Kultur, Geschichte & Management

Der 1955 in Bonn geborene Publizist, Moderator und redegewandte Denker Roger Willemsen ist am vergangenen Sonntag in seiner Wentorfer Wohnung gestorben. Wie kaum ein anderer beherrschte Willemsen das virtuose Partiturspiel in Sachen Kultur, war universell interessiert, lernend und wissend. Ob Literatur, Musik oder Film, Ethnologie, Religion, Mode und Design – er war das, was man im traditionellen, positiv einen Feuilletonisten nennen kann, der bei vielen unterschiedlichen Dingen immer eine verbindende Brücke sah. Er war ein Erzähler, und seine Geschichten glichen sich nie, egal ob er als Autor, Vortragender oder Moderator unterwegs war.


Willemsen studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Bonn, Florenz, München und Wien. Nebenher arbeitete er als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter. 1984 promovierte er über die Dichtungstheorie Robert Musils. Anschließend unterrichtete er zweieinhalb Jahre als Assistent für Literaturwissenschaft an der Universität München. Als freier Autor und Übersetzer widmete er sich Werken von Umberto Eco und Thomas Moore, zog nach London, arbeitete als Korrespondent für verschiedene journalistische Formate. Karriere in einem Sender hat ihn nie interessiert. „Ich finde sie sehr enttäuschend, die Macht. Sie nutzt ihren riesigen Spielraum nur zu anderthalb Prozent aus. Zum Beispiel den, Gutes zu tun und Dinge zum Positiven zu ändern", wie er einmal in einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt bemerkte.


Als Fernsehmoderator wurde er ab 1991 schnell beliebt und erfolgreich – seine Spezialität waren Gesprächsinterviews und parallel dazu filmische Portraits. In Erinnerung bleiben werden viele dieser am Menschen und an der Persönlichkeit interessierten Bildnisse. In seiner ganz eigenen Art hinterfragte er neugierig Inhalte, einfühlsam den Antrieb seiner Interview-Gäste und ließ sich selbst häufig inspirieren.
Und war gleichzeitig einer, den immer wieder Neues reizte – dreizehn unterschiedliche Sendungen hat er gemacht und die meisten davon selbst gekündigt. Sein ehrenamtliches Engagement war nicht minder inspiriert – bei Amnesty International, für Terre des Femmes und in Afghanistan.


„Ich hatte immer die Vorstellung, dass Intellektualität sich dann richtig entfaltet, wenn sie einen Moment des Emotionalen hat, eine Klugheit des Fühlens. Und Leidenschaft auslöst", formulierte er seinen eigenen Ansatz. So wie seine Lust am Formulieren, mit der er sein Publikum und seine Leser immer wieder aufs Neue gewinnen konnte, mal feinfühlig, mal spitz pointiert. Wobei ihm sehr zugute kam, dass er ein Mensch von ausgeprägtem Humor war. Er sagte: „Ich habe nichts dagegen, die Leute zu unterhalten, neue Ideen zu pflanzen. Ich mag es, Menschen produktiv zu machen.“


Woher kam seine endlose Neugier? Er formulierte es so: „Ich glaube, es ernährt mich, Neues zu erfahren. Ich wundere mich immer, wenn Menschen die sozialen Situationen, die sich dafür bieten, nicht nutzen." Er war ein großer Erzähler. Einer, der dafür sorgte, dass er viel und Ungewöhnliches erlebte, der sensibel und scharf beobachtete und so aus einer Überfülle selbst erlebter Begegnungen und Kuriositäten schöpfen konnte. Ihn interessierte das nicht Spektakuläre, das Unscheinbare. Seine Bücher wurden Bestseller, egal, ob er über seine Reisen an „Die Enden der Welt“ schrieb oder über „Das Hohe Haus – ein Jahr im Parlament“. Ob er in „Momentum“ allerpersönlichste Erinnerungen preisgab oder in „Der Knacks“ den Augenblicken nachspürt, in denen sich etwas im Leben und der Umgebung entscheidend ändert.
Sein Erfolgsgeheimnis beschrieb er einmal so: „Mein Marktsegment ist das des sensiblen Mannes, selten wie er ist. Aber Kommunikation ist nun mal meist ein eher sensibler Vorgang, auch alles Künstlerische. Sensibel sein heißt, empathisch zu reagieren wie in der Kindheit: Und das geht nun mal nicht ohne Empathie, denn Literatur will die Menschen dazu bringen, mitzuempfinden.“


Darüber hinaus trieb ihn als geradezu manischen Sammler neuer Eindrücke eine Lust am Reisen – die schlug sich in Büchern und Geschichten nieder, aber auch in der Auswahl seiner Platten, die er regelmäßig für sein Publikum auflegte und in persönlichen und privaten Erzählungen. Knapp 90 Länder hat er bereist. Immer auf der Suche – „nach einem guten Satz, einer spezifischen Erregung. Ich hänge am Situativen, an Atmosphären, an schrägen Konstellationen zwischen Leuten. Ankommen ist gar nicht erwünscht. Und irgendwann wird das Fremde so eine Art Textil, das sich um Sie legt wie ein Mantel, das Geräusch, der Geruch, die Verdichtung, die vielen Menschen."


Im Spätsommer vergangenen Jahres gab sein Büro wenige Tage nach seinem 60. Geburtstag bekannt, dass Willemsen an Krebs erkrankt sei. Er sagte alle Termine ab, zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und verbat sich weitere Nachfragen. Nun hat ihn die Krankheit besiegt.


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