"Luft ist die Quelle allen Lebens, das Atmen, der Lebensatem der Erdatmosphäre. Deshalb trägt sie so viel Poesie in sich." Fujiko Nakaya
Im Jahr 1961 zeigte der französische Künstler Yves Klein in seiner Ausstellung „Monochrome und Feuer“ im Krefelder Haus Lange eine zwei Meter hoch in die Luft schießende Feuerfontäne. Sein Wunsch nach immateriellen Wirkungen der Kunst steht in enger Verbindung zu seiner Idee körperlicher Selbstdisziplin, Körperbeherrschung und Konzentration. Klein war über den Judosport eng mit der japanischen Grundauffassung von Geist- und Körperbeherrschung verbunden. Im Jahre 1952/53 reiste er nach Japan, um einen den höchsten Judo-Dan zu erreichen. Die Verbindung von Immaterialität und körperlicher Disziplin ist im Land der aufgehenden Sonne mit einer sehr langen Tradition verbunden.
Das zeigt sich nicht allein im Zusammenspiel von religiöser meditativer Konzentration und Kampfkunsttechniken, sondern insbesondere auch in der Kunst. Der Begriff der Meisterschaft hat in Japan nie allein einen handwerklichen Aspekt, sondern immer zugleich auch ein geistiges Gewicht. Das Resultat aus dieser Kombination brachte der Kunst und dem Handwerk eine unverwechselbare, punktgenaue, ästhetische Reduktion auf das Wesentliche, die im Westen erst im 20. Jahrhundert in vergleichbarer Gestalt Einzug halten konnte.
Permanente Veränderung ist in dieser „Kultur der Reduktion“ ebenso verankert wie die Kreisläufe vom Entstehen und Vergehen.
Diese japanische Grundhaltung ist für eine Künstlerin von Wichtigkeit, die in Europa leider viel zu selten eingeladen ist und zu geringe Aufmerksamkeit erhält: Fujiko Nakaya. Ihre Nebel- und Dampfskulpturen beziehen sich gleichermaßen auf asiatische Landschaftsmalerei, nordamerikanische Land-Art und Landschaftsarchitektur. Die 1933 in Sapporo geborene Künstlerin ließ, anlässlich der Weltausstellung 1970 in Japans zweitgrößter Stadt Osaka, ein Wasserdampfgerät entwickeln, das Nebel so stark produzierte, dass die örtliche Feuerwehr von einem Brand ausging.
Kunst und Technologie gehen ein bedeutungsvolles Beziehungsgeflecht ein. Die Technologie schafft überhaupt erst die Voraussetzung der künstlerischen Umsetzbarkeit.
Wasser wird mit hohem Druck versprüht. Durch spezielle Nebeldüsen des in der Schweiz entwickelten „TheFogSystem“ wird Wasser in kleinste Tröpfchen zerstäubt. Durch die Übersättigung der Luft mit Feuchtigkeit kondensiert das Wasser und wird als Nebel sichtbar. Windverhältnisse, Temperatur und die relative Luftfeuchtigkeit der Umgebung bestimmen die Intensität der Nebelbildung. Die feinen, mikroskopisch winzigen Wassertröpfchen ziehen je nach Witterungsbedingungen als Schwaden und Wolken von dannen und lösen sich schließlich auf. Die amorphen, zeitlich begrenzten „Skulpturen“ sorgen für stimmungsvolle Bilder, mittels der Simulation eines Naturphänomens.
Für Nakaya ist die Nebel- und Wolkenskulptur allerdings weit mehr als technische Raffinesse. Ihr kommt es auf die Inhalte, Bezüge und besonders auf interkulturelle Brücken an. Ihre poetischen Titel und Kommentare zu den Arbeiten beweisen eine Nähe zur Literatur. Werke wie „Earth Talk“ (1976), „Tales of Ugetsu“ (2008), „Cloud Forest“ (2010) und „Fog over Asuka breathes with ancient life“ (2011) zeugen davon.
Die Zusammenarbeit mit einem der „Dump Type“ -Gründer, Shiro Takatani, brachte sie in die künstlerische Auseinandersetzung mit Tanz, elektronischer Musik und experimentellem Theater.
2001 entstand die erste gemeinsame Arbeit „IRIS“ im spanischen Valencia. 2010 die letzte im südjapanischen Yamaguchi Center for Arts and Media, mit dem Titel „Cloud Forest“ – kreiert für Außen- und Innenräume.
„Die Natur hat mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten, der wahrnehmbaren Simultanität eines vollständigen und partiellen Chaos’ einzigartige Potentiale“, erklärt Takatani in einem Interview zur 1. Biennale von Valencia. Die gebogene Nebelwand von Fujiko Nakaya diente in Valencia gleichzeitig als Skulptur und Projektionsfläche von Bildern, die einen ganzen Tag in Zeit und Raum darstellen sollten. Die Besucher spürten alle Phänomene zeitgleich: Sonnenlicht, Wind, Kunstlicht, chaotische Strukturen der Nebelschwaden und sie hörten eine präzise Musikchoreographie. Materialität und Immaterialität verschmolzen zu einem großen poetischen Gesamtwerk.
Auch die Zusammenarbeit mit der amerikanische Tänzerin und Choreographin Trisha Brown zeugt von einem vergleichbaren künstlerischen Universum.
Mit der Medienkünstler- und Architektengruppe „doubleNegatives Architecture“ (dNA) ging sie 2008 ebenfalls eine sinnhafte Verbindung zur Yokohama Triennale ein: dNA beschäftigt sich mit Prozessen und Instrumenten zur Erfassung des Raumes als eigene Architektur. „Ihre Arbeiten beinhalten ein Spektrum von Installationen, Software und architektonischem Design“. Die Künstler von dNA programmierten für Nakayas Werk „Foggy Forest“ die Nebelmaschinen so, dass sich architektonische Gebilde auftürmten.
Bei all den technischen und der naturhaften Orientierung umfasst das Werk Nakayas zudem Nuancen eines größeren sozialen, psychologischen und informativen Systems.
- Die Nebelskulpturen sind soziale Orte des gemeinsamen Erlebens.
- Wasserdampf hat heilende Effekte und wirkt positiv auf Haut, Atmung und Seele. Das geht soweit, dass man in der Heilmedizin euphorische Zustände im Wasserdampf bei Patienten feststellen kann – das weiß die Künstlerin genau und bezieht sich auch in ihren Kommentaren darauf. Gepaart mit dem Ort des künstlerischen Geschehens findet die psychologische Relevanz ihren wörtlich verstandenen Niederschlag im Publikum.
- Als Tochter eines Physikers, Kristallologen und Meteorologen ist Nakaya nicht nur an den künstlerischen Thematisierungen von Wolken und Nebeln interessiert, sie verfügt auch über die entsprechenden Verbindungen zu den relevanten naturwissenschaftlichen Disziplinen. Das naturmimetische Verfahren beruht in ihrer Kunst auf Kybernetik, technischem Fortschritt und Simulationsvermögen.
Zusammengefasst kann es der Künstlerin, die in diesem Jahr ihren 80sten Geburtstag feiert, nicht um ein fertiges und vor allem abgeschlossenes Ergebnis gehen, sondern vielmehr um unterschiedlich wirkende Prozesse, die jeweils sich nicht gleichende Formen hervorbringen. Vollständig erfassen kann man das Kunstwerk als Individuum auch aus diesen Gründen nie, selbst aus der Distanz nicht.
Fujiko Nakaya
- Weitere Informationen (Homepage der Künstlerin – engl.)
- Weitere Informationen (Homepage Guggenheim Bilbao)
Fotonachweis:
Galerie:
01. und 02. E.A.T. – Experiments in Art and Technology, „Pepsi Pavilion for the Expo '70”, Osaka 1970. Foto: Fujiko Nakaya
03. Guggenheim Museum Bilbao, Spanien, mit Nebelinstallation von Fujiko Nakaya und Stück der La Salve-Brücke. Foto: Phillip Maiwald
04. und 05. "Nuages de Mer", Gare de Lille Europe, 2012.
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