Fotografie
Blick ins Paradies – Südsee erleben in historischen Fotografien

Weiße Strände, blaues Meer, goldbraune Inselschönheiten: Maler und Schriftsteller haben das betörende Klischee der Südsee fest in unseren Köpfen verankert.
Nicht zu vergessen die frühen Fotografien halbnackter Blumenmädchen in Baströckchen, an denen sich die Fantasie zivilisationsmüder Europäer immer wieder entzündete. Der „Blick ins Paradies“, wie jetzt die Fotoausstellung im Museum für Völkerkunde Hamburg heißt, ist jedoch längst nicht so traumverloren schön, wie der Titel suggerieren mag.
Ganz im Gegenteil: Die rund 100 Schwarzweiß-Fotografien, die Jeanette Kokott, Leiterin der Ozeanien-Abteilung, für diese Sonderschau ausgewählt hat, zeigen die Schattenseiten des Sehnsuchtsortes. Zum einen beleuchten sie kritisch die politische und ökonomische Vereinnahmung der Pazifikinseln als Rohstofflieferant, zum andern dokumentieren sie die wachsende Fremdbestimmung durch die Europäer. Insbesondere aber führen sie die zynische Haltung der Kolonialherren gegenüber den „Primitiven“ vor Augen, die hier im Dienste der Wissenschaft auch vor menschenverachtenden Experimenten nicht zurückschreckten.

Gleich die erste große Fotografie am Eingang der Schau zeigt, wie sich Europäer am anderen Ende der Welt am liebsten in Szene setzten: Als gutsituierte Familien, umgeben von blühender Vegetation. Im Vordergrund zwei Damen ganz in Weiß, ihnen zu Füßen ein elegant gekleideter Herr, im Hintergrund ein Kind im Sonntagsstaat – und erst auf den dritten Blick erkennt man auch einen Schwarzen am rechten Bildrand. Völlig unklar, was der Mann dort zu suchen hat, ob ihn der Fotograf bewusst an dieser Stelle platzierte oder ob er sich einfach heranschlich, das Geschehen halb verborgen hinter den Bananenblättern beobachtete und zufällig mit abgelichtet wurde. Das Foto entstand zwischen 1860 und 1910, genauere Angaben gibt es nicht. Der Fotograf ist unbekannt, ebenso wie die Personen und der Ort des Geschehens. Im Laufe des Rundgangs sind noch viele derartige Aufnahmen zu sehen. Fotografien, auf denen Europäer herausgeputzt und in stolzer Pose erscheinen – sei es im Kreise ihrer Lieben, inmitten üppiger Plantagen oder auf den Veranden ihrer luxuriösen Landhäuser. Die meisten dieser Bilder sind unzureichend oder gar nicht beschriftet, aber sie dokumentieren, wie es damals zuging auf den Plantagen. Die sklavenähnlichen Verhältnisse der schwarzen Arbeiter und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der weißen „Herrenmenschen“, die sich mit Schnaps und Stehkragen auf der Veranda oder mit Sonnenschirm und Fahrrad im Garten in Szene setzten.

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„Fotografien sammeln heißt die Welt sammeln“, formulierte Susan Sonntag, doch die Idee ist so alt wie die Fotografie selbst. Um das festzustellen, muss man nur einmal in die Archive des Museums für Völkerkunde schauen. Massen an Albumin-Abzüge, Glasplatten, aber auch ganze Fotoalben lagern aus der Zeit des 19. und beginnenden 20 Jahrhunderts in den Kellerräumen, private Schnappschüsse ebenso, wie Landschaftsbilder, Studioinszenierungen oder Aufnahmen im Dienste der damaligen Wissenschaft. Vor rund zwei Jahren begann das Museum seinen ungeheuren Schatz an historischen Fotografien aus Polynesien zu erschließen, schwerpunktmäßig aus Samoa, Hawaii, Tonga und Neuseeland: Rund 10.000 Objekte, die darauf warten, erfasst und entschlüsselt zu werden.

Die aktuelle Ausstellung gibt einen aufschlussreichen Einblick in den Bestand. So zeigt beispielsweise das Kapitel, „Hawaii im Umbruch“ wie früh und wie stark der europäische Einfluss auf die einheimische Bevölkerung war. Die Hawaiianische Hula-Tanztruppe aus den 1880er-Jahren mutet mit ihren viktorianischen Schnürstiefelchen und langen Unterhosen geradezu grotesk an, ebenso der letzte regierende König von Hawaii, David Kalakaua I. (1836-1891) und seine Schwester, Prinzessin Likelike (1851-1887), die sich ganz „á la mode“ mit Schärpe und Orden im viktorianischen Stil vor der Kamera in Positur stellten. Ein anderes Kapitel, „Fantasie unter Palmen“, bedient mit halbnackten Schönheiten perfekt das Südsee-Klischee vom Paradies auf Erden, das bis heute – aller Atombombenversuche zum Trotz – die Vorstellungswelt der Europäer prägt. Hier weisen die Ausstellungsmacher ausdrücklich darauf hin, dass christliche Missionare längst züchtige Bekleidungsvorschriften durchgesetzt hatten. Was damals in den Fotostudios von Samoa und anderswo in angeblich „paradiesischer Unschuld“ produziert wurde, war in Wahrheit ein knallhartes Erotik-Geschäft.

Das dunkelste und letzte Kapitel dieser Ausstellung steht unter dem Titel „Wissenschaft und Fotografie“ und macht klar, dass „Rassenkunde“ und tödliche Experimente an Menschen keinesfalls Erfindungen der Nazis waren. Der Dermatologe und Lepra-Experte Eduard Arning (1855-1936), Spross einer alten Hamburger Patrizierfamilie, erforschte die Krankheit von 1883 bis 1886 auf Hawaii und experimentierte dazu mit Menschen. 1884 infiziere er einen zum Tode verurteilten Polynesier mit Leprabakterien, um zu beweisen, dass es sich um eine ansteckende Krankheit handelt. Der Mann starb 1889, Arning machte in Hamburg Karriere und erhielt zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland. Die Asklepios Klinik St. Georg hält seinen Namen auch heute noch Ehren: Die Dermatologie und Allergologie in St. Georg ist nach Eduard Arning benannt.


Die Ausstellung „Blick ins Paradies – Südsee erleben in historischen Fotografien“ ist bis zum 31. August 2014, im Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, in 20148 Hamburg, zu sehen.
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

Redaktioneller Hinweis:
Angehörige polynesischer Gemeinschaften seien darauf hingewiesen, dass die Bildergalerie bei KulturPort.De Portraits verstorbener Personen beinhaltet.
In diesem Zusammenhang bittet das Museum für Völkerkunde Hamburg auch um Mithilfe bei der weiteren Identifizierung bislang namentlich nicht bekannter Porträtierter. Ebenso bitten wir um Kontaktaufnahme, falls Bedenken hinsichtlich der weiteren Veröffentlichung der Fotografien bestimmter Personen bestehen sollten.
Sofern nicht anders angegeben, gehören die veröffentlichten Fotografien zum Bestand des Historischen Fotoarchivs des Museums für Völkerkunde Hamburg. Alle Bilder wurden digital nachbearbeitet und in ihren Tonwerten korrigiert, wobei der Umfang dieser Bearbeitungen so gering wie möglich gehalten wurde. Zur Kennzeichnung von Originaltiteln, die Bestandslisten der Sammler oder anderen Quellen entnommen sind, werden sowohl in der deutschen als auch in der englischen Version doppelte Anführungszeichen verwendet. Übersetzungen von Originaltiteln werden in beiden Sprachen durch einfache Anführungszeichen markiert. Bei Bildtiteln ohne Anführungszeichen handelt es sich um vom Museum für Völkerkunde vergebene Bildunterschriften.

Fotonachweis: © Alle: Historisches Fotoarchiv des Museums für Völkerkunde Hamburg
Header: Detail aus Frau mit Fahrrad, Frz.-Polynesien, ca. 1897
Galerie:
01. Cover der Publikation „Blick ins Paradies. Historische Fotografien aus Polynesien“, Museum für Völkerkunde Hamburg
02. Der Ausschnitt zeigt Fai Atanoa, aufgenommen 1896. Foto: E. Neuhaus
03. Tahitianer, Frz.-Polynesien, ca. 1870er – 1890er. Foto: Sammlung Carl Scharf
04. Hawaiianische Hula-Tanztruppe, ca. 1880er. Foto: A.A., Montano
05. König Kalakaua I, Hawaii, ca. 1883. Foto: A.A., Montano
06. “Kratersee Lanutoo”

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