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Academy Awards 2021: „Nomadland” wurde als bester Film ausgezeichnet, Chloé Zhao für die beste Regie und Frances McDormand als beste Hauptdarstellerin.   
„Nomadland” ist eine zärtlich raue Ode an den Pioniergeist der Wanderarbeiter. Ob in Arizona oder Kalifornien, der Finanzcrash 2008 zerstörte ihre bürgerliche Existenz. Die ehemaligen Mittelständler sind älter, weit über sechzig, sie geben nicht auf, nehmen Verlust und Armut als Herausforderung, durchqueren von nun an das Land in einfachen umgebauten Vans auf der Suche nach Jobs, Freiheit, neuen Werten, jener nie gekannten Unabhängigkeit. Zhaos visuell eindringliches Roadmovie berührt zutiefst in seiner poetischen Verflechtung von Realität und Fiktion, Western Mythos und Traditionsbruch. 

 
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In „The Nest - Alles zu haben ist nie genug” erzählt Sean Durkin von Machtgier, Selbstbetrug und einer scheinbar gleichberechtigten Partnerschaft, die sich unerwartet als gemeinsam erschaffener Mythos entlarvt.
Den Zerfall von Beziehungen umgibt oft etwas seltsam Gespenstisches, und genauso verfilmen der kanadische Regisseur und sein ungarischer Kameramann Mátyás Erdély jenes Hybrid aus psychologisch nuanciertem Thriller, Familiendrama und verstörender Kapitalismus-Parabel. Doch am Vorabend des Finanzcrash treiben keine fremden Gespenster ihr Unwesen hinter neo-gotischem Gemäuer, sondern die eigenen Dämonen. Eine ästhetisch suggestive und fesselnde Schauermär.    

 
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„Das Neue Evangelium” inszeniert Milo Rau als Manifest der Solidarität, eine radikale Neuinterpretation der Kreuzigung Christi: Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm, politischer Aktionskunst und zornig emotionalem Aufschrei.

Der Schweizer Theatermacher, Autor und Filmregisseur zeigt den Entstehungsprozess seines Passionsspiels als Spiegelbild westlichen Kapitalismus. Jesus, den Sozialrevolutionär, verkörpert der schwarze Politaktivist Yvan Sagnet, in Süditalien Symbolfigur des wachsenden Widerstands von Migranten gegen Ausbeutung und Mafia.

 
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Nur zu oft entscheidet nicht die Qualität eines Films über dessen Erfolg oder Misserfolg: „Enfant Terrible” von Regisseur Oskar Roehler lobten viele Feuilletonisten in den höchsten Tönen.

Die Fassbinder-Hommage mit Oliver Masucci in der Hauptrolle war für Cannes nominiert, doch das deutsche Publikum zeigte bisher wenig Interesse an der provokant turbulenten Farce.
19.566 Zuschauer in den Wochen nach der Premiere beim Filmfest Hamburg, welch ein deprimierendes Ergebnis. Und dann schlossen auch schon wieder die Kinos. Was können die Gründe sein, dass grade dieses künstlerisch eigentlich spektakuläre Werk floppte?

 
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Der israelische Regisseur Yuval Adler inszeniert „The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit” ästhetisch virtuos als leicht antiquierten eleganten Psychothriller im Stil der Fünfziger Jahre – packend, vielschichtig, durchsetzt mit politischen wie auch filmhistorischen Anspielungen.

Das verstörende Schuld- und Sühnedrama wird geschildert aus der Perspektive einer Roma, die den Holocaust überlebt hat. Charakteristisch für die Nachkriegszeit jenes Geflecht aus Unwahrheit, Täuschung, Traumata und Sehnsucht nach Erlösung. Nur wem soll der Zuschauer glauben?

 
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Pablo Larraín kreiert „Ema” als hochexplosiven Mix aus Familiendrama, Tanzperformance, Selbstfindungstrip, Zorn, Zärtlichkeit, Erotik und Feuer. Der chilenische Regisseur bezeichnet das rätselhafte bildgewaltige Puzzle als „eine Meditation über die Mutterschaft”.

Im Gegensatz zu seinen bisherigen Werken wie „Neruda” oder „¡NO!” ist dieser Film keine Autopsie der Vergangenheit, er dreht sich allein um Jugend und Gegenwart, Rebellion und Tabubruch. Ema (Mariana di Girólamo) hat ihren achtjährigen Adoptivsohn den Behörden zurückgegeben, aber ohne ihn kann und will sie nicht leben.

 
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„Niemals Selten Manchmal Immer” ist die Geschichte einer Abtreibung. Oder besser die Geschichte zweier Cousinen und ihrer Freundschaft. Es geht um jene Gewalt, die wir Frauen täglich verdrängen und deren Folgen.
Eliza Hittman inszeniert das berührende Coming-of-Age-Drama als Gegenstück zu den romantischen New York Trips lebenshungriger Teenager, eine Annäherung an den Schmerz, die Einsamkeit der Jugend zwischen Enttäuschung und stiller Entschlossenheit. Die amerikanische Regisseurin registriert jede Gefühlsregung, überrascht mit einer neuen subtilen Form des Realismus, intensiv, direkt, und doch unaufdringlich, das Geheimnis der kleinen Gesten in Großaufnahme.

 
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Sie war eine Ikone der Nouvelle Vague. An der Seite von Belmondo avancierte Jean Seberg, die 21jährige US-amerikanische Schauspielerin, durch Jean-Luc Godards Kult-Film „Außer Atem" (1960) weltweit zum Inbegriff neu entdeckter künstlerischer Freiheit. Doch in den Vereinigten Staaten gerät sie auf Grund ihres Engagements für die radikale Bürgerrechtsbewegung Black Panther ins Visier des FBI.

Der australische Regisseur Benedict Andrews kreiert mit „Jean Seberg – Against all Enemies” ein vielschichtiges Frauenporträt zwischen Glamour und Verzweiflung. Es erinnert an die Polit-Thriller aus den siebziger Jahren wie Francis Ford Coppolas „Der Dialog“ (1974) oder Alan J. Pakulas „Klute“ (1971). Grandios verkörpert Kristen Stewart die fragile Rebellin als Opfer von Fake News und Bespitzlung.

 
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Niemand beherrscht das Kino als Zeitmaschine so virtuos wie Christopher Nolan. Der fünfzigjährige in London geborene Hollywood-Regisseur erfüllt sich mit „Tenet” den Kindheitstraum eines raffinierten Spionagethrillers à la James Bond: Science-Fiction mutiert bei ihm zur abenteuerlich philosophischen „Mission Impossible”, überwältigt den Zuschauer, als wäre er ein feindlicher Gegner.

Der ungewohnte atemberaubendes Sound der Kompositionen von Ludwig Görnasson vibriert in unseren Körpern, während die Truppen nicht nur aus entgegensetzten Richtungen, sondern auch aus verschiedenen Zeitachsen angreifen. Es ist kein nuklearer Holocaust, der die Menschheit bedroht viel mehr ein temporaler. Dahinter verbirgt sich wie in Gotham City jener Bösewicht par excellence, dessen Kindheitstraum sich als Enttäuschung entpuppt, der zerstören muss, was er nicht besitzen kann.

 
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Altmeister Marco Bellocchio inszeniert „Il Traditore” als wuchtiges kraftvolles Mafia-Epos fern trügerischer Romantisierung. Der 80jährige Regisseur boykottiert bewusst den fiebrig schillernden Glamour im Stil von Martin Scorseses „Good Fellas” (1990) oder Sergio Leones „Es war einmal in Amerika” (1984). Sein Protagonist Don Masino, der einflussreiche Clan-Chef Tommaso Buscetta (überragend Pierfrancesco Favino), bricht 1984 das gegenüber der Cosa Nostra geleistete Schweigegelübde.

Dies ist politisch engagiertes italienisches Kino und nicht Hollywoods Traumfabrik, ein fulminantes Meisterwerk, packend, ästhetisch brillant. Es geht um Loyalität und Selbstbetrug, Gewalt und Ohnmacht. Die Realität entlarvt sich als bösartige blutige Farce. Jene bis dahin wohl gehüteten Geheimnisse der sogenannten Ehrenwerten Gesellschaft werden nun in aller Öffentlichkeit vor Gericht verhandelt.

 
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„Wege des Lebens – The Roads Not Taken” ist ein Blick tief in das Innerste des Menschen, eine ästhetisch virtuose Exkursion durch Zeit und Raum auf den Spuren noch unentdeckter oder unbewusster paralleler Gedankenwelten. Suggestiv, voller Melancholie und schauspielerisch überragend.

Die britische Regisseurin Sally Potter schildert 24 Stunden aus dem Leben von Leo (Javier Bardem) und seiner Tochter Molly (Elle Fanning). Mit ungelenk verzweifelter Zärtlichkeit kämpft die Zweiundzwanzigjährige um den Vater, der früh an Demenz erkrankt ist. Sie versucht das ihr Unverständliche zu dechiffrieren, die Distanz zu überbrücken. Selbst wenn Leos Kopf auf ihrer Schulter ruht, ist er weit weg. Nur wo? Wir, die Zuschauer, beginnen es zu begreifen.

 
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Ihr Blick trifft uns mitten ins Herz, – ein Blick voller Zorn, Entschlossenheit, Schmerz und Trauer. Cynthia Erivo spielt die Rolle der legendären afroamerikanischen Freiheitskämpferin aus dem 19. Jahrhundert: Harriet Tubman. Sie wuchs in Maryland als Sklavin auf, flieht 1849 allein zu Fuß 100 Meilen durch Wälder und unwegsames Gelände nach Pennsylvania, gehetzt von Hunden und Sklavenjägern. Doch die politische Aktivistin kehrt immer wieder heimlich zurück in die Südstaaten, um Hunderte von Leidensgenossen über die Grenze zu schleusen.
Das berührende Bio-Pic „Harriet – Der Weg in die Freiheit” inszeniert Regisseurin Kasi Lemmons ästhetisch virtuos als Mix aus feministischem Western und intimer Charakterstudie voll alttestamentarischer Power. Die Heldin in der Tradition von Jeanne d'Arc vertraut allein auf Gott und ihre Visionen, wenn es sein muss, greift sie auch zur Waffe. Ihr Deckname lautet Moses.

 
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Mit „Die schönsten Jahre eines Lebens” kreiert Claude Lelouch eine hinreißende nostalgische Collage aus Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion. Ein Film im Film, durchdrungen von Zärtlichkeit wie auch Ironie. Noch einmal kehren Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant als Liebespaar auf die Leinwand zurück.

Die Erinnerungen der Protagonisten katapultieren uns per Rückblende in den legendären Kino-Klassiker „Ein Mann und eine Frau”. 53 Jahre ist es her, dass der französische Regisseur jenes melancholische Nouvelle Vague-Epos drehte, welches die Art und Weise Lovestorys zu erzählen, revolutionierte und ihm selbst zum internationalen Durchbruch verhalf.

 
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Berlin Alexanderplatz

Der Film „Berlin Alexanderplatz” reißt uns mit in die Abgründe seines Helden: Francis (Welket Bungué), Flüchtling aus Guinea-Bissau, fast ertrunken beim Kentern des Bootes im Meer, schwört Gott, dass er von nun an gut sein will, genauso wie Franz Biberkopf es einst tat nach vier Jahren Knast. Der Kampf um die Anständigkeit, die Suche nach sich selbst, ist verzweifelt, surreal, tragisch, aussichtslos, die Schuldgefühle oft unerträglich.

Rigoros hat Regisseur Burhan Qurbani den 1929 erschienenen Roman von Alfred Döblin neu interpretiert und bleibt doch jener legendären literarischen Vorlage eng verbunden.