Das Lübecker St. Annen-Museum präsentiert eine Neuerwerbung: ein mögliches Selbstporträt des zwar in Lübeck geborenen, aber hier fast unbekannten Gottfried Kniller. In England dagegen war derselbe Maler als Godfrey Kneller eine Größe.
Das Leben Knillers (1646-1723) setzt bis heute in Erstaunen: Eigentlich wollte er Militärwissenschaften studieren, als er seine Vaterstadt ein erstes Mal verließ, aber in Holland trat er lieber in die Werkstatt des Rembrandt-Schülers Ferdinand Bol ein und wurde ein Maler.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Italien kehrte er nach Lübeck zurück, wo er bereits einige Porträts anfertigte – steife und bloß repräsentative Bilder allerdings, die keinen Vergleich mit späteren Arbeiten aushalten. In dieser Zeit malte er aber auch den „alten Gelehrten“, vielleicht als Dank für die Unterstützung, die er während seiner Ausbildung erfahren hatte. Dieses Bild zeigt sehr schön, was er bereits konnte: nämlich allerhand. Seit langem zählt das stimmungsvolle Werk zu den Glanzlichtern des Museums, aber vielleicht wegen seiner Größe nimmt es bis heute noch nicht den ihm zustehenden Platz ein. Es hängt ein wenig abseits. Wer mag, kann in seiner nächtlichen Atmosphäre die Rembrandt-Schule erkennen, zu der Knillers Lehrer gehörte, und dazu kommen einige Attribute, die zu solchen Gemälden im Zeitalter des Barock unbedingt gehören: Zwei Vanitasmotive als Hinweise auf die Vergänglichkeit alles Irdischen (eine Sanduhr und ein Totenkopf). Die beiden mächtigen Globen (von 1624!) kennen Lübecker noch heute aus ihrer Stadtbibliothek.
Schon der Beginn seiner Karriere ließ also Erfreuliches erwarten. Aber dann… Kniller ging nach London, wo er als Godfrey Kneller sehr schnell Karriere machte. In England wurde er der Porträtist des Hochadels und später sogar Hofmaler, ein Malerstar mit großer Werkstatt, der nicht weniger als zehn regierende Monarchen malen sollte – darunter Ludwig XIV. und Peter I. von Russland – und uns noch dazu die Gesichter einiger Genies überlieferte, vor allem jenes von Isaac Newton. Oder das von Samuel Pepys, der posthum als Tagebuchautor berühmt werden sollte und bis in unseren späten Tage gelesen wird. Auffällig, dass er vor allem Männer porträtierte, weniger die Frauen. Eine Ausnahme bilden allerdings die „Hampton Court Beauties“. Für diese acht Porträts schöner junger Frauen wurde er von Mary II. von England beauftragt, und so malte er die „most glorious girls from the court of William III.“, wie wir in der englischen Wikipedia lesen können, in der alle acht Bildnisse gezeigt werden. Als wie bedeutend er galt und welches Ansehen er genoss, zeigt eine Gedenktafel in Westminster Abbey: Er ist der einzige Maler, dem jemals diese Ehre widerfuhr.
Godfrey Kneller (Gottfried Kniller): Isaac Newton, 1689. Institute for Mathematical Sciences, University of Cambridge und Samuel Pepys, 1689. Gemeinfrei
So erstaunlich die Karriere Knillers ist: Fast gleichzeitig gelang etwas Ähnliches einem Mecklenburger, Hans Caspar von Bothmer (1656-1732). Er wurde Minister in England – mit Dienstsitz in Downingstreet 10! – und verdiente so viel Geld, dass er zehn Güter in Mecklenburg erwerben und dazu das (meist fälschlich als Schloss bezeichnete) Herrenhaus Bothmer im Klützer Winkel errichten lassen konnte, also ganz in der Nähe Lübecks. Heute dient das Haus, dem es bis 1989 als Altersheim nicht besonders gut ging, als Museum – gelegentlich für Sonderausstellungen –, und im rechten Flügel ist ein Restaurant untergebracht.
Ob die beiden einander je begegneten? Wurde Bothmer von Kniller sogar gemalt? Ein Bildnis des Ministers aus der Hand des Meisters scheint leider nicht überliefert. Wir konzentrieren uns deshalb ganz auf das jetzt vorgestellte Bild, das die Stadt schon vor einiger Zeit in Zürich ersteigerte, aber bislang unter Verschluss hielt – auch deshalb, weil es zunächst restauriert werden musste. Jetzt endlich wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt.
Es ist unsigniert, aber sicherlich von Kniller; und es ist mehr als wahrscheinlich, dass es ihn selbst zeigt. Man sieht einen gelehrten jungen Mann an einem Schreibtisch, der selbstbewusst in Richtung des Betrachters schaut. Ein aufgeschlagenes Buch liegt vor ihm auf einem Gestell. Der junge Mann ist nicht allein jemand, der liest und schreibt, sondern zusätzlich auch ein Maler, denn auf dem Tischchen liegen einige Pinsel bereit. Ein pictor doctus, ein gelehrter Maler! Deshalb und wegen der unübersehbaren Ähnlichkeit mit dem Selbstporträt aus England dürfen wir annehmen, dass es sich bei dem Mann um den Künstler selbst handelt.
Gottfried Kniller: Junger Gelehrter mit Federbarett, Öl auf Leinwand, H. 97 cm; B. 82,5 cm. Foto: St. Annen-Museum, Fotoarchiv. Portrait von Lady Mary Berntinck, 1692. The Cassiobury Collection
Für ein überragendes Talent spricht zunächst die Feinheit der Malerei, und wie bei dem alten Gelehrten nehmen, die stimmungsvollen Farben den Betrachter gefangen. Kam es dem Maler vielleicht darauf an, mit der filigranen Darstellung der Haare, der Feder am Hut und der Kleidung seine handwerklichen Künste vorzuführen? Auffällig ist ja auch, dass er die so schwierig zu malenden Hände in den Mittelpunkt rückte, von denen die linke sich um das Handgelenk der rechten spannt. Bedeutet diese Geste etwas? Sehr gelungen ist schließlich der lockere weite Umhang. Hier zeigt ein junger Mann, was alles er bereits kann, und sein „junger Gelehrter“ passt hervorragend zu dem „alten Gelehrten“. Dessen Bildnis ist allerdings viel größer, und so wird es vielleicht nicht leicht sein, einen guten Ort für beide Bilder zu finden. Bei einer anderen Neuanschaffung der letzten Zeit, „Hieronymus im Gehäuse“, ist das hervorragend gelungen – sein Platz ist geradezu ideal –, aber dieses Bild ist auch wesentlich kleiner und ohne Gegenstück.
Gottfried Knillers Selbstporträt
Zu sehen im St. Annen-Museum, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck
Öffnungszeiten: 01.01-31.03.: 11-17 Uhr. 01.04.-31.12.: 10-17 Uhr
Weitere Informationen (St. Annen Museum)
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