Nur zu oft entscheidet nicht die Qualität eines Films über dessen Erfolg oder Misserfolg: „Enfant Terrible” von Regisseur Oskar Roehler lobten viele Feuilletonisten in den höchsten Tönen.
Die Fassbinder-Hommage mit Oliver Masucci in der Hauptrolle war für Cannes nominiert, doch das deutsche Publikum zeigte bisher wenig Interesse an der provokant turbulenten Farce.
19.566 Zuschauer in den Wochen nach der Premiere beim Filmfest Hamburg, welch ein deprimierendes Ergebnis. Und dann schlossen auch schon wieder die Kinos. Was können die Gründe sein, dass grade dieses künstlerisch eigentlich spektakuläre Werk floppte?
Rainer Werner Fassbinder, der geniale deutsche Regisseur mit Bürgerschreck Image war 37 Jahren alt, als er 1982 starb. Jener hochsensible Berserker mit dem untrügerischen Gespür für Melodramen, verstand sich auf die Dialektik von Liebe, Gewalt und Abhängigkeiten. Er drehte 42 Filme, zwei Fernsehserien, mehrere Kurzfilme, schrieb und inszenierte zahlreiche Theaterstücke. International war Fassbinder ein gefeierter Star, avancierte bald schon zum Mythos, die Franzosen verehrten ihren RWF wie eine Institution, das New Yorker Museum of Modern Art pflegt sein Erbe. Nur in der Heimat tat man sich manchmal schwer mit ihm, fürchtete bewusst oder unbewusst den permanenten Unruhestifter. Sezierte er doch skrupellos wie leidenschaftlich die Abgründe der deutschen Seele. Trotzdem, auch das arriviert konservative Theaterpublikum ließ sich seine Vorstellungen nicht entgehen, wollte sich entrüsten und daran delektieren. Für uns Jüngere wurde das Enfant terrible zur Offenbarung, da war endlich ein rotzfrecher ultracooler Deutscher mit wahnwitzigem Talent, der den Mut besaß, Tabus radikal zu brechen, mit dem politischen System abzurechnen, die schwule Subkultur zu seinem Kosmos erklärte. Er katapultierte uns aus der provinziellen Mittelmäßigkeit raus ins Lampenlicht der A-Festivals.
Fassbinder betrieb Kreativität als Form der Selbstzerstörung, jeder seiner Protagonisten war ein Teil von ihm selbst, ob in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972) oder „Chinesisches Roulette” (1976). Er feierte die Kläglichkeit und Großartigkeit menschlicher Gefühle, Zärtlichkeit, Erniedrigung, die Tragik unserer aller Niedertracht, die frenetische Suche nach dem unerreichbaren Glück schnell zerberstender Träume. Seinem Blick entging nichts. Er präsentierte sich gern als Kotzbrocken („Was glotzt ihr? ... Einer muss hier doch das Arschloch sein”), sehnte sich verzweifelt nach Anerkennung und Zuwendung. „Each man kills the thing he loves," singt Jeanne Moreau in „Querelle” (1982). Das Oscar-Wilde-Zitat stellen Regisseur Oskar Roehler und Co-Autor Klaus Richter an den Anfang ihres Film: „Jeder tötet, was er liebt”, Leitmotiv, Fluch, Überzeugung, Kunst als Synonym für Schmerz. „Musstest Du so fest zuschlagen”, quengelt die Schauspielerin bei den Dreharbeiten. „Das ist Film! Nicht Theater”, entgegnet Fassbinder voller Verachtung. Der Regisseur als Zirkusdompteur, Verführer, Ausbeuter, ein machtbesessener, gnadenloser Herrscher. Die Zeit drängte, der bisherige Erfolg genügte ihm nicht, er wollte ganz nach oben, noch hat er nach eigener Einschätzung kein Meisterwerk geschaffen. „Ich will, dass mein Name dort steht, wo die großen Namen stehen: Orson Welles, Jean-Luc Godard, Douglas Sirk."
Von „Querelle” hat Oskar Roehler die giftig kitschigen Farben und nächtlich gleißenden Neonreklamen übernommen, den dreist fordernden Eros und die Künstlichkeit. Fassbinders Ziel war immer die Realität zu entlarven, nicht sie nachzustellen. „Enfant Terrible” ist komplett im Studio gedreht, das magere lange hart umkämpfte Budget kein Nachteil, im Gegenteil. Nur ein Publikum, gewöhnt an traditionelle Erzählweisen nach Jahrzehnten opulenter Leinwand-Epen und weniger opulenter Fernsehserien, reagiert eher ablehnend auf jede Art formal waghalsiger Experimente. Bedauerlich, denn die schillernde tragische Groteske zwischen Hingabe, Verrat und Absturz besitzt magische Momente, nicht nur wenn Fassbinder im spärlichen violetten Scheinwerferlicht unter der Diskokugel sich um die eigene Achse dreht, als wäre er allein auf dieser Welt. Die Texte der Songs hämmern uns die Unmöglichkeit menschlichen Glücks ein, aber meist gebärdet der geniale Provokateur sich wie ein zynisch sadistischer Tyrann, überheblich, boshaft, geschmacklos, er genießt es, Menschen zu erniedrigen. Der Film zeichnet in zügigem Tempo die Stationen seines künstlerischen Werdegangs auf, bei der Übernahme des „Antiteaters” in München 1967 ist er noch ein Unbekannter. Doch schon hier tritt er auf als herrschsüchtiger Egomane genau wie später bei den Dreharbeiten zu „Liebe ist kälter als der Tod” (1970) oder „In einem Jahr mit In einem Jahr mit 13 Monden” (1978). Arbeitswut, Eros, Obsessionen, Enttäuschungen, Drogenkonsum sind schicksalhaft miteinander verkettet. Zwei Liebesgeschichten, zwei Suizide – El Hedi ben Salem und Armin Meier.
Regisseur Oskar Roehler („Die Unberührbare”, „Elementarteilchen”, „Der alte Affe Angst”) hat die Welt Fassbinders ästhetisch als Theaterkulisse kreiert. Wände, Türen, Fenster nur angedeutet in groben Strichen an den Wänden, als wolle man betonen, alles sei nur Spiel und Inszenierung. „Enfant Terrible” überzeugt als grotesker Horrortrip der Emotionen, als Künstlerporträt vielleicht weniger. Die toten Weggenossen des Protagonisten tragen im Film ihre echten Namen, die noch lebenden wie Barbara Sukowa oder Hanna Schygulla, Pseudonyme. Das Alter spielt eine völlig untergeordnet Rolle, wird letztendlich außer Kraft gesetzt. Fiktion und Realität gehen ineinander über, Der 52jährige Oliver Masucci verkörpert den jungen erfolgssüchtigen Fassbinder ebenso furios kraftvoll wie den später am Koks krepierenden Starregisseur. Der wird nie verklärt oder glorifiziert, nur sollte man ihn auf diese Gestalt in grässlicher Unterhose oder Leopardenanzug reduzieren? Klar, Lederjacke und Sonnenbrille müssen sein, nur diese feiste Wampe, die in der Erinnerung jede Szene dominiert, ob auf dem heimischen Sofa oder in den Schwulenbars? Der unauflösbare Zwiespalt von Verletzbarkeit und Gewalttätigkeit war auch Thema in Fassbinders Oeuvre, kaum jemand hat damals schonungsloser, berührender die Mechanismen von Ausbeutung und Unterdrückung in all ihren Schattierungen offengelegt. Nur hier fühlt es sich an, als würde Gewalt um ihrer willen selbst praktiziert, auf Abscheu spekuliert statt auf Erschütterung oder Empathie. Die Akteure schrumpfen durch die unzähligen boulevardesken Anekdoten zu Karikaturen.
Funktioniert so ein Film in Zeiten von #MeToo und angestrebter Political Correctness? Wir sollten „Enfant Terrible” als Herausforderung annehmen, eine Art „Once upon a Time in Germany”. Manchmal scheint schier unvorstellbar, dass dieser Berserker „Angst essen Seele auf” (1974) schuf, die berührende Lovestory zwischen der 60jährigen Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) und dem jüngeren türkischen Gastarbeiter Ali (El Hedi ben Salem), der Kritikerpreis in Cannes signalisierte den internationalen Durchbruch. Für die Widersprüche zwischen hoher künstlerischer Sensibilität und dem exzessiv aggressivem Verhalten seinen eigenen Schauspielern gegenüber, wird keine Erklärung geliefert, außer vielleicht dem Song aus „Querelle”, es war Fassbinders letzter Film und basiert auf Jean Genets gleichnamigen Roman. Was innerlich in dem Künstler vorgeht, wir können es nur erahnen, wenn überhaupt. „Each man kills the thing he loves..." Woher resultiert diese Menschenverachtung, die Bösartigkeit, der Selbstzerstörungstrieb? Liebe macht ihn hilflos, er glaubte, alles besitzen zu können, nur eine Frage des Preises und wird so das Abbild eines Systems, das er eigentlich verurteilt. Es ist als müsse Fassbinder sich jeden Tag von neuem beweisen, seine Welt kenne keine Grenzen und er wie Jean-Luc Godard akzeptiere keine Regeln. Der Regisseur fährt mit Salem, seinem Geliebten, nach Algerien, entführt dort dessen beiden halbwüchsigen Söhne vor den Augen der Mutter. In Deutschland gehen ihm die Kinder natürlich auf die Nerven. Als die Jungen durchs Zimmer toben, wo geprobt werden soll, sperrt er sie kurzerhand auf dem Balkon aus. Und das bei strömendem Regen.
Nur was passiert mit der Kunst, wenn wir vorrangig moralische Maßstäbe anlegen? Etwas in Fassbinder ist von unerbittlicher Ehrlichkeit mit sich selbst und uns, er machte aus Bösartigkeit wie Skrupellosigkeit kein Geheimnis. Aber was faszinierte Menschen so an ihm, warum verfielen sie ihm, wollten unbedingt Teil seines Clans sein, kamen nicht mehr los von ihm. Frauen wie Männer buhlen um seine Aufmerksamkeit, natürlich Karriere machen wollen auch sie, die Hauptrolle bitte schön. Nur einer bewahrte sich seine Souveränität, Kameramann Michael Ballhaus, dessen kreisförmige Kamerafahrten wurden zum Markenzeichen von RWF, Ballhaus perfektionierte sie später in den Filmen von Martin Scorsese. So wie Roehler seinen Protagonisten angelegt hat, lehrt uns Fassbinder nur das Fürchten. Pressekonferenzen, Fernsehdiskussionen, da mag es Spaß bringen das Ekelpaket zu mimen, provozieren als Kommunikation, Eigenwerbung oder Lustgewinn, doch während der Dreharbeiten oder auf der Bühne? Wie kriegt man da als Schauspieler überhaupt ein Wort raus? Jemand schrieb einmal, der Autorenfilmer könne wie kein anderer schildern, dass man sich selbst nicht entkommen kann. So fessle er einen, erst die Darsteller, und dann die Zuschauer. Das Enfant terrible des deutschen Kinos schuf berückende stolze Frauengestalten, er veränderte, prägte sie: Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Irm Herrmann, Barbara Sukowa, Eva Mathes. Auch später als sie älter wurden, der Meister längst tot, behielten sie jenes Strahlen in ihrem Blick, ein ganz besonderes Selbstbewusstsein. Wundervoll 1976 Fassbinders Inszenierung von „Frauen in New York” am Schauspielhaus Hamburg als Beitrag zur Zweihundertjahrfeier der USA.
Die Internationalen Filmfestspiele in Cannes wären der perfekte Rahmen für „Enfant Terrible” gewesen, mit Desinteresse hätte ihn dort niemand gestraft, aber die Produktion wurde ein Corona-Opfer. Und gleichgültig ob man als Zuschauer hingerissen ist von der komisch tragischen Groteske oder verbittert feststellt, dass hinter der Parabel nach Brecht‘scher Manier nur Schmierentheater steckt, „Enfant Terrible” bleibt ein Stück unserer Geschichte, ästhetisch virtuos, ein Drahtseilakt ohne Netz. Die eigentliche Autobiographie hat Fassbinder selbst geschrieben in seinen Filmen, jeder umfasst ein Kapitel seines Lebens und deutscher Vergangenheit. Oliver Masucci ist grandios in seiner Rolle, nur pöbelnde Berserker sind weniger gefragt dieser Tage als Helden, und von RWF haben die meisten sich schon ein eigenes Bild gemacht, von dem wollen sie sich nur ungern trennen. David Finchers Film „Mank” dagegen, die Entstehungsgeschichte von „Citizen Kane” auf Netflix, wird unsere Herzen im Sturm erobern, aber wir schulden Rainer Werner Fassbinder diesen einen Kinobesuch.
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Regie: Oskar Roehler
Drehbuch: Klaus Richter
Darsteller: Oliver Masucci, Hary Prinz, Anton Rattinger, Katja Riemann, Erdal Yildiz, Jochen Schropp, Eva Mattes, Sunnyi Melles, Alexander Scheer
Produktionsland: Deutschland, 2020
Länge: 134 Minuten
Kinostart: 1.10.2020
Verleih: Weltkino Filmverleih
Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Weltkino Filmverleih
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