Gemälde von Lyonel Feininger erkennt man auf den ersten Blick. Ihre kristallinen Formen sind unverwechselbar.
Er selbst bezeichnete seine Kunst einmal als „visionären Prisma-ismus“, um sich vom Kubismus abzugrenzen, dem er häufig zugerechnet wurde. Zum 150. Geburtsjahr des Bauhaus-Meisters und Pioniers der klassischen Moderne hat Andreas Platthaus bei Rowohlt eine facettenreiche Biografie veröffentlicht: „Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens“. Darin kommt er dem introvertierten Künstler erstaunlich nahe, differenziert und mit Respekt, ohne die Schattenseiten auszulassen, und beschreibt anschaulich das Milieu, in dem er sich bewegte.
Das Selbstporträt auf dem Buchcover hat Lyonel Feininger 1910 gemalt, in dem Jahr, als er sich endgültig für eine freie Künstler-Existenz entschied. Es zeigt eine Haltung, die ihn treffend charakterisiert. Man sieht ihn von vorn nur als Büste vor einem hellen, flächigen Hintergrund. Auf dem schmalen, langgestreckten Kopf ein Hut, ein Stetson, dazu eine Tonpfeife im Mundwinkel, hält er den angestrengten Blick konzentriert gesenkt auf ein imaginäres Blatt außerhalb des Bildes. Feiningers Fixierung auf die Kunst und sein inneres Ringen um Form und Farbe kommen hier gelungen zum Ausdruck. In dieser Haltung durchlebte er die Systemwechsel und Erschütterungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik und den Beginn des Nationalsozialismus, der in den Zweiten Weltkrieg mündete. Dabei fühlte sich der gebürtige New Yorker hin- und hergerissen zwischen Europa und Amerika, doch blieb da, wo es ihm möglich schien, für und durch seine Kunst zu leben. Und das war 50 Jahre lang Deutschland.
Mit 16 Jahren verließ Lyonel Feininger im Oktober 1887 New York, um in Leipzig Geige zu studieren. Im Juni 1937 kehrte er mit seiner Frau Julia in die USA zurück, nachdem er in Deutschland keine Chance mehr sah, seine überaus erfolgreiche Karriere als Maler fortzusetzen. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft galt seine Kunst seit 1933 als „entartet“. In den USA schaffte er erst bei Kriegsende mit einer Einzelausstellung im Museum of Modern Art – 1944/45 einen neuen Durchbruch. Er starb 1956 im Alter von 84 Jahre in Manhattan.
Lyonel Feininger stammte aus einer Musikerfamilie, die Mutter war Sängerin und Pianistin, der Vater Geiger. Die Eltern waren gerade in Europa auf Konzerttournee, als ihr Sohn Richtung Leipzig reiste. Doch da sich sein Geigenstudium dort verzögerte, fuhr er zunächst nach Hamburg zu einer Verwandten. Warum er dort an der Kunstgewerbeschule ein Zeichenstudium begann, was er in Berlin fortsetzte, und beim Zeichnen blieb, ist letztlich ungeklärt, auch wenn seine Doppelbegabung immer bekannt und offensichtlich war. Ausführlich beschreibt Platthaus die Familienkonflikte der Feiningers und Lyonels erste Karriere als erfolgreicher Karikaturist diverser Tageszeitungen und Satiremagazine. Um die Jahrhundertwende war er zum Star unter den Berliner Illustratoren avanciert, der sogar aus den USA Aufträge erhielt. Doch er blieb in Berlin, verliebte sich in die Pianistin Clara Fürst und gründete eine Familie, aus der zwei Töchter hervorgingen: Lore und Marianne.
Die entscheidende Wende im Leben Feiningers war 1905 die Begegnung mit Julia Berg, die wie seine erste Frau Clara aus einem jüdischen Elternhaus kam. Auch Julia Berg war bereits verheiratet und begann gerade in Weimar an der Großherzoglichen Gewerbeschule ein Kunststudium, was damals insbesondere für eine verheiratete Frau ungewöhnlich war. Hier und rund um Weimar fand Lyonel auf seinen zahlreichen Besuchen bei seiner Geliebten dann die Motive, die er zeitlebens mit Vorliebe bearbeitet hat: thüringische Landschaften und Dorfszenen wie z.B. Gelmeroda, eine kleine Dorfkirche, die Feininger mit seinen Zeichnungen, Holzdrucken und Gemälden berühmt gemacht hat. Das Paar heiratete schließlich im Herbst 1908. Da war der erste Sohn Andreas bereits zwei Jahre alt, der zweite Sohn Laurance unterwegs, als dritter folgte 1910 Sebastian Lux.
Feiningers Hinwendung zur Malerei verdankte er seiner Frau Julia, die ihn dazu ermunterte und darin zeitlebens unterstützte. Dabei gab sie ihre eigenen Ambitionen als Malerin sukzessive auf und managte stattdessen seinen künstlerischen Erfolg. Da sie aus einer reichen Kaufmannsfamilie stammte, garantierten ihre Eltern die soziale Sicherheit der Familie, ein Arrangement, das Lyonels traditionellem Rollenverständnis eigentlich widersprach. Das Bild, das Platthaus von der Beziehung der beiden entwickelt, speist sich aus ihrer umfangreichen Korrespondenz. Sobald sie nur für einen Tag getrennt waren, schrieben sie sich Briefe, über 2400 lagern in den Archiven. Aus ihnen spricht Lyonels große Anhänglichkeit und zärtliche Zuneigung, gleichzeitig aber auch eine zuweilen erstaunlich rücksichtslose Egozentrik. Noch 1935, kurz vor ihrer Ausreise in die USA, versuchte Lyonel seine jüdische Frau dazu zu überreden, ihn in sein geliebtes Ostseebad Deep (Pommern, heute: Polen) zu begleiten, wo er jeden Sommer arbeitete, obwohl dort ein großes Banner „Juden unerwünscht“ prangte.
Es ist spannend zu lesen, wie Platthaus Feiningers Versuche nachzeichnet, zu den politischen Ereignissen um ihn herum eine Position zu finden. Während des Ersten Weltkriegs ließ sich der Künstler einen Kaiser-Wilhelm-Bart wachsen, um in der Öffentlichkeit die scheelen Blicke zu vermeiden, die ihn als glattrasierten Amerikaner und Ausländer erkannten. Grundsätzlich identifizierte er sich mit Deutschland und dessen Interessen, wobei sein Nationalismus offensichtlich in erster Linie auf Kunst und Kultur zielte, eben das „Geistige“. Amerika repräsentierte für ihn dagegen Oberflächlichkeit und Mechanisierung des Lebens.
Das Ende des Ersten Weltkriegs erlebte Feininger als Befreiung, die ihn nicht nur von seinem Bart erlöste, sondern mit der neuen Republik ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten bot. Walter Gropius engagierte ihn 1919 als Form-Meister für die Druckwerkstatt des Bauhauses in Weimar. Für das pathetische Gründungsmanifest, das die Einheit von Kunst und Handwerk propagierte, lieferte Feininger den Holzschnitt einer Kathedrale. Im Bauhaus fand er die passende, anregende Atmosphäre für seine künstlerische Arbeit. Er freundete sich mit Paul Klee und Wassily Kandinsky an. Bei den Studenten und besonders den Studentinnen wurde Feiningers zurückhaltendes und integres Auftreten sehr geschätzt. Er förderte die Eigenheit der Einzelnen, zwang niemandem etwas auf. Stattdessen zeigte er künstlerische Möglichkeiten, indem er seine eigenen Arbeiten erklärte und diskutierte, was wiederum auch ihn selbst weiterbrachte.
Als das Bauhaus 1925 nach Dessau umzog, folgte Feininger ein Jahr später. Gropius stellte ihm ein Meisterhaus mietfrei zur Verfügung, wo Feininger ungestört im Atelier arbeiten konnte. Lehrverpflichtungen hatte er keine mehr, dafür bezog er auch kein Gehalt. 1931, mit 60 Jahren, erreichte er den Höhepunkt seiner Karriere. Die Berliner Nationalgalerie präsentierte eine große Werkschau Feiningers, auf der erstmalig sein Halle-Zyklus von 1929/30 zu sehen war, elf Ansichten der sächsischen Stadt, damals der größte öffentliche Kunst-Auftrag der Republik. Die Ausstellung fand bei Presse und Publikum positive Resonanz und tourte durch alle wichtigen deutschen Städte. Allein in Berlin kamen über 60.000 Besucher.
Doch die Weltwirtschaftskrise betraf auch Feininger, denn trotz seines großen Erfolges verkaufte er weniger Bilder. Was dann 1933 politisch in Deutschland geschah, hat er offensichtlich nicht begriffen. Wie lange er zögerte, bis er das Land schließlich 1937 endgültig verließ, ist im Rückblick jedenfalls unverständlich. Dass er seine erste Frau Clara und die gemeinsamen Töchter dabei anscheinend vergaß, ebenso. Clara wurde in Auschwitz ermordet, die beiden Töchter blieben halbwegs unbehelligt. Er unterstützte sie in der Nachkriegszeit.
Drei Mal unterbricht Platthaus den überwiegend chronologischen Erzählstrang und schildert in drei Kurzporträt Menschen, die für Feininger persönlich sowie für den deutsch-amerikanischen Kulturtransfer relevant sind: Galka Scheyer, Alois Schadt und Marguerite Friedländer.
Galka Scheyer ging 1922 in die USA, um dort als Kunsthändlerin und -vermittlerin die Avantgarde in den USA zu etablieren. Sie vertrat Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Alexej Jawlensky, „The Blue 4“. Der Kunsthistoriker Alois Schadt, ein Bewunderer Feiningers und eifriger Verfechter der Moderne, versuchte 1933 so trickreich wie vergeblich, den Nazis die moderne Kunst als genuin deutsch nahe zu bringen und seine Stelle als neuer Direktor der Berliner Nationalgalerie zu retten. Er emigrierte bei Kriegsbeginn in die USA. Die Bauhaus-Pionierin Marguerite Friedländer emigrierte 1933 erst in die Niederlande, dann 1940 in die USA, wo sie später als beste und berühmteste Keramikerin der USA galt. In ihrer Werkstatt auf der Pond Farm nördlich von San Francisco, Kalifornien, prägte sie Generationen amerikanischer und internationaler Keramiker.
Die Kurzporträts sind übrigens ein großer Gewinn. Denn sie vertiefen das Panorama der Lyonel-Feininger-Biographie, weiten den Blick über den Horizont des introvertierten Künstlers hinaus auf das Milieu, das ihn umgab. Damit ist Andreas Platthaus ein spannender, materialreicher Einblick in die Lebenswelt der künstlerischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts gelungen.
Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens
Rowohlt Berlin 2021
448 Seiten, mit Abb.
Als Buch und E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-7371-0116-5
Weitere Informationen (Verlagsseite)
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