Für ihren Sohn war sie nur die Köchin und hingebungsvolle Gastgeberin. Wie sollte das Kind auch wissen, dass die Kunst des Kochens für die depressive und alkoholkranke Frau vor allem Kriegsbewältigung und Therapie bedeutete.
Erst beim Sichten des Nachlasses erfuhr Antony Penrose, dass seine Mutter, Lee Miller, „die Frau in Hitlers Badewanne“ war. Das Bucerius Kunst Forum zeigt noch bis zum 24. September die großartige Ausstellung.
Die Tatsache, dass ihr fotografisches Werk jahrzehntelang in der Versenkung verschwand, hat sich Elisabeth „Lee“ Miller (1907- 1977) zum Großteil selbst zuzuschreiben. Schwer traumatisiert vom Krieg und dem Grauen in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau, das sie im Auftrag der britischen und amerikanischen Vogue 1945 dokumentierte, wollte die hochbegabte und couragierte Fotografin ihre eigenen Bilder nur noch vergessen und verstaute sie Ende der 50er Jahre mitsamt Kamera auf dem Dachboden ihres Farmhauses in East Sussex. Dort hatten sich Lee Miller und ihr zweiter Mann, Roland Penrose, im Nachkriegsengland ein Refugium mit Kühen, Schweinen, Hühnern und Gemüsegarten geschaffen. Dort feierten sie regelmäßig mit ihren illustren Freunden, einem Who is Who der damaligen Avantgarde: Darunter Picasso (Patenonkel ihres Sohnes), Dora Maar, Joan Miró, Henry Moore, Max Ernst, Man Ray, um nur einige zu nennen.
Auf der Farley Farm erfand sich Lee Miller neu, kreierte „surrealistische Menüs“ und wurde alsbald s kreative Gastgeberin in der Vogue und House and Garden gefeiert. Kamen Anfragen von Museen nach ihren frühen Fotografien, sagte sie nur, „die seien verbrannt“, erinnert sich Antony Penrose, der später auf der Farley Farm das Lee-Miller-Archiv gründete.
Wie gut, dass es nicht der Wahrheit entsprach: In einer fulminanten Ausstellung breitet das Bucerius Kunst Forum alle Schaffensphasen dieser Ausnahmefotografin aus, von den ersten Porträts und Modeaufnahmen in den 1920er Jahren, über die surrealen Experimente mit Solarisation, ungewöhnlichen Bildausschnitten und Sujets, bis hin zu den erschreckenden Front- und KZ-Fotos der Jahre 1942-1946.
Es ist nicht nur die besondere Ästhetik und der surreale Blick ihrer Aufnahmen, der so nachhaltig beeindruckt, es ist das hollywoodreife Leben der bildschönen US-Amerikanerin mit allem, was dazugehört: Liebe und Tod, Erotik, Krieg und Glamour.
Als kühle Blonde von der Klasse einer Greta Garbo wird Lee Miller 19jährig von Vogue-Herausgeber Condé Nast in New York als Model entdeckt, steigt auf zum Covergirl des Modemagazins und zum Inbegriff der „modernen Frau“ – um mit 22 Jahren selbst Fotografin zu werden. Sie geht als Schülerin zu Man Ray nach Paris, die beiden werden ein Paar, sie lernt die Pariser Surrealisten kennen, spielt in Jean Cocteaus Film „Le sang d’un poète“ eine antike Statue, die zum Leben erwacht, und serviert den Surrealisten-Kollegen zwei aus der Pathologie gestohlene amputierte Brüste auf einem Teller samt Messer und Gabel – ihr Protest gegen die Herren Künstler und deren Gewohnheit, sich Frauen „einzuverleiben“. Ein handfester Krach mit Man Ray folgt, zurück in New York eröffnet Miller 1933 ein eigenes Fotostudio, heiratet ein Jahr später einen ägyptischen Geschäftsmann, zieht nach Kairo und verliebt sich 1937 in den britischen Surrealisten Roland Penrose, den sie in Paris kennenlernt und zu dem sie 1939 nach London zieht.
Das allein ist schon filmreifer Stoff, aber erst im Krieg erfährt die gefragte Modefotografin ihre wahre Berufung: Ab 1940 fotografiert Miller für die britische Vogue die systematische Bombardierung Londons durch Nazideutschland, Vogue-Redakteurinnen im Luftschutzkeller, Models zwischen Trümmern als Zeichen der Zivilisation inmitten der Barbarei. Der Einsatz an der Front als akkreditierte Kriegskorrespondentin der US-Armee folgt ab 1942. Auf dem Bild, das ihr Interimsbegleiter, der Life-Fotograf David E. Scherman, von Lee 1944 in Saint Malo aufnimmt, erkennt man die einstige Schönheit kaum: Eine verhärmte Frau, vorzeitig gealtert, gezeichnet vom Schrecken. An Hitlers Todestag, am 30. April 1945, fotografiert Sherman seine Freundin und Kollegin „in Hitlers Badewanne“ (von Hitlers Selbstmord wissen die beiden zu dem Zeitpunkt nichts). Was für ein Statement: Der Feind ist besiegt, Lee Miller erobert - stellvertretend für die Siegermächte – Hitlers intimsten Raum.
Die Dämonen der Erinnerung konnte sie jedoch nicht besiegen.
Lee Miller: Fotografin zwischen Krieg und Glamour
Zu sehen bis 24. September 2023 im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, 20457 Hamburg.
Öffnungszeiten: täglich 11:00 - 19:00 Uhr, donnerstags 11:00 - 21:00 Uhr
Weitere Informationen (Bucerius Kunst Forum)
Am 5. September 2023 lädt das Bucerius Kunst Forum mit Lee Miller – Ein Leben zwischen den Welten ein, eine der herausragendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts auf einzigartige Art und Weise kennenzulernen. In einer Kombination aus Lesung und Musik wird den Zuhörer*innen das Leben von Lee Miller und dessen vielfältigen Inhalte – von Mode, Fotografie über Kunst und das Kriegsgeschehen bis hin zur Haute-Cuisine – auf besondere Weise zugänglich gemacht. Der eigens für die Ausstellung Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour von Nanna Rholffs konzipierte Abend findet nur ein einziges Mal statt.
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment