Film
Parasite Bong Joon-ho

„Eine Komödie ohne Clowns, eine Tragödie ohne Bösewichte” nennt Bong Joon-ho seinen Film „Parasite”. Menschliches Drama, Horrorthriller oder Crime Story, der südkoreanische Regisseur betont, ihm wäre jede Bezeichnung recht, er wechselt wie gewohnt mit virtuoser Leichtigkeit zwischen den Genres.
Überraschend für uns: Bong verzichtet aufs allegorische Potenzial von Science-Fiction oder Monstern, seine bissige schwarzhumorige Gesellschaftssatire ist fest in der Realität verankert, könnte sich mit all ihrer Absurdität und sozialen Ungerechtigkeit genauso in diesem Moment ereignen. Wahrlich ein Meisterwerk, überbordend an Einfällen, amüsant wie erschreckend, das gelegentlich an die derben Possen eines Johann Nestroy erinnert.

Seoul, Familie Kim haust in einer feuchten verwahrlosten Tiefparterre-Wohnung, düster und so eng, dass man sich kaum bewegen kann. Vater Ki-taek (Song Kang-ho) und Mutter Chung-sook (Chang Hyae-jin) sind schon seit Jahren arbeitslos, Sohn Ki-woo (Choi Woo-sik) und Tochter Ki-jung (Park So-dam), beide Anfang Zwanzig, haben die Zulassungsprüfungen an die Uni trotz mehrfacher Versuche nicht geschafft. Das bisschen Geld, was zum Überleben kaum reicht, verdienen sich die vier durch kleine Gaunereien und mit dem Falten von Pizza Kartons. Ein eh schon miserabel honorierter Job, und als es ans Bezahlen geht, knausert der Auftraggeber, mäkelt an der Qualität, drückt den Preis. Wenn auf der Straße Ungeziefervernichtungsmittel gesprüht werden, lassen Kims die Fenster offen, das ätzende Pestizid verbreitet sich überall, es stinkt, verzweifeltes Husten, aber vielleicht sterben so wenigstens ein paar der Kakerlaken hier unten. Man arrangiert sich liebevoll, ist erfinderisch, teilt loyal Instantsuppe und Dosenbier. Doch an diesem Tag bricht Panik aus, die Handys sind offline, bis jetzt hatte die Familie kostenlos vom WLAN des Nachbarrestaurants profitiert. Nur im äußersten Winkel über der Toilette können die Geschwister unter Verrenkungen grade noch das Netz erwischen. Slapstick wechselt mit rauer Poesie. Nachts pisst regelmäßig ein Betrunkener an das Fenster, Vater und Sohn vertreiben ihn mit einem Eimer Wasser, Slow Motion gibt der Szene ironische Schönheit, die Demütigung bleibt.

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Da eröffnet sich unerwartet ein Ausweg aus der Tristesse. Ein ehemaliger Schulfreund gibt Ki-woo die Chance, ihn während seines Auslandssemesters als Nachhilfelehrer zu vertreten bei der liebeshungrigen Teenager-Tochter des erfolgreichen Corporate CEO Park Dong-ik (Lee Sun-kyun). Natürlich bedarf es Referenzen und Universitätsabschluss, aber Ki-jung ist unschlagbar, was Webdesign und Photoshop betrifft, Vater Ki-jun scheint tief beeindruckt von ihren Fähigkeiten und fragt sich, wieso es an der Kunsthochschule keinen Studiengang für Dokumentenfälschung gibt, sie würde ihn mit Auszeichnung bestehen. Der Sohn belehrt ihn, eigentlich sei es gar keine richtige Fälschung und mit dieser Überzeugung und genügend Selbstbewusstsein tritt er seinen Dienst an bei der wohlhabenden Upperclass Familie. Deren Anwesen ist das visionäre Werk eines Stararchitekten, minimalistische Festung aus Beton und Glas, umgeben von wohl getrimmten Sträuchern. Hier oben über der Stadt ist die Luft wundervoll frisch und rein, die Bezahlung exzellent. Schnell gewinnt, oder besser erschleicht sich der opportunistische Youngster das Vertrauen der jungen Ehefrau Yeon-kyo (Jo Yeo-jeong). Etwas naiv, etwas unsicher, im Arm das kläffende Hündchen, lauscht sie den Worten des jungen Akademikers. Er entdeckt in den Zeichnungen des kleinen Sohns Traumata wie Talent, seine psychologischen Ausführungen verschlagen auch uns den Atem. Geschickt lanciert er seine Schwester unter falschem Namen als hochdotierte Kunstpädagogin, schleust den Vater als Chauffeur und die Mutter als Haushälterin ein. Kein Wort natürlich über die verwandtschaftlichen Beziehungen. Es bedarf raffinierter Inszenierungen, monströser Intrigen und schauspielerischer Höchstleistungen der Familie Kim, um die vorbildlichen Bediensteten der Familie Park loszuwerden. Eigentlich könnten sie glücklich sein, sie haben viel erreicht, aber sie wollen mehr, sehr viel mehr.

Niemand kennt die Bedürfnisse der Reichen besser als die Armen. Sie haben den Gegner studiert, geduldig Jahr für Jahr, jede seiner Reaktionen, Begierden, Schwächen. Das Internet ist ihr Trainingslager, von klein auf an mussten sie sich anpassen, an Rebellion verschwendeten sie keinen Gedanken, es galt den nächsten Tag zu überstehen. Die Kims wurden nicht als Parasiten geboren. „Sie sind unsere Nachbarn, Freunde und Kollegen, die lediglich an den Rand des Abgrunds gedrängt wurden”, schreibt Bong Joon-ho in seinem Director’s Statement. Gewöhnliche Menschen, die in ein unvermeidliches Chaos geraten. Der Regisseur nennt unsere Welt eine „traurige”, denn zwischenmenschliche Beziehungen, die auf Koexistenz oder Symbiose beruhen, können nicht bestehen. Die Parks präsentieren die ideale vierköpfige Familie aus der urbanen Oberschicht, elegant, höflich, mit exquisitem Geschmack, gebildet, mehr oder weniger intelligent. Nie werden sie als Karikatur von Ausbeutung angeprangert, Macht hat hier ein völlig anderes Gesicht als in „Snowpiercer”, der apokalyptischen Klassenkampf Allegorie in weißer Unendlichkeit. Und so bleibt die Gesellschaft klar in Unter- und Oberschicht geteilt, aber in Bongs subversivem Horrorthriller ist kein Revolutionär mehr in Sicht, wer einst den Aufstand probte, kann heute höchstens noch die Rolle des Parasiten übernehmen, die perfideste Form der Abhängigkeit. Voyeuren gleich bestaunen wir sie, die Ohnmächtigen, das Unrecht ist offensichtlich, doch kein Schuldiger in Sicht. „...eine Möglichkeit, wie man die anhaltende wirtschaftliche Polarisierung und soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft darstellen kann, ist, sie als traurige Komödie zu inszenieren. Wir leben in einer Zeit, in der Kapitalismus die herrschende Ordnung ist und wir keine Alternative haben.” Also Kapitulation? Die Stunde der Rache naht, aber das System triumphiert.

Hierarchien sind kein Relikt der Vergangenheit, im Gegenteil, „...die Realität ist, dass es zwischen den Klassen klare Linien gibt, die nicht überschritten werden können,” erklärt Bong (Memories of a Murder, Mother, The Host) in einem Interview, „Ich denke, dass dieser Film die unvermeidlichen Brüche aufzeigt, die entstehen, wenn zwei Klassen in der heutigen, zunehmend polarisierten Gesellschaft kollidieren.” Über das, was nun folgt, bittet der Regisseur die Journalisten Stillschweigen zu bewahren. Es ist ein spektakulärer Showdown, blutig, abstrus, überwältigend. Der Infiltration folgt die Zerstörung von innen. Am Geburtstag des Jüngsten, Indianer Spiele sind seine große Leidenschaft, bricht Familie Park zu einer Reise auf, und schon übernehmen die Kims das Haus. Bald sieht es im Wohnraum aus, als hätten Joe Dantes Gremlins die Villa überfallen. Aus dem verfeinerten Lebensstil der Oberschicht mit all seinen Konventionen und Regeln machen Ki-taek und die Seinen sich wenig. Sie haben sich lang genug angepasst, nun genießen sie Unordnung und Ungehorsam. Als die Herrschaft vorzeitig zurückkehrt, beginnt ein slapstickartiges Versteckspiel. Park Dong-ik hat unglücklicherweise eine höchst empfindliche Nase, den Geruch des Prekariats erträgt er nur schwer. Nun sitzt er in seiner durchgestylten mondänen Festung und wundert sich, woher der unangenehme modrige Gestank kommt, der ihn an seinen Chauffeur erinnert. Er ahnt nicht, wer unter seiner Couch liegt. Kameramann Hong Kyung-pyo („Burning”) kreiert in poetischem CinemaScope die Räume als fragile Seelenlandschaften oder gefährliche Kampfzonen. Ein tropenartiger Wolkenbruch reinigt die Luft im noblen Viertel auf den Hügel, unten in den Gassen der Slums wird er zum reißenden Strom brauner stinkender Kloake, der alles überflutet und zerstört.

Aufmerksamkeit ist gefordert, jedes Detail kann von entscheidender Bedeutung sein, das flackernde Licht, ein Pfirsich, sie bestimmen das Schicksal der beiden so grundsätzlich verschiedenen Familien. „Parasite” gewann als erster südkoreanischer Film in Cannes die Goldene Palme.

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Originaltitel: Gisaengchung (기생충)

Regie: Bong Joon-ho
Drehbuch: Bong Joon-ho & Han Jin Won
Darsteller: Song Kang-ho, Lee Sun-kyun, Jo Yeo-jeong, Jang Hye-jin, Park So-dam, Choi Woo-shik, Jeong Ji-so, Jung Hyun-joon, Lee Jung-eun
Produktionsland: Südkorea, 2019
Länge: 132 Minuten
Kinostart: 17.10.2019
Verleih: Koch Films in Zusammenarbeit mit capelight pictures

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Koch Films

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