtum eines unterschätzten Accessoires ein.
Bereits im Grab des altägyptischen Pharaos Tutanchamun (1332-1323 v. Chr.) entdeckten 1922 Archäologen gleich zweiduzend Paar leinengewebte Fingerhandschuhe als herrschaftliche Grabbeigabe, die heute im Ägyptischen Museum in Kairo zu sehen wären.
Das als Paar auftretende Objekt Handschuh ist ein Accessoire mit jahrtausendalter Tradition. Allein die Übersetzungen in verschiedene Sprachen: glove (engl.), gant (franz.), قفاز (qufaz, arab.), hanski (isländ.), cimds (lett.), käsine (finn.), 手套 (shǒutào, chin.) zeigt, wie wenig Gemeinsamkeiten es in der Etymologie gibt.
Das deutsche Wort (Hand-)Schuh stammt vom althochdeutschen „(hant-)scuoh“, das „bedecken, umhüllen“ bedeutet und seit dem 9. Jahrhundert kontinuierlich verwendet wurde. War der Handschuh zunächst als Statussymbol Männern, vor allem des Klerus vorbehalten, so wurde der Fingerhandschuh ab dem frühen Mittelalter vom Adel und von den höheren Ständen als Modekleidungstück von allen Geschlechtern getragen. Applizierte Edelsteine, Verzierungen durch Ziernähte, Stickereien, Muster und Gravuren machten den Handschuh und seine Umschlagstulpen zu einer Visitenkarte seiner Träger. Der symbolhafte Wert eines Handschuhs seit dem 13. Jahrhundert spannte sich vom parfümierten Liebespfand einer Dame[1]. Ein König entsandte seinen Handschuh, um einer Stadt symbolisch seinen Schutz zu bezeugen. Erhielt allerdings ein Lehnsherr den Handschuh seines Untergebenen, so besiegelte dies ein neues Lehnsverhältnis. Bis heute bekannt ist der Fehdehandschuh, den man vor allem seit dem 18. Jahrhunderts hinwarf oder mit dem man ohrfeigte und jemanden zum Duell herausforderte.
Handschuhe, England, 17. Jh. / Elchleder © Deutsches Ledermuseum, M. Url
Wie selbstverständlich umhüllt man noch heute in kälteren Regionen oder im Winter seine Hände und Finger, um nicht zu frieren. Wie selbstverständlich benutzen wir Handschuhe bei verschiedenen Sportarten (Boxer, Torwart, Eishockey, Motor-, Wintersportler etc.) oder als Schutz bei der Arbeit (Medizin, Metallverarbeitung, Forschung, Reinigung, Schnittschutz etc.). Als Mode-Accessoire jedoch kam das Kleidungsstück in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sukzessive aus der Mode.
Boxhandschuhe von Max Schmeling, Deutschland, um 1970 / Rindleder, Baumwollfutter, Wattierung, textile Bindebänder, Kunststoff, signiert. © Deutsches Ledermuseum, M. Url
Kaum eine Oper- oder Theaterbesucherin, die noch feine Handschuhe trägt, auch aus dem öffentlichen Raum ist der Handschuh, ob frühlings und sommers, weitgehend verschwunden.
Allerdings gibt es – hier und da – und vor allem durch Prominente ein Augenmerk auf den Handschuh: Queen Elizabeth II. trug sie zu jedem ihrer Outfits immer passend abgestimmt und den Modedesigner und Unternehmer Karl Lagerfeld sah man in den letzten Jahrzehnten vor seinem Tod nie ohne. 2021 löste US-Senator Bernie Sanders bei der Amtseinführung des Präsidenten Jo Biden mit seinen Fäustlingen hunderte von Internet-Memes aus und schaffte mit ihnen einen eigenen Twitter-Account.[2] Die von der Lehrerin Jen Ellis aus Essex Junction im US-Bundesstaat Vermont, hergestellten – umweltkonform aus wiederverwendeten Pullovern und recycelten Plastikflaschen – schenke diese Sanders, als er in der Nachbarstadt Burlington in den 1980er Jahren Bürgermeister war.[3] Eine Nachbildung dieser Fäustlinge ist in der Ausstellung zu sehen.
Bernie Sanders Fäustlinge. Original: Jen Ellis. Hier: Die Nachbildung von Ulrike Janssen. Foto: M. Bernoully
Dass die Ausstellung im Deutschen Ledermuseum in Offenbach/M. präsentiert wird, kommt nicht von ungefähr, denn die Stadt war seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eines der Zentren der deutschen Lederwarenindustrie. Noch heute verzeichnet das Telefonbuch 71 Lederwarenbetriebe.[4]
Die ältesten Paare der ausgestellten Handbekleidungen – die sowohl aus der eigenen Sammlung als auch als Leihgaben von anderen Museen und Archiven zu sehen sind –, stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert; es sind Panzerhandschuhe einer Ritterrüstung und Elchlederhandschuhe eines Edelmanns aus England, die neuesten Modelle datieren aus dem Jahr 2022. Die überwiegende Mehrheit wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angefertigt. Die Materialauswahl ist heute neben Leder und Fell umfangreich: Textilien wie Wolle, Seidengarn, Leinen, Satin sowie Kunststoffe wie Polyester, Latex und Silikon.
Panzerhandschuhe einer Ritterrüstung, Frankreich oder Deutschland, 1. Drittel 17. Jh. / Eisen oder Stahl, Leder; Leihgabe des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Inv.- Nr. W 61:278 (zugehörig). © Wolfgang Fuhrmannek, HLMD
Der Nintendo „Power Glove“ der kalifornischen Firma Mattel (1989), der sich in der Praxis als Flop herausstellte, weil die VR-Steuerungshilfen zu kompliziert und er sich gleichzeitig als zu ungenau erwies, sowie der „Jumbo Maus Handschuh“ (2021/22) ), eine Art chinesischer Mickey-Mouse-Imitation und der Einweg-Hygiene-Tampon-Handschuh „Pinky Glove“ (2021), der einen medialen Shitstorm auslöste, gehören eher zu den ungewöhnlichen und skurrilen Utensilien.
Links: POWER GLOVE für die Spielekonsole Nintendo Entertainment System, Mattel, 1989 / Kunststoff, Textil, Metall; Leihgabe des Digital Retro Park, Offenbach am Main. Rechts: Hygienehandschuh, Pinky Gloves, o. O., 2021 / Kunststoff, Karton. © Deutsches Ledermuseum, M. Url
Die sehenswerte Präsentation verzichtet in den drei Ausstellungsräumen auf aufwendiges, gestalterisches Design, ist eher klar und funktional gehalten. Die Handschuhobjekte liegen auf Tischen in Plexiglasvitrinen oder sind in einer hölzernen Schrankwand oder hängenden Vitrinen aufbewahrt – ab und zu ist ein Paar einmal aufgestellt. Auch legt die Ausstellung keinen Wert auf Vollständigkeit, sondern ist mit seiner Exponatenanzahl von 99 angenehm überschaubar und zweisprachig (dt. engl.) höchst informativ und ästhetisch aufbereitet.
Blick in die Ausstellung. Foto: © Deutsches Ledermuseum, M. Bernoully
Aufgeteilt in folgende Kategorien: Grundformen, Handschuhmoden, Status- und Symbol-Accessoire, Multifunktionales Kleidungsstück (Raum 1), Handschuhleder, Fertigung mit einem Film der Manufaktur Roeckl aus dem Jahr 2013, Handschuhgrößen, Duftstoffe (Raum 2). Im Studioraum sind Studentenarbeiten der Hochschule Pforzheim ausgestellt.[5]
Das Deutsche Ledermuseum kooperiert nämlich mit der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim, die den deutschlandweit einzigen Bachelor-Studiengang ‚Accessoire Design‘ anbietet. Studierende der Professorin Madeleine Häse entwickelten unter dem Titel „Pantopia“ semesterübergreifende Kollektionen. Ideenskizzen, Prototypen und Endprodukte aus neun ausgewählten Arbeiten betonen darin nicht nur ästhetische und funktionale Aspekte des Kleidungsstücks, sondern setzen Handschuhe – auch im Zusammenspiel mit der Corona-Pandemie – in einen gesellschaftlichen Kontext mit aktuellem Zeitbezug.“ [6]
„Der Handschuh – Mehr als ein Mode-Accessoire“
Zu sehen bis 30. Juli 2023 im Deutsches Ledermuseum, Frankfurter Straße 86, in 63067 Offenbach am Main
Kuratiert von Dr. Inez Florschütz und co-kuratiert von Leonie Wiegand.
Es ist ein zweisprachiger (dt./engl.) Katalog erschienen
Ein Teil der Ausstellung „Pantopia“ mit Studenten des Accessoire Designs der Hochschule Pforzheim ist in einem separaten Raum zu sehen.
Weitere Informationen (Homepage Museum)
Fußnoten:
[1] Vgl.: https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Handschuhe
[2] Siehe: https://twitter.com/berniesmittens?lang=en
[3] Quelle: Twitter-Account: https://twitter.com/vtawesomeness
[4] Siehe: Gelbe Seiten (Offenbach/M.)
[5] Vgl.: Begleitheft zur Ausstellung
[6] Vgl.: https://www.hs-pforzheim.de/news_detailansicht/news/default_01bd28cee6
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