Kaum zu glauben, aber am Heiligengeistfeld stand einmal eine Mühle. Und es gibt tatsächlich noch Zeitzeugen, die sich an sie erinnern. Bis zum 2. Weltkrieg stand sie dort, wo sich heute der Eingang zur U-Bahn Feldstraße befindet. Dann musste sie dem mächtigen Flakbunker weichen, der nun begrünt werden soll.
An den Berliner Bahnhof auf dem Gelände der heutigen Deichtorhallen wird sich jedoch schwerlich jemand erinnern. Er wurde bereits 1903 stillgelegt. Nur gut, dass es noch Bilder von ihm gibt. Beeindruckende Aufnahmen, wie sie der Fotograf und Sammler Werner Bokelberg jetzt in einer Sonderedition herausgebracht hat. 32 historische Postkarten hat er zusammengestellt, Zeugnisse von Hamburg zu einer Zeit, als die Industrialisierung noch jung und der Alltag mit Knochenarbeit verbunden war. Damals segelten die Bauern und Bäuerinnen aus dem Alten Land mit ihren vollbeladenen Gemüsekähnen über die Elbe bis ins Nikolaifleet. Knechte und Mägde schleppten mit dem Tragejoch die schweren Einkäufe über die Holzbrücke nach Haus, während die feinen Herrschaften vor dem Café Belvedere am Ballindamm in großen, offenen Kutschen der Hammonia-Rundfahrt-Gesellschaft über den Jungfernstieg fuhren. Einmal rund um die Alster und sicher auch zum Ausflug in die Hamburg-Amerika-Bar am Spielbudenplatz, die sich um 1900 damit rühmte, die „größte Bar Deutschlands zu sein“.
Gut hundert Jahre und länger ist das her, eigentlich keine so große Zeitspanne – und doch ist es eine unwiderruflich versunkene Epoche, von der wir uns heute nur dank der fantastischen Fotos der frühen Fotopioniere einen Eindruck verschaffen können. Ihre schweren Plattenkameras und Stative haben sie damals an die St. Pauli Landungsbrücken geschleppt, an den pittoresken Fischmarkt und den Sandtorkai, an den vornehmen Jungfernstieg mit seinem imposanten Alsterpavillon. Alles, um voller Stolz ihre pulsierende, herrliche Stadt festzuhalten, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts und insbesondere seit Gründung des Deutschen Reiches eine so rasante wirtschaftliche Entwicklung genommen hatte.
In den 32 historischen Postkarten ist der rasante Wandel der Stadt abzulesen. Einerseits präsentierte sie sich modern und kühn, verkörpert durch die monumentale Stahlbetonhalle des neuen Hauptbahnhofes, die Speicherstadt, den Hafen oder die neue Mönckebergstraße, die ab 1909 Hauptbahnhof und Rathausmarkt verband und anfangs nur „Durchbruch“ genannt wurde. Andererseits hatte Hamburg um die Wende zum 20. Jahrhundert vielfach noch seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt. Die Aufnahmen der Häuser am Messberg, am Anberg oder am Küterwall dokumentieren das eindrucksvoll.
Das helle, freundliche, weltoffene Gesicht Hamburgs ist übrigens einer Katastrophe geschuldet. Der Große Brand von 1842 vernichtete weite Teile der Innenstadt – und schuf damit Platz für einen städtebaulichen Neuanfang unter der Federführung des englischen Ingenieurs William Lindley (Erbauer der Kanalisation) und des Architekten Alexis de Chateauneuf. Der Hamburger erfand seine Stadt neu als „Venedig des Nordens“. Weiß und elegant, mit eindrucksvollen Kaufmannshäusern rund um die Binnenalster, wunderschönen Alsterarkaden im Stil der italienischen Renaissance, einem riesigen Rathausmarkt und einem neuen Staubecken, der Kleinen Alster, in der heute noch Touristen so gerne die Schwäne füttern. Was würden sie wohl darum geben, noch einmal mit der Kutsche durch das Hamburg vor hundert Jahren zu fahren?!
Werner Bokelberg „Hamburg – 32 hinreißende Postkarten“
32 Postkarten (17x11cm) mit Motiven aus Hamburg in einer attraktiven Weißblech-Box (18x12cm)gibt es für 9,90 Euro im Buchhandel oder direkt online im Bokelberg-Shop.
ISBN: 4260241480337
Abbildungsnachweis: Bokelberg.com
Header: Hamburg
Galerie: 8 Hamburg-Ansichten
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