Sein elegischer Action-Thriller “Drive” wurde zum Hype, Kult, dem Synonym für Erfolg. Doch nun lockt Regisseur Nicolas Winding Refn die Zuschauer in ein infernalisches Labyrinth aus Gewalt und Käuflichkeit. Horrortrip oder Meisterwerk?
Euphorische Begeisterung, eisige Ablehnung: die Reaktionen auf “Only God Forgives” bei den Filmfestspielen in Cannes waren radikal wie das Rache-Epos selbst. Protagonist ist wieder Ryan Gosling. Er spielt Julian, einen Amerikaner, der nach Thailand flüchtete, um sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Im verrufenen Rotlichtdistrikt von Bangkok betreibt er zusammen mit seinem Bruder Billy (Tom Burke) einen Thai Box Club, Fassade für ihre Drogengeschäfte.
Als Billy die sechzehnjährige Tochter eines Bordellbesitzers vergewaltigt und tötet, fordert er den Zorn Gottes heraus. Für höhere Gerechtigkeit sorgt in jener grotesken, düsteren, rötlich schillernden Halbwelt Chang (Vithaya Pansringarm), ein mysteriöser pensionierter Polizeikommissar mit der Aura eines Zen Meisters. Glaubt er wirklich der Allmächtige zu sein, wenn er sein Samurai Schwert schwingt? Reue oder Sühne existieren hier nicht, nur blutige Rache kann Erlösung bringen für Opfer wie Täter. Also muss Billy sterben. Und andere Sünder auch. Wenn Chang nicht grade Gangster jagt, steht er in einer Karaoke Bar auf der Bühne, singt mit sanfter melodischer Stimme zu heimatlichen Klängen. Über ihm ein Himmel aus roten Laternen, unten im Publikum sitzen Cops in blauen Uniformen bewegungslos vor ihren Drinks.
Slow Motion bis zum Exzess: Die sich immer wiederholenden Kamerafahrten, vor- und zurück, entlang der schummrigen schwarz-roten Gänge versetzen den Betrachter in eine Art Trance. Er fragt nicht mehr, wohin die Flure eigentlich führen. Wie hypnotisiert starrt er auf die grässlichen Ornamente der Tapete, auf eine Glastür, einen Schatten, man ahnt den Tod. Der dänische Autorenfilmer erspart dem Publikum einiges an Gewalt, zumindest am Anfang. Dies ist nicht die Suspense eines Alfred Hitchcock, eher die Ästhetik von David Lynch in “Twin Peaks”. So entsteht eine unwirkliche magische Zwischenwelt, ein Purgatorio in der Tradition von Dante Alighieris “Göttliche Komödie”. Cinematographer Larry Smith hat sein Handwerk bei Stanley Kubrick gelernt und perfektioniert. Die perfiden Tötungsrituale stilisiert er zu poetischen minimalistischen Bewegungsstudien. Nichts darf mehr cool, smart, elegisch sein wie in “Drive”, Gewalt wird auf Winding Refns spiritueller Spurensuche ästhetisch nie verklärt, sie bleibt 90 lange Minuten genau das, was sie ist: erschreckend, brutal, widerlich, abstoßend. Und doch verliert sie nicht ihre trügerische morbide Faszination.
Wenn Julians Mutter Crystal (Kristin Scott Thomas) aus den Staaten anreist, mutiert das bizarre Martial Arts Movie vorübergehend zur schrillen freudianischen Farce. Crystal, eine skurrile Mischung aus Medea und und Lady Macbeth quält weniger Trauer um den Toten als ihre manische Sucht nach Vergeltung. Selbst für eine Femme Fatale ist sie zu ordinär, grandios wie die Schauspielerin der Rolle zuliebe auf die gewohnte Attraktivität verzichtet, um sich in eine heimtückische Furie zu verwandeln, die, wie viele Kritiker behaupten, äußerlich Donatella Versace ähnelt. -Billy war der Liebling der Mutter, nur zu gerne betont sie die “spezielle Art der Beziehung”. Sie insistiert, intrigiert, feilscht, versucht es mit Schmeicheleien, damit Julian seinen Bruder rächt. Als dieser sie ganz sachlich an den Mord und die Vergewaltigung der Minderjährigen erinnert, entgegnet Crystal nur eiskalt: “Er wird schon seine Gründe gehabt haben”. Sie verkörpert eine perverse Variante des Machiavelli Prinzips: Der Zweck heiligt die Mittel.
Julian bleibt immer der ungeliebte Sohn, der ewig Betrogene, dem die Mutter jede Art von Zuneigung verweigert, denn so kann sie ihn leichter erpressen. Sie fordert Satisfaktion, wie sie einst den Tod ihres Mannes von ihm gefordert hat. Falls Chang Gott ist, dann sie der Teufel. Bei einem Abendessen zu dritt schildert sie Julians Begleiterin detailliert die Qualitäten Billy’s, seine Kraft, Potenz, die Größe seines Penis. Crystal wird zur Karikatur ihrer selbst und der Freudschen Theorien. Winding Refn mixt Pulp, Noir, Drama, Parodie mit mystischer Avantgarde. Wenn Julian, dieser große, hier ein wenig ungelenke Mann, in Boxerstellung geht, spürt der Zuschauer, er ist kein Sieger, er hat schon verloren, bevor der Kampf überhaupt beginnt. Aber am Ende ist er der Einzige, der so etwas wie ein Gewissen hat. Ryan Gosling als schweigsamer, verschlossener Antiheld signalisiert unfassbare Einsamkeit und Fragilität. Liebe existiert nicht in diesem schwülen Schattenreich, und wenn, dann entlarvt sie sich schnell als Missverständnis. Für einen Moment leuchten die Augen von Mai (Rhata Phongam) auf, als Julian sie einlädt zu dem Treffen mit seiner Mutter. Doch sie soll nur die Freundin mimen und wird nie etwas anderes sein, als eine hinreißende Prostituierte, die er nicht berührt, sondern nur betrachten will. Julian, der elegant Enigmatische ist nichts Anderes als ein Voyeur.
“Only God Forgives” ist ein eigensinniger mutiger, wortkarger Film. Eine kompromisslose Low-Budget-Produktion, die an Winding Refns “Walhalla Rising” erinnert. Gewalt ist allgegenwärtig, hat die Gefühle eliminiert: Überall nur unbewegte Mienen, starre Blicke, Frauen zu leblosen Puppen gestylt, Männer zu eifrigen Killern abgerichtet, ein klaustrophobisches Labyrinth der Ausweglosigkeit. Die ungewöhnlichen Bildkompositionen und Blickwinkel sind frappierend suggestiv, die fluoreszierende Farben von verstörender, obskurer Schönheit. Viele Fragen bleiben offen, der Regisseur will genau das, den Zuschauer zwingen selbst eine Antwort zu finden. Mancher fühlt sich der Bedeutungswucht der Metaphern, der extremen Stilisierung nicht gewachsen, empfindet sie als hohl, prätentiös. Hyperrealismus wechselt ständig mit metaphysischer Überhöhung und experimentellen Capricci. Doch jede Sequenz, jede Einstellung ist ein Kunstwerk für sich. Chiaroscuro, das dramatische Spiel mit Hell und Dunkel, wird hier zum Programm. Der Regisseur setzt auf Atmosphäre und Abstraktion statt auf Psychologie und Logik. Cliff Martinez’ dröhnender Soundtrack avanciert zur treibenden Kraft des surrealen Crime Dramas: ein explosives Gemisch unterschiedlicher Stile, Genre und Kulturen. Konventionen sind nur da, um gebrochen zu werden, der Filmemacher prophezeit: “Ich glaube, dass ich mit Hochgeschwindigkeit auf eine kreative Kollision zusteuere”.
Mit einem Obstmesser entkernt Chang, der allmächtige Rächer, die Augen seines Opfers. “Du wolltest nicht sehen”, belehrt er den Schuldigen und durchbohrt das Trommelfell des schreienden Gangsters: “Du wolltest nicht hören”. Göttliche Gerechtigkeit als ironische, brutale Umkehrung der Verbrechen wie einst bei Dante Alighieri. Julian gehorcht ein letztes Mal Crystal, um wenig später aber seine mörderische Mission abzubrechen. Es ist ein Kind, das ihn bekehrt. Ein Blick genügte. Um die Nabelschnur für immer zu durchtrennen, sticht er auf die bereits tote Mutter ein, seine Hand greift durch Blut und Eingeweide in die Gebärmutter. Ein spätes Coming of Age. “Drive” verglich Winding Refn einmal mit Kokain, “Only God Forgives” mit Acid, Horrortrip wäre für ihn also durchaus ein Kompliment. Es gibt wahrlich kein Happy End hier, doch vielleicht die Hoffnung auf Vergebung. Das Gesicht zerschlagen, schwer verletzt, aber innerlich von seinen Dämonen befreit, nimmt der Protagonist sein Urteil an und stirbt als Einziger mit Würde.
Nicolas Winding Refn hat seinen Film dem chilenischen Regisseur Alejandro Jodorwsky gewidmet.
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(ca. 3.06 Min.) Filmausschnitt
Originaltitel: Only God Forgives, 90 Minuten
Regie: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Ryan Gosling, Vithaya Pansringarm, Kristin Scott Thomas, Tom Burke
Produktionsland: Frankreich, Dänemark, USA
Kinostart: 18. Juli 2013
Verleih: Tiberius Film GmbH
PR Agentur: Public Insight
Fotos/Video Copyright: Sunfilm Entertainment Handels- und Vertriebs GmbH
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