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Salzburg – Jazz & The City Foto Claus Friede

Was für ein Geschenk! Fünf Tage Musik bei freiem Eintritt als Dankeschön für die Salzburger, die sich das ganze Jahr über um die anderen, die Salzburg-Touristen, gekümmert haben...
So war es vor 18 Jahren geplant. Mittlerweile hat sich „Jazz & The City“ zum Hotspot der internationalen Jazzszene entwickelt, wie die rund 300 Musiker aus aller Welt bewiesen, die in der vergangenen Woche die Mozartstadt jammten. Was schert da schon Dauerregen und Sturm zum Finale – bei 100 Konzerten auf 50 Bühnen bleibt sowieso keine Zeit für Sightseeing.

Ohje, wo soll ich bloß hin? Es ist Donnerstag, der 26. November, ich bin glücklich in Salzburg gelandet und studiere im Hotel nun erst mal das Programm. 35 Konzerte an mehr als 20 Orten allein an diesem Tag. Das klingt schon nach glatter Überforderung. Von den aufgelisteten Künstlernamen kenne ich in der Tat auch nur eine Band: Das Tingvall Trio. Das ist aber auch kein Wunder, die kommen ja aus Hamburg, jedenfalls ist die Hansestadt ihre Wahlheimat. Das Trio ist zwar toll, aber dafür muss ich nicht nach Salzburg fliegen. Jetzt lieber etwas Neues entdecken: Aline Frazão beispielsweise. Eine wunderschöne Sängerin aus Angola mit ebenso schöner, samtweicher Stimme, die ihre portugiesischen Folk- und Fado-Songs auf der Gitarre begleitet. Wie gut, dass die Weltmusikerin um 21 Uhr ein zweites Mal auftritt, da kann ich ja dann noch später hin. Und jetzt? Zum Überraschungskonzert in die „Mentors Bar“? Oder lieber auf „Nummer Sicher“ gehen und Mokoomba aus Simbabwe anhören? Die sechsköpfige „Afro-Fusion-Gruppe“ spielte bereits am Eröffnungsabend. Messerscharfe Schlussfolgerung: Die müssen besonders gut sein! Tja, das sind sie auch, aber offenbar war ich nicht die einzige, die das geahnt hat: Um 18.45 Uhr platzt das „Afro Café“ bereits aus allen Nähten. Dank des leuchtend roten Presseausweises wird mir ein Plätzchen neben den Boxen zugeteilt. Leider ist der energetisch aufgeladene Sound aus traditionellen Tonga Rhythmen und Funk-Grooves der Afrikaner hier erheblich zu laut. Also ab durch die tanzende Menge und auf zu Ali Boulo Santo Cissoko, den senegalesischen Meister der Kora, einer mit beiden Händen gespielten Stegharfe mit einem riesigen, kunstvoll verzierten Kürbis als Klangkörper. Er spielt einfach hinreißend und sehr wohltemperiert, fast leise. Das scheint das Publikum im „Café Glüxfall“ an diesem Abend offenbar fehl zu interpretieren. Jedenfalls würdigen die Wenigsten die Raffinesse des virtuosen Spiels und quatschen munter drauf los.

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Aber andererseits macht das ja auch den besonderen Charme und die Qualität dieses Festivals aus: Man bummelt durch die Cafés und Restaurants der Altstadt, man isst und trinkt, tanzt oder unterhält sich mit Freunden – und inhaliert dabei ganz unwillkürlich das breite Spektrum des „Festivals für Jazz, World & Electronic Music“, wie „Jazz & The City“ im Untertitel heißt. Das Wenigste ist hier Swing, Dixieland oder konzertanter Cool Jazz. Dafür gibt es jede Menge Fusion mit Rock, Pop, Latin und traditioneller Volksmusik. Sogar arabischer Hip-Hop-Beat ist zu hören. Ein Sound, auf den nicht nur die Jugend abfährt. Die palästinesische Band 47Soul aus Großbritannien muss man sich in jedem Fall merken!

Überhaupt steckten diese fünf Tage voller Überraschungen und Entdeckungen. Zum Auftakt begeisterte das 18-köpfige „Andromeda Mega Expess Orchestra“ die Salzburger, eine aberwitzige, ganz junge Bigband mit starker Streicher-Fraktion aus Berlin, die zwischen Neuer Musik, Funk, orientalischen Melodien und Free-Jazz-Improvisationen oszilliert. Dann die französische Trompeterin Airelle Besson, die insgesamt drei Mal mit wechselnder Besetzung auftrat und bei ihrem dritten Gig mit dem französischen Akkordeonisten Lionel Suarez vorführte, wie zart und melodiös ihr Instrument zu einem Musette-Walzer klingt. Für Furore sorgte auch die Multikulti-Truppe „A Novel Of Anomaly“ mit dem finnischen Gitarrenkünstler Kalla Kalima (der auch solo auftrat), dem italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini und den beiden Schweizern, dem Drummer Lucas Niggli und dem begnadeten Lautmaler Andreas Schaerer. Diese Avantgardisten scheinen von den Klängen der Natur inspiriert: Spaciges Sirren, Zirpen und Schnalzen steigerten sie zu gewaltigen Beatbox-Klangkaskaden, die den Zuhörer in ferne musikalische Sphären entführte.

Es ist wirklich ungerecht aus diesen fantastischen fünf Tagen einzelne Künstler herauszugreifen. Es ist ungerecht, weil man sich natürlich an die erinnert, die man erlebt und gehört hat: Die stimmgewaltige US-Sängerin Shayna Steele, die drei neapolitanische Prachtweiber der Gruppo Musicale Assurd, den Norwegischen Pianisten und Nachwuchsmentor Bugge Wesseltoft, die überschäumende Gruppe „Rohey“, die jüdische Sängerin Timna Brauer mit ihrem bezaubernden Kinderprogramm und last but not least das Trio „Shalosh“, das mit seinen Genres verbiegenden Groove-Paden zwischen Rock, Klassik, afrikanischer und östlicher Musik vielleicht die größte Entdeckung dieses Salzburger Jazz-Herbstes ist.
Aber das waren ja nur Bruchteile des Mammutprogramms. Und die holländische Saxofonistin Marike van Dijk, auf die Inga Horny, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Salzburg Altstadt, und Tina Heine, die künstlerische Leiterin des Festivals, in dem dicken Programmheft „besonderes Augenmerk“ legen, ist mir auch noch entgangen.

Die Tatsache, dass viele Namen einem breiten Publikum nicht bekannt sind, gehört übrigens zum Konzept. Tina Heine hat ganz bewusst keine internationalen Stars verpflichtet, die alle anderen Kollegen in den Schatten stellen. Sie hat vielmehr ein stilistisch unerhört vielseitiges Programm mit insgesamt 77 Gruppen, bzw. Solokünstlern zusammengestellt, in dem Musiker aus Afrika, dem Nahen Osten und Norwegen Schwerpunkte bilden. Ihr war es auch wichtig, die Musiker ein paar Tage in der Stadt zu halten, ihnen den Austausch mit den internationalen Kollegen zu ermöglichen, dafür hat sie kurzerhand ein leerstehendes Haus nahe dem Mirabell-Platz in das legendäre „Chelsea Hotel“ verwandelt – und damit auch noch die Salzburger Taxifahrer verwirrt. Keiner kannte das Chelsea und wer es kannte, vermutete es natürlich in New York. Was für ein Fehler!

Irgendwann liege ich um Mitternacht auf dem Boden der Kollegienkirche, lausche der elektronischen Sphären-Musik von Stian Weserhus und Nils Petter Molvaer und lasse meine Gedanken treiben. Es ist so dunkel, dass man kein Gesicht erkennt. Überall Leute, die Kirche ist voll, viele haben sich auf dem Boden niedergelassen. Die Musik der Norweger hat etwas Meditatives, aber auch etwas unerhört Körperliches. Die ganze Kirche ist geflutet von Klang. Wunderschön ist dieses Erlebnis: Es ist Nacht, es ist dunkel und alle sind friedlich. Ja, dieses Festival hat etwas Friedenstiftendes. Die Stadt atmet Musik. In den Straßen, in den Gassen, in den kleinsten Geschäften und Kneipen sitzen, stehen die Leute dicht gedrängt, alle sind freundlich, alle genießen dieses einmalige Geschenk an die Bürger: Fünf Tage Livemusik bei freiem Eintritt, für alle Altersstufen, für (fast) jeden Geschmack, von vormittags bis spät in die Nacht, finanziert von der Stadt und den Geschäftsleuten im Zentrum.

Was für ein tolles Konzept! Warum schafft Hamburg so etwas nicht? Ach, müßig daran zu denken. Müßig, darüber zu diskutieren. Tina Heine hatte es in Hamburg ja schon probiert. Sie hat das Elbjazz-Festival in der Hansestadt aus der Taufe gehoben und wollte auch hier die ganze Stadt zum Klingen bringen. Doch bei den Pfeffersäcken muss vor allem die Kasse klingen, sonst klappt gar nichts. Und die Idee, den Bürgern was zu schenken, ist den Kulturverantwortlichen Hamburgs bislang nur einmal eingefallen – als das Jahrhundert-Prestigeobjekt Elbphilharmonie eingeweiht wurde. Aber wahrscheinlich auch nur, um nach Jahren der Medienschelte endlich mal gute Stimmung zu machen.

Egal, nun steht die Hamburg-Salzburg-Connection auch mit „Jazz & The City“. Tina Heine hat es geschafft, eine beachtliche Anzahl an hanseatischen Jazzfreunden in die Mozartstadt zu locken. Und so wird man auch in Zukunft zu „Jazz & The City“ durch die herbstliche Altstadt Salzburgs laufen, das dicke Programmheft unterm Arm und vertieft in den Stadtplan vor der Nase. Und wieder wird man zwischen Getreidegasse und Residenzplatz bekannte Gesichter treffen und begeistert Erlebnisse austauschen: „Da MUSST Du hin, die sind einfach großartig – und die spielen heute auch noch mal im…“. Und wieder wird man nach fünf Tagen feststellen, dass der im Vorwege mühsam zusammengestellte persönliche Time-Table für die Katz war.

Jazz &The City Salzburg

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ZEIT Reisen zu "Salzburger Festspiele"


Abbildungsnachweis:
Header: Blick auf Salzburg. Foto: Claus Friede
Galerie:
01. Andromeda Mega Express Orchestra. Foto: Christoph Söder
02. Aline Frazão. Foto: Fradique
03. Mokoomba. Foto: Eric van Niuewland
04. 47SOUL. Foto: Jad-Oakes
05. Airelle Besson. Foto: Sylvain Gripoix
06. A Novel of Anomaly
07. Shayna Steele. Foto: Shervin Lainez
08.
Rohey. Foto: Signe Fuglesteg-Luksengard
09. Shalosh Foto: Gilad Bar Shalev
10. Stian Weserhus und Nils Petter Molvae

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