Bildende Kunst

Wohl in jedem Museum finden sich in den Magazinen wahre Schätze, also Bilder oder andere Kunstwerke, die selten gezeigt werden, vielleicht sogar seit vielen Jahren nicht mehr.

 

Die Kunsthalle St. Annen, die gerade ein Interregnum durchlebt – die vorige Direktorin ist gegangen, auf die neue wartet man noch – nutzt freie Zeit, um auf das Magazin zurückzugreifen. Es war eine sehr gute Idee, für die Konzeption der Ausstellung auf eine eben frisch graduierte Volontärin zurückzugreifen, auf Emma-Louise Arcade, die als junge Außenstehende vielleicht einen anderen Blick auf die Arbeiten wirft.

 

Es sind vier Kapitel, in die Arcade ihre allererste Ausstellung aufgeteilt hat: „Mensch sein“, „Natur“, „moderne Welt“ und „Form, Farbe, Licht“. Es dürfte nicht leicht gewesen sein, die erstaunlich vielfältigen und unterschiedlichen Bilder, die sie im Magazin der Kunsthalle fand und die wohl gerade in ihrer Vielfalt oder sogar Gegensätzlichkeit die in Frage stehende Zeit ganz gut repräsentieren, zu ordnen und aufzuteilen.

 

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Der vielleicht größte Gegensatz besteht zwischen der realistischen Malerei eines Harald Duwe (1926-1984) und abstrakten Bildern, wie sie für diese Ausstellung von Johannes Jäger (*1930) oder Rupprecht Geiger (1908-2009) ausgewählt wurden. Aber auch zwischen den beiden letztgenannten liegen Welten. Denn Jäger malte ganz und gar spontan und lehnte es ab, seine Bilder vorab zu konzipieren, wogegen Geigers Bilder geradezu ausgerechnet wirken. Dazu finden sich bei Jäger keine geraden Linien, und seine von verschwimmenden Farben bestimmten Aquarelle sind eminent malerisch, wogegen Geigers Arbeiten streng geometrisch konzipiert wurden. Und die figurale Malerei? Bei Duwes großformatigen Bildern steht man vor altmeisterlichen Arbeiten, die sich einerseits auf einem maltechnisch sehr hohen Niveau bewegen, andererseits mit der individuellen Charakterisierung der Figuren überzeugen. Diese Bilder lassen sich schon der gezeigten Gegenstände wegen leicht der in Frage stehenden Zeit zuordnen.

 

Ebenfalls abstrakt wie Jägers oder Geigers Bilder und doch wieder ganz und gar anders ist „Sommer(lich)“ von Ernst Wilhelm Nay (1902-1968), einem der unzweifelhaft bedeutenderen Künstler der frühen Bundesrepublik. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre entwickelte er sein Konzept der „Scheibenbilder“. Diese Scheiben ließ er aus Punkten herauswachsen und musste so, weil ja etwas wie Form nicht geben konnte, das ganze Schwergewicht auf die Farbe legen. Das Ergebnis erinnert in seiner glühenden Farbenpracht an die Blumenaquarelle Noldes. Einen Gegensatz zu seinem Konzept findet man in Peter Klasens (*1930) Bild „Wagon Detail V“, das wie andere Bilder desselben Künstlers von kühlen Farben und strengen Linien bestimmt wird und seinen Ausgang von einer Konstruktionszeichnung genommen haben könnte.

 

Es gibt Arbeiten einer Reihe bedeutender Künstler in dieser Ausstellung – außer den Genannten lassen sich noch Arnulf Rainer, HA Schult oder Günther Uecker aufzählen. Auffallend ist das Übergewicht der männlichen Künstler – wohl eher auf die Ankäufe in der fraglichen Zeit zurückzuführen als auf die Auswahl durch die Kuratorin. Eine Ausnahme bildet Heide Rose-Segebrechts (1943-2008) „Schneeregen“, das mit seiner Collagetechnik und dem Spiel mit den Buchstaben deutlich in unsere Zeit hineinreicht.

 

Das Ausstellungsplakat – in gewisser Weise das wichtigste Bild der Ausstellung – stammt von Lambert Maria Wintersberger (1941-2013), einem Künstler der Pop Art. Es zeigt eine Frau in einer an Marylin Monroe erinnernden verführerischen Pose. Aber wem gehört die Hand? Und wie viele Finger gehören zu ihr? Gehört diese Hand zu einem Schattenspiel? Ein Bild, das zu Spekulationen einlädt, wenn man sich auf seine verwirrende Darstellung erst einmal einlässt.


60er und 70er: Die Zukunft ist nah! Sammlungspräsentation der Kunsthalle St. Annen

zu sehen bis 3. Oktober 2022 in der Kunsthalle St. Annen, St.-Annen-Straße, 23552 Lübeck

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr

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