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Mummy Brown / Mumienbraun

Das Programmheft hat nicht zu viel versprochen: Eine derart blutige, ins Groteske überzogene Horror Picture Show hat man in Hamburg noch nicht geboten bekommen.
„Mummy Brown/ Mumienbraun“, der zweite Trilogie-Teil der norwegischen Theatergruppe Susie Wang, spielt so lustvoll wie furios mit Theatermitteln - und unseren abgrundtiefen Ängsten vor Schwarzen Löchern.

„Sie können es anfassen“. „Es ist aus der Vergangenheit“. „Es ist aus dem All“. Monoton und emotionslos wie ein Roboter wiederholt die weibliche Aufsicht (Mona Solhaug) diese Sätze, sobald jemand den Raum betritt. Und: “ Achten Sie auf das Loch im Boden, es ist sehr tief“. Wir befinden uns in einem Museum, edel bestückt mit Marmorfliesen und einer Marmorsäule. Links und rechts Sockelreihen mit „außerirdischen“, silber- und goldfarbenen amorphen Skulpturen.
Wie im richtigen Museum passiert eine ganze Weile erst einmal gar nichts. Die Wärterin packt ihr Pausenbrot aus, sitzt auf ihrem Stuhl und kaut. Dann betritt eine Besucherin den Raum, setzt sich auf die Bank vor einen metallischen goldigen großen Kreis vis à vis den Zuschauern – und hinterlässt beim Aufstehen einen dicken fetten Blutfleck.
Von diesem Augenblick an wird es spooky: Der Blutfleck lässt sich nicht wegwischen. Eine eiförmige Skulptur beginnt wie von Geisterhand zu rotieren. Eine andere beißt Finger blutig. Und schließlich das ominöse Loch: Das schwarze Loch in der Mitte des Raumes, das selbstverständlich nicht abgesperrt ist und das, als die kugelrunde Margit (Julie Solberg) auftaucht, offenbar Futter wittert. Mit ungeheurer Anziehungskraft (zu suggestivem Sturmgebraus) zieht es die sich vergeblich wehrende Hochschwangere wie einen Pfropfen über den Schlund – und das ungeborene Baby in die Tiefe. Zurück bleibt eine Frau mit aufgerissenem Bauch, einschießender Muttermilch und meterlanger, schleimig-blutiger Nabelschnur (besser gesagt: dickem Nabel-Seil), die jedoch noch fit genug ist, ihren Mann Frank (Kim Atle Hansen) wenig Später an dieser Schnur in die Tiefe hinab zu seilen, um das Baby zu holen. Er taucht tatsächlich wieder auf - allein, dafür mit abgerissenem, bzw. abgebissenem Penis in der Hand. Als die Wärterin – längst als Hüterin des Bösen identifiziert – das glitschige Etwas in ein Glas Wasser fallen lässt, wo es munter wie ein Fisch umherschwimmt, wirkt das Lachen der Herren im Zuschauerraum doch etwas bemüht.

Diese Horror-Satire ist definitiv nichts für zarte Gemüter, weder für weibliche noch für männliche. Aber letztlich ist das alles so unglaublich absurd, so surreal und abgedreht, dass es schon wieder komisch ist.

Und das Grauen geht ja noch weiter. Das Baby lebt und will gefüttert werden, man hört es in der Tiefe weinen, dann schwillt der Ton an zum Monster-Knurren. Unwillkürlich muss man an Stephen Kings „Es“ denken, den Horror-Schocker mit der menschenfressenden Kreatur in der Kanalisation. Keine Frage, In „MummyBrown/ Mumienbraun“ spielen die Norweger wirklich grandios auf der Klaviatur theatraler Möglichkeiten.
Zum Schluss opfert sich die Mutter ganz. Begibt sich ein für alle Mal in das verschlingende Loch. „Es ist mein Kind, mein Leben, meine Zukunft“, schreit sie der Museumswärterin zur Begründung noch entgegen. Die antwortet nur trocken: „Mit der Zukunft haben wir es hier nicht so“.
Wohl wahr. Es geht um die Vergangenheit. Um eine dunkle Macht, die im Verborgenen lauert und langsam wieder zum Leben erwacht. Insofern kann man dieses aberwitzige Stück postdramatischen Theaters auch als Metapher auf den wiedererstarkenden Faschismus lesen. Wer die Nerven hatte durchzuhalten, erlebte einen unvergesslichen Abend.

Internationales Sommerfestival 2019, Kampnagel

Weitere Informationen
Susie Wang: Mummy Brown / Mumienbraun
Dauer: 85 Min. Mit wenig englischer Sprache
So, 18.08.2019 19:00
Kampnagel – K1
Weitere Informationen zum Stück


Abbildungsnachweis:
Header-Copyright: Alette Schei Rørvik

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