Drei Superstars der zeitgenössischen Kunst in Stade an der Elbe.
Muss Kunst immer bierernst sein? Bis 23. September 2018 beweisen drei Herren im fortgeschrittenen Alter der staunenden Kunstwelt das Gegenteil: Jonathan Meese, Daniel Richter und Tal R, der in Israel geborene dänische Künstler Tal Rosenzweig. Mal humorvoll, mal flapsig und tiefgründig, veräppeln die drei der wichtigsten und teuersten Superstars der Gegenwartkunst das geheiligte Metier der Malerei. Selbst der Ausstellungstitel ist nicht allzu ernst gemeint. "Diese Ausstellung hat nichts mit David Bowie zu tun", so die Protagonisten Meese, Richter und Tal R unisono. Nur die Anfangsbuchstaben sind vertauscht: „Bavid Dowie“.
Gleichwohl, versucht man sich dem Chamäleon der Pop-Musik bildkünstlerisch zu nähern und plant eine derzeitige Welttournee durch das Baltikum: Nicht nach London, New York und Tokyo geht die Reise, sondern nach Holstebro in Dänemark, jetzt Stade an der Unterelbe und Espoo in Finnland. Die große Kunst hautnah erleben. Ist das ernst gemeint? Oder nicht? Oder ist das nur Schmiererei?
Immerhin hat Sebastian Möller, Direktor des Kunsthauses Stade, die drei Künstler eingeladen, sich der ihnen seelenverwandten Pop-Ikone David Bowie mit einer eigens kuratierten Schau zu nähern, dem „androgynen Marsmensch des Rock“ (Tobias Rüther), der Grenzverschiebungen liebte und sich inszenierte und aus diesem Grund das deutsch/dänische Künstlertrio faszinierte. Die Ausstellung ist eine seltene Kooperation, die von künstlerischer Kollegialität und Freundschaft lebt. Nur drei Tage hatte das Trio Zeit, sich kreativ vorzubereiten. Dann war es soweit.
Auf drei Etagen präsentiert das Kunsthaus Stade nun das Ergebnis: farbenfrohe Bilder und Skulpturen dieser drei Künstler. Heraus gekommen sind gemeinschaftliche Werke und Einzelwerke wie Gemälde, Collagen und Installationen oder comicartige Bilder. Knallig bunt, farbintensiv, wild, unbekümmert und scheinbar aus dem Bauch heraus inszeniert. Ganz nach dem Motto „Das kann ja jeder“. Kann das wirklich Otto Normalverbraucher? Ohne künstlerische Begabung und Intuition? Vielleicht. Wären da nicht die vieldeutigen Slogans, welche manches Bild verzieren. Sie verwirren den Betrachter und signalisieren die ernsten und unbewussten Seiten des Lebens: „Pizza Dokumenta“, „Let us go to Documenta“, „Who is the shark oft the artschool“, „Mann der Ehre: Ich will so werden wie ich bin!“, „Jeti Meese“. Was hat das mit David Bowie zu tun? Ergänzt werden die Objekte mit skurrilen Schaufensterfiguren, mit riesigen, sich selbst mit Ketchup oder Senf bekleckernden Plastik-Hotdogs, Plastikbratwürstchen in rosa Tatü, Haifischköpfe und witzigen Hummerfiguren. Jonathan Meese, der „Märchenprinz“ in den schwarzen Adidas-Klamotten frönt seinen Lieblingsthemen wie der aktuellen Politik und den Helden oder Antihelden der Mythologie und Weltgeschichte.
Meese, ein großer Fan von Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust, malt sich als Jeti-Meese, einer behaarten, mythologischen Figur aus dem schneebedeckten Himalaya, die den Menschen die Kunst offenbaren soll. „Wir sind alle Yetis!“, meint Meese. „Wir sind ja alle irgendwelche fast ausgestorbenen Tiere! Künstler sind etwas ganz Seltsames, obwohl wir eigentlich so normal sind.“ „Und man will sich selbst auch gar nicht unbedingt begegnen, weil man dann wahrscheinlich den Yeti in sich entdeckt“, meint er. Daneben propagiert er eine „Diktatur der Kunst“, wobei er die Kunst als befreienden Gegenpol zur aktuellen Politik versteht.
Daniel Richter, zeichnet sich aus durch eine stilistische Vielschichtigkeit und Wandelungsfähigkeit, die von der abstrakten zur gegenständlichen Malerei geht, sowie sein dänischer Kollege Tal R, welcher aus Grundformen und Gegenständlichem leuchtende Farbteppiche aufbaut, sind ein eingespieltes Team. Sie sind seit Jahrzehnten kollegial befreundet, begeisterte Bowie-Fans, phantasievoll und experimentierfreudig.
„Das ist eine Ausstellung, aus der die Menschen gehen können mit dem Gedanken: das kann ich auch. Angstfreie Zone Kunst. Nieder mit den Autoritäten. Nimm den Pinsel in die Hand. Just do it“, sagt Daniel Richter. Sein Freund Jonathan Meese verweist auf die unkomplizierte Betrachtungsweise von Kindern: „Kinder lieben diese Ausstellung, jetzt schon. Die haben sie auch in Holstebro in Dänemark geliebt. Weil man einfach etwas sieht, was jeder kann. Und man muss es ja nur machen.“
Ob die Zusammenstellung der gemeinsamen Werke tatsächlich funktioniert, darüber haben die Besucher der Ausstellung in Stade zu entscheiden. Langweilig wird es nicht. Die Besucher können sich nicht nur an den Gemeinschaftsproduktionen erfreuen, sondern auch die verschiedenen Begabungen der einzelnen Künstler erleben, von denen auch Einzelwerke zu betrachten sind. Manche Bilder zeigen Figuren und Gegenstände, andere Strichmännchen. Muss man da noch etwas enträtseln oder deuten? Jonathan Meese findet, dass man einfach etwas sieht, was jeder kann. Und man muss es ja nur machen. Und das Schlimmste sei immer, wenn begierige Nachwuchskünstler sich von uns Inspiration erhoffen, sagt Jonathan Meese. Als wären wir Gurus in unseren angeblichen Ateliers! Geht doch lieber nach Hause und macht selbst was!
Für Meese ist vor allem wichtig, dass man sich nicht nur selbst zensiert, gleichzeitig solle man sich selbst auch mal durch den Kakao ziehen und auch Unsinn reden: "Das ist erlaubt", sagt er. Spielen, träumen und Visionen erschaffen, sei sehr wichtig in der Kunst. "Leute, die keine Visionen schaffen, sind reif für die Psychiatrie oder ein Sanatorium", meint er.
Ebenso wie David Bowie, der sich selbst meisterhaft inszenieren konnte, präsentieren sich Jonathan Meese, Daniel Richter und Tal R als Gesamtkunstwerk, mitsamt ihrer künstlerischen Kooperation und ihrem verrücktem Wortgeplänkel. Eigentlich schade, dass nach der Eröffnung nur noch die Ausstellung zu erleben ist und nicht die humorvollen Statements der Künstler persönlich. Wie sagte doch Daniel Richter über Stade: "Stade ist ein angenehm niedlicher Ort, in dem die Leute so vor sich hin dösen." Was mit der aktuellen Ausstellung vorbei sein dürfte.
Jonathan Meese, Daniel Richter, Tal R: „Bavid Dowie“
Kunsthaus Stade, Wasser West 7, 21682 Stade
Ausstellungsdauer: 19. Mai 2018 bis 23. September 2018
Öffnungszeiten: Di, Do, und Fr 10–17 Uhr, Mi 10–19 Uhr, Sa und So 10–18 Uhr
Ein Katalog ist erschienen.
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