Bildende Kunst
Reiner Seliger  beyond Ausstellung

Die Galerie Borchardt in Hamburg zeigt bis zum 10. September 2016 Skulpturen, Tafelbilder und Installationen von Reiner Seliger.
Als bildkünstlerisches Material verwendet Seliger weiße oder farbige Kreide, Bruchstücke von Plexiglas und Glas, roten Backstein- und Terrakotta-Ziegel, Aluminium, Betonsteine. Aus diesen zerbrochenen Abfallprodukten formt der Künstler architektonisch anmutende Raumkörper und reliefartige Wandobjekte: Objekte von ungewöhnlicher Ästhetik und farbintensiver Präsenz.

Aus dem Hafenrand kommend zog im Jahr 2009 die Galerie Borchardt für zeitgenössische Kunst in die Hopfenburg, einem historischen Kontor-Haus unweit des Chile-Hauses um. Galerist Peter Borchardt präsentiert mit Reiner Seliger einen Künstler, der an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland und dem europäischen Ausland teilgenommen hat, mit Kunstpreisen ausgezeichnet wurde und dessen monumentale Ziegel-Skulpturen im öffentlichen Raum vielerorts präsent sind. Seliger, 1943 in Löwenberg, dem heutigen polnischen Lwówek Slaski, geboren, ist in der Hamburger Galerie-Ausstellung mit über vierzig Arbeiten vertreten. Die Ausstellung dominieren ohne Zweifel die Raumobjekte aus rot gebranntem Ziegelbruch, die beim Betrachter Assoziationen an die vielfältigen Termitenbauten in Afrika und Australien erwecken. Im Gegensatz zu den Backsteinskulpturen des dänischen Künstlers Per Kirkeby, zeigen Seligers kokonartige Objekte aber keine rechten Winkel und Kanten. Ohne Sockel, tür- und fensterlos wachsen sie wie biomorphe Gebilde aus dem Boden empor und bilden - abhängig vom Licht und dem Blickwinkel des Betrachters - changierende Lichteffekte auf der rauen und kantigen Oberflächenstruktur. Fast 270 Zentimeter hoch ist der kegelförmige Turm aus geschichteten Ziegelresten, der extra für die Ausstellung vor Ort errichtet wurde.

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In Kontrast zu der warmen, erdfarbenen Materialität der gebrannten Ziegel verströmen die ausgestellten Plexiglas- und Glasobjekte eine kalte, distanzierte Ästhetik. Die mit scharfkantigen Glasscherben bespickten Kugeln, Stelen und der fast zwei Meter hohe Glas-Zylinder wirken durch das einfallende Licht mal transparent, mal eisig glitzernd, mal grünlich schimmernd. Der Wunsch nach einer haptischen Wahrnehmung kommt beim Betrachter erst gar nicht auf.

Reiner Seligers Raumobjekte korrespondieren mit seinen Wandbildern aus Plexiglas, Aluminium, weißen und farbigen Kreiden. Seit etwa 2003 arbeitet er mit Kreide als bildkünstlerischem Medium: Einzelne, unterschiedlich lange und breite, geschnittene oder gebrochene Kreidestücke sind auf dem Bildträger verteilt und suggerieren so eine räumliche Tiefe. Dicht an dicht sind sie als Mosaik oder als Reihung inszeniert, wobei, je nach Lichteinfall auf der unebenen Oberfläche ein Spiel aus Licht und Schatten entsteht. Vor allen Dingen Seligers monochrome Kreidebilder in rot und blau beeindrucken mit ihrer farbintensiven Präsenz. Sie erinnern an den französischen Künstler Yves Klein, der in den Sechzigerjahren mit seinen Bildern Ultramarin-Blau und Magenta sowie seinen Schwammreliefs die Kunstwelt revolutioniert hat. Neben diesen Farbexplosionen aus Kreide treten Seligers Wandobjekte aus grauen Betonteilchen etwas in den Hintergrund - zu Unrecht.

Woher kommt Reiner Seligers Vorliebe für zerbrochene Materialien? Scheinbar nutzlose Abfallprodukte, die im allgemeinen auf Müll- und Steinschutthalden entsorgt werden, verwandelt er in künstlerische Artefakte. Das mag mit seiner Kindheit zusammen hängen: Mit neun Jahren kamen er und seine Familie nach der Vertreibung aus Schlesien 1952 nach Düsseldorf. „Damals gab es noch viele Trümmergrundstücke, auf denen wir spielten", erinnert sich der Künstler. Sein Faible für Kreiden als bildnerisches Element könnte eine Erinnerung an die Schulzeit sein, an das quietschende Geräusch der Schulkreide auf der Tafel. "Ich versuche eine andere Welt zu der täglich sichtbaren aufzubauen in Form wirkungsmächtiger Bilder und Formen. Das ist ein sehr poetischer Vorgang, der sich nur schwer mit Worten beschreiben lässt", erklärt er in einem Interview. „Ich nehme alltägliche Materialien und schaffe damit eine andere Welt als die Alltägliche."

Reiner Seliger lebt und arbeitet heute in Freiburg/Breisgau und in Castello di Montefioralle in der Toskana.
Die interessante und sehenswerte Ausstellung in der Galerie Borchardt zeigt nur eine kleine Auswahl aus dem Œuvre des Künstlers. Wer mehr erfahren möchte, sollte die Homepage Reiner Seligers besuchen: www.reinerseliger.de

Die Ausstellung „Reiner Seliger | beyond“ ist zu sehen bis zum 10. September 2016 in der Galerie Borchardt, Hopfensack 19, 20457 Hamburg.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr, Samstag, 10. September von 12 bis 15 Uhr.
Ein begleitendes Booklet zur Ausstellung ist erschienen.
Weitere Informationen: www.galerie-borchardt.de


Abbildungsnachweis. Alle Foto: Christel Busch
Header: Blick in die Ausstellung.
Galerie:
01. o.T. Ziegelturm
02. Kemano, Ziegel
03. Beton
04. Vetro Glas Farbe
05. Neon Kreidegemahlen Plexiglas
06. Glaszylinder
07. Blick in die Ausstellung
08. Yellow 3, Kreidde
09. o.T. rote Kreide
10. o.T. blaue Kreide

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