Die Poesie der venezianischen Malerei
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Tizian, Raffael, Michelangelo, Leonardo da Vinci – wer nach den Meistern der italienischen Hochrenaissance fragt, bekommt zuerst diese Namen genannt.
Paris Bordone hingegen gehörte bislang zur Kategorie „Ferner liefen…“ Die Hamburger Kunsthalle ist angetreten das zu ändern. In einer opulenten Schau führt sie erstmals Bordones Hauptwerke zusammen und macht im Kontext seiner Zeitgenossen deutlich, dass dieser Künstler „Die Poesie der venezianischen Malerei“ entscheidend mitgestaltet hat.
Schon wieder Venedig? Hatten wir das nicht gerade im Bucerius Kunst Forum? Keine Sorge: „Die Poesie der venezianischen Malerei“ ist kein Remake vom Rathausmarkt. Während dort die kulissenhafte Prachtarchitektur der Lagunenstadt gefeiert wurde, geht es nun vor allem um einen Maler, der mit acht Jahren nach Venedig kam, erst eine Ausbildung als Musiker absolvierte, dann zu Tizian kam - und bis heute im Schatten dieses Meisters steht. Zu Unrecht? Nun, Paris Bordone (1500-1570) war zweifellos ein Ausnahmetalent. Einer der Maler um Tizian, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts neue Stile und Techniken entwickelte; neue, von zeitgenössischer und antiker Dichtkunst inspirierte Sujets in bislang unbekannter Farbenpracht auf die Leinwand bannte: Mythologische und allegorische Szenen, meist erotisch aufgeladen und gern auch in paradiesische Landschaften eingebettet. Mars und Venus, Jupiter und Io, Daphnis und Chloe – die antike Götterwelt wimmelt nur so vor Liebenden und die Künstler der Renaissance wussten sie mit sinnlicher Lust und unglaublicher malerischer Raffinesse in Szene zu setzen.
Im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart, dort, wo seit der Wiedereröffnung der Kunsthalle die Sonderausstellungen stattfinden, begegnet man gleich im ersten Raum den farbenprächtigen, starken Frauen des Paris Bordone. „Venus, Flora, Mars und Cupido“ (1550), eine Leihgabe aus St. Petersburg, zeigt zwei wunderschöne Göttinnen vom Format nordischer Walküren, deren enthüllte Brüste und zarte gegenseitige Finger-Berührungen schon sehr erotisch sind. Diesem Frauentypus werden wir immer wieder in Bordones Bildern begegnen: Blond, drall mit großen Augen, kleinem Kirschmund und geflochtenem, raffiniert drapiertem Haar entspricht er zweifellos einem idealisierten Frauenbild. Allerdings könnte es auch ein Lieblingsmodell des Künstlers gewesen sein, in einigen Bildern gewinnen die Gesichtszüge über das Idealtypische hinaus an Kontur und sind auf dem Rundgang immer wiederzuerkennen.
In acht Kapiteln führt die Ausstellung Bordones Virtuosität vor Augen, zeigt ihn als großartigen Figurenmaler, als phantastischen Architektur-Darsteller und vergleicht schließlich auch mit nordalpinen Renaissance-Granden, unter ihnen Albrecht Dürer, Lucas Cranach der Ältere und Jan van Scorel.
„Das schönste und bemerkenswerteste … von allen Werken, das Paris geschaffen hat… ein wunderschönes Gebäude in Perspektive“, urteilte Giorgio Vasari (1511-1574) in seinen „Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ über den Kollegen, der „Tizian mehr als jeder andere nachgeahmt“ hätte.
In der Hamburger Kunsthalle lassen sich beide Aussagen unmittelbar nachprüfen: Ein Raum ist Bordones prächtigen Architekturprospekten gewidmet, phantastisch gemalten „Bühnenbilder“, in denen die Titel-Figuren, wie zum Beispiel „Die tiburtinische Sibylle erscheint Kaiser Augustus“ zur bloßen Staffage schrumpfen. Und im Raum der Männerporträts zeigt sich im unmittelbaren Vergleich mit Tizian, dass ihm der Meister in Punkto Plastizität und Materialität doch überlegen ist: Tizians „Porträt eines Mannes in Rüstung“ (um 1530) ist einfach atemberaubend! Weniger der Kopf des jungen Ritters als sein Harnisch, dessen metallischer Glanz phantastisch realistisch wirkt. Bei den „belle donne“, den schönen Frauen, dem auch ein eigener Raum gewidmet ist, kann Bordone seinem Lehrer und größten Rivalen durchaus das Wasser reichen. Die schönste unter den Schönen ist wohl die alabasterblasse „junge Frau“ (um 1545) aus der National Gallery, London, deren leuchtend rubinrotes Kleid eine ebenso ausdrucksstarke Stofflichkeit besitzt wie Tizians Rüstung. Verführerische Frauenporträts wurden im Venedig des 16. Jahrhunderts ausgesprochen Mode. Als ein Typus erotischer Malerei, wie auch der liegende weibliche Akt. Wer Giorgiones „Schlummernde Venus“ und Tizians „Venus von Urbino“ vor Augen hat, vielleicht noch Manets „Olympia“, wird erstaunt sein, wie viele Maler sich an der Venus abgearbeitet haben – liegend, ruhend, schlafend – Hauptsache unverhüllt. Auch Paris Bordone hat eine „Schlafende Venus mit Cupido“ (1560-1565) gemalt, um einiges manierierter als sein Vorbild Giorgione aber mit starkem Farbkontrast zwischen weißem Fleisch, purpurrotem Tuch und dunklem Hintergrund. Wie schrieb doch der italienische Dichter und Kunsttheoretiker Lodovico Dolce (1508-1568) gleich: „Und ganz gewiss ist das Kolorit von solch einer Bedeutung und Kraft, dass der Maler, wenn er die Farbtöne und die Weichheit des Fleisches und die Eigenheiten jeglicher Dinge gut nachahmt, es erreicht, dass seine Figuren lebendig aussehen – so, als fehle ihnen nur noch der Atem“.
Die Poesie der venezianischen Malerei
Paris Bordone, Palma il Vecchio, Lorenzo Lotto, Tizian
Zu sehen in der Hamburger Kunsthalle, bis 21. Mai 2017.
Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Alle Infos unter www.hamburger-kunsthalle.de
Abbildungsnachweis:
Header: Paris Bordone (1500-1571); Allegorie (Mars, Venus, Victoria und Cupido), um 1560, Öl auf Leinwand, 109x176cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie. © KHM-Museumsverband
Galerie:
01. Paris Bordone; Junge Dame mit Spiegel und Magd, um 1535-1540, Öl auf Leinwand, 87x72cm. Hamburger Kunsthalle. © bpk / Hamburger Kunsthalle. Foto: Elke Walford
02. Paris Bordone; Porträt einer jungen Frau, um 1545, Öl auf Leinwand, 100,9x82,5cm. The National Gallery, London. © The National Gallery, London
03. Paris Bordone; Bathseba am Brunnen, 1552, Öl auf Leinwand, 54x66cm. Hamburger Kunsthalle. © bpk / Hamburger Kunsthalle. Foto: Elke Walford
04. Paris Bordone; Die Tiburtinische Sibylle erscheint Kaiser Augustus, um 1550, Öl auf Leinwand, 165x230cm. The State Pushkin Museum of Fine Arts, Moskau. © The State Pushkin Museum of Fine Arts, Moskau
05. Jacopo Palma il Vecchio (1479/ 1480-1528); Ruhende Venus, um 1518-1520, Öl auf Leinwand, 112x186cm. Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. © bpk / Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Elke Estel / Hans-Peter Klut
06. Lorenzo Lotto (um 1480-um 1556); Bildnis eines bärtigen Mannes mit Barett, Zeichnung, Kreide, 40,4x30,6 cm. Albertina, Wien. © Albertina, Wien
07. Tizian (1488/90-1576); Bildnis eines jungen Mannes, um 1510, Mischtechnik auf Pappelholz, 20x17cm. Städel Museum, Frankfurt am Main. © Städel Museum - ARTOTHEK
08. Tizian; Porträt einer Dame, um 1555, Öl auf Leinwand, 97,8x74cm. National Gallery of Art, Washington, Samuel L. Kress Collection. © Courtesy National Gallery of Art, Washington
09. Barthel Beham (1502-1540); Vanitas, 1540, Öl auf Holz, 58,5x42cm. Hamburger Kunsthalle. © bpk / Hamburger Kunsthalle. Foto: Elke Walford
10. Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553); Quellnymphe, um 1540, Öl auf Holz, 48,5x74,2cm. Besançon, Musée des Beaux-Arts. © Besançon, Musée des Beaux-Arts. Foto: Charles Choffet.
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