Ein Stiftungsjubiläum ist ein guter Grund die Vergangenheit Revue passieren zu lassen, innezuhalten und das Geschaffene rückwirkend zu betrachten, aber auch, um zu überprüfen, ob die einmal gesetzten Ziele auch zukünftig noch von Relevanz sind und wohin Inhalte und Ausrichtung steuern sollen.
Zugegeben, im tiefen Tal der europäischen Zinspolitik haben viele kleinere und mittlere Kunststiftungen schwer zu leiden und sogar um das Überleben zu kämpfen. Sie müssen sich einschränken und einerseits erfinderisch versuchen finanzielles und künstlerisches Niveau zu halten und andererseits permanent am Publikum zu bleiben. Die Aufgabe ist nicht einfach, aber machbar.
Die Herbert Gerisch-Stiftung zieht eine Bilanz in Form einer großen Ausstellung, die nicht nur den einmaligen Skulpturenpark einbezieht, sondern neben den Ausstellungshäusern Villa Wachholtz und der Gerisch-Galerie auch das private Wohnhaus des Stifterehepaars. Das macht insofern Sinn, weil es die Atmosphäre widerspiegelt, mit der sich der im April 2016 verstorbene Stiftungsgründer Herbert Gerisch und seine Frau Brigitte umgeben haben.
Gezeigt werden über 200 Werke aus der in den vergangenen 30 Jahren zusammen gekommenen Sammlung Gerisch, viele davon erstmals präsentiert.
Auf die Frage, warum Herbert Gerisch sich für das Kunstsammeln entschieden hat ist so einfach wie überzeugend zu beantworten, weil sofort nachvollziehbar. Jemand, der Jahrzehntelang in der Baubranche arbeitete und mit 3-dimensionalen Baukörpern zu tun hatte, den sollte Skulptur interessieren – so sagte er sinngemäß. Dabei spielten bei ihm noch andere Faktoren eine wesentliche Rolle, die schließlich in der Herbert Gerisch-Stiftung mündeten: nämlich kulturellen Zugang zu ermöglichen und somit seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und in Relation zu stellen und dies in einer Stadt und einem Bundesland, die es zu schätzen wissen.
„Kunstsammeln bedeutet für das Stifter- und Sammlerpaar auch sich selbst zu verändern. Es gibt wohl keinen Sammler, der weder sich selbst, noch seine Sammlung im Laufe der Zeit nicht verändert hätte. Beispiele gibt es genügend, denn aus einem grundsätzlichen Interesse und einer emotionalen Beziehung entsteht sehr häufig so etwas wie Verständnis, Auswahlvermögen, Neugierde, Kombinationswillen, Dialogperspektive und Sachverstand. Sammeln ist ein äußerst kreativer Akt, man setzt sich mit den Intensionen von Künstlern auseinander, vergleicht, bemisst, überprüft die Zeitgenossenschaft oder die Reflektion vom Damals zum Heute. Es geht um Schönheit, Ästhetik und Ausgestaltung, um Provokation und Diskussion, um Leidenschaft und Überwältigung usw. usw.", sagte Claus Friede in der Eröffnungsrede zur Schau.
Nicht zu vergessen ist, gerade bei der Ausstellung „Wie es uns gefällt“, dass die Werke auch ein Spiegel der Tätigkeit der Stiftung sind und die Historie der stattgefundenen Ausstellungen repräsentieren. Sie sind die Migranten der Sammlung, die in Neumünster gezeigt werden und nun gemeinsam auftreten. Viele Werke von Künstlern, die dort in den letzten knapp zehn Jahren ausgestellt haben sind in der Sammlung vertreten.
Im Gegensatz zur Logik der wissenschaftlichen Sammlung durchquert der Privatsammler und Stifter in einer persönlichen Art und Weise den Raum der Kunst. Das lässt sich in der Ausstellung „Wie es und gefällt“ sehr anschaulich nachvollziehen, denn es geht weder darum, etwas Vollständiges zu zeigen, noch um etwas kunsthistorisch Belegbares, noch um Werke eines einzigen Künstlers. Es geht schlicht weg um Kommunikation von Werken miteinander im Fokus persönlicher Interessen: Bezüge mit einer Architektur oder Umgebung, mit Inhalten oder beruflichen Kontexten sind ebenso zu finden wie Freundschaften zu Künstlern.
Der Medientheoretiker Boris Groys beschäftigt sich in seinem Buch zur „Logik des Sammelns“ u.a. mit dem Phänomen, dass Sammler neben der Idee des Bewahrens und einer gewissen Rückwärtsgewandtheit parallel und unweigerlich auch auf der Suche nach dem Neuen und Anderen sind. Beides ist eng miteinander verknüpft. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass das Sammeln selbst auch ein Kunstwerk sei, ein Gesamtkunstwerk und die künstlerische Produktion erst in der Sammlung ihre eigentliche Bedeutung erhalten würden. Das heißt, er misst dem Sammler eine mindestens ebenso hohe Bedeutung zu wie den Künstlern. Die kausale Abhängigkeit beider ist davon unberührt – übrigens auch, dass Künstler selbst häufig Sammler unterschiedlicher Ausprägung sind. Der Merzbau von Kurt Schwitters ist eine Sammlung, Marcel Broothaers „Atlas“, Herman de Vries’ Blätter aus einem Garten in Marokko (in der Ausstellung zu sehen), Richard Longs Elemente aus denen er Skulpturen baut und Franz Erhard Walthers „Erster Werksatz“ sind Sammlungen. Die Sammlung von Material, die Kunstsammlung selbst und die Idee davon kann also künstlerischer Inhalt sein.
„In der Sammlung der Herbert Gerisch-Stiftung kann man jedoch durchaus Gewichtungen erkennen", so künstlerischer Leiter Friede. „Mehrere Räume sind mit Werken des und dem 2012 verstorbenen Künstlers Norbert Prangenberg gewidmet, Schenkungen aus dem Nachlass zum Jubiläumsjahr. Auch sind die italienischen Transavanguardia-Künstler Sandro Chia und Mimmo Paladino reich vertreten."
Besonders beeindruckend ist das für die Druckerzeugnisse gewählte Motiv von Chia. Das Original-Aquarell zeigt einen leicht von unten gesehenen, fest in der Welt stehenden Mann, hinter dessem kräftigen Körper auratisch-wolkige Farbformen Dynamik und Aktion vermitteln. Dieses Motiv kann als Sinnbild für den Stifter gesehen werden.
Auch Carsten Höller ist ein eigener Raum gewidmet, Fliegenpilze als Fotogravuren auf Somerset-Papier und ein „Double Mushroom“ in einer an der Wand hängenden Vitrine sowie ein knatsch-grün kauerndes Rentierbaby darunter.
Neben sehr bekannten Künstlernamen wie Markus Lüpertz, Max Ernst, Marc Chagall, Ernst Barlach, Jörg Immendorf und Ian Hamilton Finlay finden sich auch eine ganze Reihe Werke von jungen, aufstrebenden Künstlern: Kerstin Kartscher, Thomas Judisch, Till Nowak, Heike Weber, Stefan Sous, Chiara Dynys und Steingrimur Eyfjord (der auf der Biennale in Venedig den Isländischen Pavillon bespielte). Letztgenannter ist mit einer Reihe von Zeichnungen vertreten, die eigenartige Wesen, Gnome oder Trolle zeigen – ganz nordisch. Von Till Nowak ist eine sehenswerte computeranimierte Arbeit namens „Habitat“ zu sehen. Die Kugelstadt setzt sich rundherum und von oben bis unten aus Architekturen zusammen, Gebäudezitate aus verschiedensten Jahrhunderten.
Auch der Skulpturenpark hat Zuwachs bekommen, zwei unbetitelte Großplastiken von Norbert Prangenberg sind gleich vis-a-vis des Eingangs zur Villa Wachholtz dialogisch gesetzt. Norbert Prangenberg kam Anfang der 1980er-Jahre während seines Stipendienaufenthalts im Haus Lange in Krefeld mit Tonbränden in Berührung. Schon eine ganze Weile hatte er mit anderen Materialen dreidimensional experimentiert, im Ton jedoch fand er Komponenten, die sich zwischen Manipulierbarkeit und Unsteuerbarkeit bewegen. Wie viel kann und darf ein Künstler dem Zufall und physikalisch komplexen Gesetzen überlassen? Prangenbergs Antwort darauf ist in über 30 Jahren Tätigkeit mit Keramik überzeugend, denn er kann die Grundform und deren naturfarbiges Aussehen zwar relativ genau bestimmen, jedoch nicht den Brand und die Glasuren. Kleine Temperaturunterschiede, Glasurmischungen können ungeahnte Wirkungen haben: es entstehen Risse und Spannungsverformungen. Oberflächen reißen zu Krakelee-Mustern und Farben verändern sich. Diese Kombination bestimmt die künstlerische Qualität mit. Norbert Prangenberg arbeitete mit drei verschiedenen Gestaltungsformen: der Wandarbeit, der am Boden geschichteten Plastik und dem frei im Raum liegenden oder stehenden Objekt.
In der Sammlung der Herbert Gerisch-Stiftung sind alle Gestaltungsformen zu finden.
Neu ist auch ein bronzenes Wandrelief des in Schleswig-Holstein beheimateten Künstlers Manfred Sihle-Wissel.
Der als Bildhauer und Maler bekannte Künstler fokussiert sich in dem Werk auf seine abstrahierte kubische Arbeitsweise der frühen Schaffensjahre und bezieht sich damit inhaltlich wie formal auf die Kunst der Moderne. Das Resultat ist abstrahiert. Das dreidimensionale Bronzebild wird zum Trägermaterial eines teilweisen, zentrierten, farbigen Überzugs, der die Wirkung der einzelnen Formen und Körper sowie der Licht-Schatten-Führung absetzt und individualisiert. Ein „Tanz der Formen“. Das Relief „Drei Frauen“ entstand als letzte Auftragsarbeit, die Herbert Gerisch noch persönlich in Auftrag gab.
Wie es und gefällt – 15 Jahre Herbert Gerisch-Stiftung
Herbert Gerisch-Stiftung
Brachenfelderstraße 69, 24536 Neumünster
Die Ausstellung ist bis 21. Dezember 2016 zu sehen.
Öffnungszeiten: Mi-Fr 11 – 18 Uhr, Sa+So 11 – 19 Uhr, und nach Vereinbarung. Mo. und Di. geschlossen.
www.gerisch-stiftung.de
Abbildungsnachweis:
Header: Blick in die Ausstellung. Norbert Prangenberg-Raum. Foto: Claus Friede
Galerie:
01. Plakat zur Ausstellung mit Motiv von Sandro Chia.
02. Norbert Prangenberg; o.T., 1996, glasierte Keramik, 38x27x10cm. Foto: Jens Sauerbrey
03. Blick in die Ausstellung. Sandro Chia; Et in Arcardia Ego, 1991, Radierungen (8 Blätter), diverse Maße. Foto: Claus Friede
04. Blick in die Ausstellung. Hinten: Mimmo Paladino; o.T. 1986, Tusche, Aquarell, Goldbronze auf bedrucktem Papier, 21x30cm. Vorne: Markus Lüpertz; Frühling, 2008, Bronze handbemalt. Foto: Claus Friede
05. Carsten Höller, Double Mushroom, 2010, Pilznachbildung, Metall, Glas. Foto: Jens Sauerbrey
06. Carsten Höller, Reindeer. 2009, Polyorethan, Naturhufe, Glasauge. Foto: Jens Sauerbrey
07. Herman de Vries; Leafs from the Gardens of Taroudand ,2001, Blattcollage. Foto: Jens Sauerbrey
08. Max Ernst; Cheri Bibi, 1973, Bronze, braune Patina. Foto: Jens Sauerbrey
09. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
10. Norbert Prangenberg; o.T. 1999, glasierte Keramiken. Foto: Claus Friede
11. Manfred Sihle-Wissel; Drei Frauen; Bronze bemalt. Foto: Jens Sauerbrey
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