Bildende Kunst

Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz, Ernst-Ludwig Kirchner, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Max Liebermann, Christian Schad, Egon Schiele – Namen, die sich wie das Who is Who der klassischen Moderne lesen.

Die Künstler gehören zu den prominentesten Vertreter der neuen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Insgesamt präsentiert die Schau 102 Kunstschaffende der Wiener und Berliner Avantgarde. Rund 200 Exponate - Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen - spannen einen Bogen von den Wiener und Berliner Secessionisten, über den Expressionismus bis zur Neuen Sachlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg sowie dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Dem wechselseitigen Austausch in der bildenden Kunst, den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Wiener und Berliner Kunstszene widmet sich die Ausstellung. Wien versus Berlin?


Nein, keineswegs. Ende des 19. Jahrhunderts herrscht Aufbruch-Stimmung in beiden Metropolen. Etwas Neues liegt in der Luft. Von Paris, dem Mekka der europäischen Avantgarde, breiten sich neue Kunstströmungen aus. Impressionismus und Expressionismus, Abstrakte Kunst und Neue Sachlichkeit erobern die Kunstwelt. Auf deutscher Seite entwickelt sich die Dada-Bewegung, in Wien der Kinetismus. Neue Motive thematisieren jetzt die Malerei: das Leben in der Großstadt, Markt- und Straßenszenen, Portraits und Akte sowie das Alltagsleben der einfachen Leute. Themen, die von deutschen und österreichischen Künstlern unterschiedlich interpretiert werden, sei es in der Motivik, der Bildsprache oder den Farbkompositionen.

 

 

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Im Gegensatz zu Wien, schon vor der Jahrhundertwende Kunst- und Kulturzentrum der Habsburger Monarchie, kämpft Berlin noch um seine Rolle als europäische Kulturhauptstadt. Zwei Metropolen, die von der Mentalität und dem Temperament völlig unterschiedlich sind. Nach dem Motto "Wien bleibt Wien" kultivieren Wiener Künstler die geschichtsträchtige Vergangenheit, huldigen der Beschaulichkeit und Lebensfreude, der Eleganz und Schönheit. Berlin dagegen steht für Kargheit und Disziplin. Hier ist die Kunst sachlicher, rauer, intensiver und dynamischer. "Berlin ist die jüngste europäische Großstadt, seine Entwicklung hat ein wahrhaft amerikanisches Tempo angenommen, und wozu sich andere Städte Jahrhunderte Zeit ließen, das haben wir in Jahrzehnten leisten müssen", resümiert 1909 Arthur Eloesser.

 


Kein Wunder, hat Deutschland nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 von Frankreich Kriegsreparationen von fünf Milliarden Franc in Gold erhalten. Dank dieser Reparationen kann sich das Reich innerhalb kürzester Zeit zur modernen Gesellschaft aufschwingen. Wirtschaft und Industrie, Forschung, Technik und Kultur boomen. Und die bildende Kunst? Trotz des von Kaiser Wilhelm II. und dem Staat diktierten Historismus gibt es in Berlin eine moderne, lebendige Kunstszene, die den Anschluss an die europäische Avantgarde sucht. Mit der Gründung von Künstlervereinigungen beginnt ein verstärkter Austausch zwischen Wien und Berlin. 1898 formiert sich die Berliner Secession, mit Max Liebermann als Präsident. Ein Jahr zuvor gründete bereits Gustav Klimt die Wiener Secession. Private Kontakte zwischen den Künstlern und wechselseitige Ausstellungen, wie die Wiener Kunst-Schau in der Berliner Secession von 1916, dokumentieren den Kulturtransfer zwischen Wien und Berlin und sorgen gegenseitig für Aufmerksamkeit.

 


Die Kunstzeitschriften "Die Aktion" von Franz Pfemfert, "Der Sturm", des Berliner Galeristen und Verlegers Herbert Walden publizieren Wiener Avantgardisten, darunter Oskar Kokoschka, Egon Schiele und Albert Paris Gütersloh. Die 1903 gegründeten Wiener Werkstätten, eine Produktionsgemeinschaft für Design, Schmuck und Möbel, eröffnen eine Dependance in der Leipziger Straße in Berlin. Der Wiener Stil findet in der Spree-Metropole allerdings wenig Anklang. Die Filiale schließt wegen Insolvenz.

 


Nicht zu unterschätzen sind die Kaffeehäuser als Ort der Kommunikation und Selbstdarstellung. Im Berliner Café des Westens, im Volksmund Café Größenwahn genannt, sitzen fast nur Wiener Avantgardisten, lästert Walden 1911 in der Zeitschrift "Der Sturm". Oskar Kokoschka, Emil Orlik, Max Oppenheimer, Lovis Corinth und der Wiener Karl Kraus, Herausgeber der satirischen Zeitschrift "Die Fackel" sind hier Stammgäste. Beliebter Treffpunkt ist auch das Café Bauer, schon Ende der 1870er-Jahre vom Wiener Cafétier Mathias Bauer eröffnet. Um 1910 hat die Hauptstadt an der Spree die alte Kaiserstadt Wien aus ihrer Rolle als führende Kunststadt verdrängt. Viele Künstler verlassen Wien. Oska Kokoschka geht nach Dresden, Emil Orlik und Herbert Ploberger ziehen nach Berlin.

 


Von Konkurrenz anscheinend keine Spur. Oder doch? Berta Zuckerkandl, Kritikerin und Förderin der Wiener Secession urteilt bereits 1898 "[...] trotz aller natürlichen Anlagen, trotzdem Fähigkeiten und Talent vorhanden sind, hat Wien sein Schönheitsgefühl verloren. Wer hätte es je für möglich gehalten, dass Berlin uns selbst in dieser Hinsicht überflügeln werde! Dort lebt ein Volk ohne künstlerische Instincte. [...] Aber diese Leute haben an sich gearbeitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen, um zu sehen und zu lernen. So hat Verstandesarbeit bessere Resultate ergeben als Talent."

 


In den Ausstellungsräumen sind Wiener und Berliner Exponate nach Themen gemischt, Künstlerpositionen vergleichend gegenüber gestellt, Highlights mit unbekannten Werken kombiniert. Der erste Raum widmet sich den Wiener und Berliner Secessionisten. Den Besucher empfängt ein Selbstbildnis von Max Liebermanns aus dem Jahr 1912. Ganz etabliert im schwarzen Anzug und Weste, mit Hemd und Krawatte hält der 65-Jährige Farbpalette und Pinsel. Daneben hängt ein Bild des Wiener Malers Emil Orlik. Das Portrait zeigt den Schriftsteller und Literaturkritiker Hermann Bahr. Wohlbeleibt in Anzug und Weste, Bart und Haarschopf wild gelockt, die Hand in der Hosentasche erweckt er den Eindruck eines gut situierten Bohemien.

 


Walter Leistikows Gemälde "Aus der Mark", eine märkische Kiefern- und Seenlandschaft um Berlin, korrespondiert mit "Birkenwäldchen im Abendlicht" von Carl Moll. Max Beckmann und Hans Balluscheck zeigen das Berliner Straßenleben und das Leben der kleinen Leute. Vergleichend dazu sind Wiener Marktszenen von Ferdinand Andri und Johann Nepomuk Geller, sowie Josef Engelharts "Eine Wiener Straßenfigur (Der Pülcher)" positioniert. Die Verelendung der Menschen präsentieren sozialkritische Grafiken von Käthe Kollwitz, die neben handkolorierten Glasdiapositiven des Wiener Hermann Drawe hängen.

 


Zu den Highlights gehört das dekorative Portrait "Johanna Staude (unvollendet)" von Gustav Klimt, das er kurz vor seinem Tod 1918 malte. In einer Vitrine vor dem Bild liegt die zum Gemälde passende Seidenbluse, die übrigens aus den Wiener Werkstätten stammt. Ergänzt wird Klimts Portrait durch weitere Beispiele der Wiener Portraitmalerei. "Elsa Galafrés" und "Gabrielle Gallia" von Otto Friedrich sowie "Die Tänzerin Baladine Klossowska (Merline)" von Eugen Spiro.

 


Als Reaktion auf Impressionismus und Naturalismus formiert sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Expressionismus. Die Schau präsentiert als deutsche Vertreter unter anderem Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Erich Heckel, Max Slevogt, Ludwig Meidner. Als Kontrapart die Wiener Raoul Hausmann, Helene Funke, Max Oppenheimer, Albert Paris Gütersloh, Oskar Kokoschka und Egon Schiele. Landschaften, Portraits und Straßenszenen vibrieren vor Farbigkeit, Sinnlichkeit und Dynamik: Ernst-Ludwig Kirchner "Frauen auf der Straße" und "Rückenakt mit Spiegel und Mann", Max Pechstein "Teichlandschaft (Krumme Lanke)", Oskar Kokoschka "Bildnis Nell Walden" oder Helene Funke "Träume". Egon Schiele fasziniert mit seinen erotischen Darstellungen junger Mädchen, die in teils bizarren Posen, mit gelängten und verdrehten Gliedern ihre Weiblichkeit zur Schau stellen.

 


Viele deutsche und österreichische Künstler nehmen - zunächst begeistert - am Ersten Weltkrieg teil. Ihre grauenvollen Kriegserlebnisse verarbeiten sie auf unterschiedliche Art und Weise. Otto Dix fertigt grafische Mappen von seinen Fronterlebnissen an, Ludwig Heinrich Jungnickel und Ludwig Meidner malen apokalyptische Szenarien.

 


Fast zeitgleich entwickeln sich Anfang der 20er-Jahre die Dada-Bewegung in Berlin und der Kinetismus in Wien. Zwei avantgardistische Strömungen von nur kurzer Lebensdauer. Die prominentesten Berliner Vertreter sind George Grosz, Raoul Hausmann und als einzige Frau Hannah Höch. In Wien ist es vor allen Dingen Erika Giovanna Klien mit ihren futuristischen Maschinenbildern, die für Aufmerksamkeit sorgt. Die Wiener konnten allerdings nichts mit Dada anfangen, bei den Berlinern stieß der Kinetismus auf Unverständnis.

 


Nach dem Ende der k. und k.-Monarchie und dem Deutschen Kaiserreich etabliert sich eine illusionslose, nüchterne und vor allen Dingen gegenständliche Malerei: die Neue Sachlichkeit. Schonungslos werden die Kriegsgewinnler, das Leben der High Society, Künstler, Prostituierte und Kriegsversehrte festgehalten, darunter Max Beckmann "Berliner Reise" oder Wilhelm Traeger "Wien 1932" sowie Gemälde von George Grosz. In "Der Dichter Iwar von Lücken" portraitiert Otto Dix den Dichter als dürre Klappergestalt in einem braunen, zerschlissenen Anzug, der um den ausgemergelten Körper schlottert. Das hohle Gesicht, der müde und traurige Blick suggerieren eine vom Leben gezeichnete Existenz. Christian Schad dagegen malt die Wiener Haute-Vo¬lée "Portrait des Schriftstellers Ludwig Bäumer" oder "Lola" und "Maika", selbstbewusste Damen mit modernen Bubikopf-Frisuren, die den Betrachter ruhig fixieren. Die glatte, fast metallisch wirkende Farboberfläche verstärkt die kühle, distanzierte Emotionslosigkeit. Im Kontrast dazu steht die Berliner Variante der modernen Frau: das Portrait "Margot" von Rudolf Schlichter. Vor einem Berliner Hinterhof posiert eine junge Frau mit Bubikopf, die Zigarette in der Hand, ihren rechten Arm auf die Hüfte gestützt. Aus halb geschlossenen Augen mustert sie provokant ihr Gegenüber.

 


Die Ausstellung schließt mit Gemälden jüdischer Künstler: Felix Nussbaum "Der tolle Platz" und "Leierkastenmann" sowie "Abend über Potsdam" und "Im Gasthaus" von Lotte Laserstein. Während Nussbaum im Vernichtungslager Auschwitz stirbt, gelingt Laserstein 1937 die Flucht vor den Nazis nach Schweden. Sie glaubte zeitlebens, dass "Im Gasthaus" bei einem Bombenangriff vernichtet wurde. Stattdessen beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Bild als entartete Kunst. Erst kürzlich bei einer Kunstauktion wiederentdeckt, wird es jetzt einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.
Zu guter Letzt: Kleinformatige Skulpturen von Ernst Barlach, Anton Hanak, Renée Sintenis, William Wauer, Rudolf Belling, Georg Ehrlich, Hermann Nonnenmacher ergänzen die Gemälde.

 


Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist eine Kooperation mit der Österreichischen Galerie Belvedere. Sie ist sehr informativ und sehr umfangreich. Der Besucher sollte viel Zeit für einen Rundgang mitbringen.



Wien Berlin - Kunst zweier Metropolen. Von Schiele bis Grosz

ist eine empfehlenswerte Ausstellung, die bis 27. Januar 2014 in der Berlinischen Galerie, Alte Jacobstraße 124-128, 10969 Berlin zu besichtigen ist. Die Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Montag von 10.00 - 18.00 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.

 

Weitere Informationen: www. berlinischegalerie.de

 

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