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Mit dem Motto „Zwischen Ökologie und Baukunst“ rückte der Hamburger Architektur Sommer von Mai bis Juli 2023 den Klimawandel und seine Auswirkung auf die Stadtgestalt in den Fokus.

Gleichzeitig lenkten die vielfältigen ca. 270 Veranstaltungen den Blick auch auf soziale Prozesse und Akteure, die die Stadtentwicklung indirekt beeinflussen. Vielleicht kann man sogar behaupten, dass der Architektursommer selbst dazugehört.

 

Die Geschichte von BOOT e.V. ist dafür ein Beispiel. Der Verein hat jetzt am Bille-Ufer der Osterbrookinsel von der Stadt eine große Fläche pachten können, um darauf einen Kanuverleih mit Café zu betreiben und Konzerte zu veranstalten. Dazu hat auch der Architektursommer beigetragen. Denn 2019 nahm der Verein – damals noch eine Nachbarschaftsinitiative – zum ersten Mal am Architektursommer teil und stellte sein Konzept von Kultur, Sport und Gastronomie mit Erfolg einer größeren Öffentlichkeit vor. Mittlerweile ist BOOT e.V. im Stadtteil fest verankert.

 

BOOTeV Paddeln F Stefan Malzkorn

BOOT e.V. Paddeln. Foto: Stefan Malzkorn

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Die Osterbrookinsel liegt in Hamburgs Osten, in Hamm-Süd, ein Stadtteil an der Bille, der von Kanälen durchzogen ist. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Industrie- und Arbeiterwohnort vollständig zerstört. Dieses Trauma verhinderte lange, dass hier wieder Menschen wohnen wollten, und so siedelten sich an den Kanälen vor allem Gewerbe an. Vor dem Krieg hatte Hamm-Süd 70-90.000 Bewohner, 1946 nur etwas über 7.000, jetzt wieder knapp 40.000. Es gibt hier viel Wasser, aber wenig öffentlich zugängliche Ufer und wenig Kultur. Das zu ändern, entschied sich der Fotograf Stefan Malzkorn schon bald, nachdem er 2012 auf die Osterbrookinsel gezogen war. Er gründete eine Nachbarschaftsinitiative, die Vorläuferin des Vereins. 2017 organisierte sie im September am Hammer Deich das erste Osterbrooklyn Musikfestival. Seitdem findet es dort regelmäßig statt.

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Diesen Architektursommer veranstaltete BOOT e.V. jedes Wochenende sogenannte Rasen-Konzerte, darunter Jazz, Rock, Hiphop. Am liebsten würde Stefan Malzkorn noch Klassik ins Programm aufnehmen. Dass es dieses Jahr vom Hamburger Musikstadtfond gesponsert wurde, macht ihn stolz. In den Gewerberäumen und Bunkern von Hamm haben viele Bands ihre Übungsräume und auf den Konzerten von BOOT e.V. treten sie auf. So entsteht und wächst Kultur und trägt zur Entwicklung und Erschließung neuer Wohngebiete bei. Denn Hamburg will in Richtung Osten wachsen und plant dort zwischen alten Verkehrstrassen und Industrien neue Wohn- und Gewerbequartiere.

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Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) nutzte den Hamburger Architektursommer, um einen Einblick in das ganze Ausmaß gesamtstädtischer Planungen zu vermitteln. Unter dem Titel „Die ganze Stadt“ präsentierte sie sämtliche Entwürfe aus den 170 Wettbewerben, die von 2017 bis 2023 in allen Bezirken der Stadt veranstaltet wurden. Damit die Öffentlichkeit spüren kann, dass in der Stadt nicht ab und an mal irgendwo ein Wettbewerb stattfindet, sondern dass das eine umfassende Dimension hat, in der die Kreativität und Anstrengung vieler Beteiligter steckt, hatten die BSW und ihr Oberbaudirektor Franz-Josef Höing entschieden, diese überwältigende Fülle von über 1.400 Entwürfen zu zeigen.

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Die ganze Stadt

Die Ganze Stadt KAWAHARA. Foto: © Jan Lewandowski

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Der Ort dafür war klug gewählt: der alte Schuppen 29 auf dem Baakenhöft in der Hafencity liegt genau an einem Punkt, von dem die Stadt in Richtung Süden und Osten weiterwachsen will. Die verkehrsreichen Elbbrücken, alten Kaianlagen und Hafenbecken in Sichtweite der neuen Hafencity bildeten das angemessene Hintergrundbild für diese Schau der neuen Möglichkeiten und vielfältigen Ideen. Der gigantische Schuppen 29 bot dazu mit seinem undichten Dach die passende abgenutzte Rohheit und räumliche Weite. Darin finden immer wieder Theateraufführungen und Kunstausstellungen statt, die Kultur unterstützt hiermit die Rückgewinnung und Transformation ehemaliger Industriegebiete zur Stadt.

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Im Schuppen 29 schwebte nun in eigenartig zarter Anmutung ein Archiv der Ideen. D.h. die 1.400 Entwürfe waren auf 1.100 weißen Fahnen abgebildet, die in 53 akkuraten Reihen von der Decke hingen. Wer alle 53 Reihen abschritt, konnte 1,7 Kilometer zurücklegen. Geordnet waren diese Reihen in sieben Gruppen nach den sieben Bezirken Hamburgs. Besucher aus Harburg oder Bergedorf beispielsweise konnten so gezielt die Fahnen bzw. Wettbewerbe ihrer Bezirke ansteuern.

Jeder dieser Bezirksgruppen war eine sogenannte Insel zugeordnet. Das war ein mit farbigen Stellwänden geschaffener Raum, der sich jeweils einem Planungsthema widmete, z.B. Wohnen, Mobilität oder klimagerechte Stadt. Auf den Stellwänden wurde die aktuelle Aufgabenstellung des Planungsthemas erklärt und mit preisgekrönten Projekten veranschaulicht.

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Durch das kluge und ästhetisch ansprechende Ausstellungskonzept war die Überfülle der gezeigten Wettbewerbsbeiträge zu bewältigen. Erdacht und umgesetzt haben es das Kuratorenteam Kawahara Krause Architects und der Architekturpublizist Kaye Geipel. Die Schau war drei Wochen lang, vom 23. Juni bis 14. Juli, zu sehen und bot den Rahmen für 14 Veranstaltungen mit hochkarätigen Podiumsgästen. Hamburg zeigte sich von der besten Seite seiner Planungskultur: kreativ, diskursiv, kritisch, ganz State-of-the-Art. Das haben 5.500 Besucher gewürdigt, ein Erfolg.

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Weniger glänzen kann die Stadt beim Fall Sternbrücke, der Anlass für die Ausstellung „Archiv Sternbrücke“ war. Diese Brücke liegt auf der Eisenbahnlinie zwischen Hamburg und Altona, die als Verbindungsbahn mitten durch die Stadt verläuft. Die erste Brücke stammt von 1893. Schon 1925/26 wurde sie an derselben Stelle neu gebaut aus bestem Eisenstahl. Nun möchte die Deutsche Bahn AG sie wieder durch einen Neubau ersetzen. Vor drei Jahren veröffentlichte sie ihren Entwurf. Diesmal ist es eine Brücke ohne Stützen und einer stolzen Höhe von 26 Metern, die die gesamte Umgebung überragt und deren Bau den Abriss von sieben Häusern erfordert. Dazu müssen ca. 90 Bäume gefällt werden.

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Sternbrücke Johanna Klier

Sternbrücke. Foto: Johanna Klier

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Abgesehen von wenigen behördlichen Verkehrsplanern, die unter der Brücke gerne die Straßen verbreitern wollen, stößt diese sogenannte Monsterbrücke überwiegend auf Ablehnung, vor allem bei den Anwohnern und der Fachöffentlichkeit von Architektenschaft und Denkmalschützern. Denn die Sternbrücke von 1925/6 steht unter Denkmalschutz. Sie zu restaurieren, ginge auf Kosten der DB. Ein Neubau würde dagegen mit Bundesmitteln bezuschusst. Schon seit 2005 schwelt der Konflikt, 2020 wurde ein Planfeststellungsverfahren angekündigt.

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In der Zeit begann die Architekturfotografin Johanna Klier, die Umgebung der Sternbrücke mit ihrer Kamera zu durchstreifen und zu dokumentieren. Sie forschte in Archiven, sammelte alte Bilder, Pläne, Texte und Material, das ihr alteingesessene Bewohner brachten, und legte ein eigenes „Archiv Sternbrücke“ an. Ergänzt mit Arbeiten anderer Künstler präsentierte sie ihre Arbeit vom 30. Juni bis 16. Juli in der Galerie Kleefeld. Die Ausstellung machte den ästhetischen Reiz dieses Ortes sichtbar, an dem noch Geschichte erfahrbar ist, und der unter der teilweise schäbigen Patina ein soziales und kreatives Potential hat, das mit der neuen Planung verloren geht.

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Die Galerie Kleefeld liegt an der Stresemannstraße, die sich mit der Max-Brauer-Allee unterhalb der Sternbrücke kreuzt, beides vielbefahrende Ausfallstraßen. Direkt an der Kreuzung ist ein kleiner Platz, der sogenannte „Kreisel“, der den Eingang in die Wohlersallee bildet, eine idyllische Wohnstraße aus Stadthäusern mit Vorgarten, die in den Wohlerspark mündet, einen ehemaligen Friedhof. Oben die Bahn, unten die Autos: es herrscht ein Lärmpegel, der es erlaubt, dass sich in diesem Wohngebiet in den letzten 30 Jahren fünf Clubs rund um die Sternbrücke ansiedelten, z.B. das „Fundbüro“ in den Kasematten unter der Brücke, genau in den Räumen, wo früher das Fundbüro der Bahn war. Eine Ruhestörung durch den Club-Betrieb ist hier wenig wahrscheinlich.

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Johanna Klier zeigt auf ihren Fotos keine Menschen, sondern dokumentiert die Gebäude und historischen Spuren entlang der Ausfallstraßen, ein Gebiet, das über Jahrzehnte sich selbst überlassen war: verwinkelte Hinterhofsituationen, Fassaden von Gründerzeithäusern, den Neubau eines Wohnprojekts, Graffitis, Straßenbäume oder die improvisierte Einrichtung von dämmrigen Bars und Clubs. Die lange Zeit unbestimmte Situation hat Möglichkeitsräume eröffnet. Nur so konnte sich hier eine Club-Kultur entwickeln.

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In der letzten Jahrhunderthälfte gab es in diesem Wohngebiet noch alle möglichen Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe, z.B. einen Holzhandel oder eine Werkstatt für Waagen, die alte Firmenaufschrift ist noch auf der Fassade lesbar. Dahinter ist jetzt der Club „Waagenbau“ untergebracht. In die Läden sind heute u.a. Imbisse, eine Shisha-Bar und Kioske gezogen, kleine Familienbetriebe, die hier jahrzehntelang günstige, wenn auch prekäre Mietverträge hatten. Die Kleinteiligkeit der Architektur hat enge Nachbarschaften entstehen lassen, was den Protest gegen die neue Brücke beflügelt. Der manifestiert sich an Wochenenden auf dem Platz bei der Sternbrücke in den sogenannten „Kreisel-Konzerten“. Die Ausstellung vermittelte insgesamt die Atmosphäre eines sozial sehr gemischten, kreativen städtischen Milieus, das jetzt durch eine eindimensionale Verkehrsplanung zerstört werden soll.

 

Der Hamburger Architektursommer bietet alle drei bis vier Jahre den Bürgern und Akteuren der Stadt einen Rahmen, in dem sie ihre Position zur Diskussion stellen können. So spiegelt er als nicht-kommerzielles Kultur-Event die Entwicklung der Stadt. Dabei wird sichtbar, wie die kulturelle Produktion selbst ein Faktor oder sogar Instrument der staatlichen Stadtplanung geworden ist und in Abhängigkeit steht.


Hamburger Architektur Sommer

von Mai bis Juli 2023

Weitere Informationen (Hamburger Architektur Sommer)

 

Der BOOT eV lädt Sie und Euch anlässlich der Erinnerung an die großflächige Zerstörung Hamburgs vor 80 Jahren zu einem Gedenk-Abend ein: 80 Jahre Operation Gomorrha.

Gedenktag im BOOT, Do 27.07.2023 ab 17:00

Öffentliche Veranstaltung im Rahmen des Hamburger Architektursommer 2023

Programm 18:30 bis 20:30:

Durch das Programm führen der Hamburger Dramaturg und Künstler Michael Batz und der Vorsitzende des BOOT eV, Stefan Malzkorn.

- Musikalische Beiträge von Eddy Winkelmann und Edgar Herzog

- Lesung aus dem Buch „Null Uhr Neunzehn“ (Michael Batz)

- Redebeitrag (Stefan Malzkorn)

Der BOOT eV möchte mit der Veranstaltung die Erinnerung an den Feuersturm in Hamburg 1943 einbetten in seine Vorgeschichte und seine Folgegeschichte, die bis heute sichtbar ist. Keine falsche Betroffenheit, sondern ein klarer Blick auf die Ereignisse, die sich weltweit bis heute wiederholen können, und sich bereits wiederholen.

Unser Anliegen ist es, die Deutung des dritten großen städtebaulichen Masterplan „Stromaufwärts an Elbe und Bille“ (2015) mit der gewünschten Verdichtung in Hamm, Horn, Rothenburgsort und Borgfelde nicht alleine der Stadtplanung und den Investoren zu überlassen: Ein Plan, der bereits umgesetzt wird.

Wir regen mit dieser Veranstaltung an, zwischen den in Hamm Süd geplanten Wohnungsbau-Großprojekt „Osterbrookhöfe“ und dem „alten“ Osterbrook als Fläche über dem Südkanal einen großen Erinnerungsort an den Untergang von Hamm, Horn, Rothenburgsort und Borgfelde im zweiten Weltkrieg zu schaffen, der deutlich über jede städtische und nationale Grenzen hinaus wirkt.

Ort: Vereinsgelände des BOOT eV, Osterbrookplatz 18(a), 20537 Hamburg
ÖPNV:

Bus 112 Endhaltestelle Osterbrookplatz
Bus 130 Haltestelle Braune Brücke

Stadtrad: Station auf dem Osterbrookplatz

Bitte für die Anfahrt nach Möglichkeit auf das Auto verzichten – Parkmöglichkeiten bestehen nur im Bereich der Diagonalstrasse.

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