Zu seinem 40-jährigen Bestehen präsentiert der Denkmalverein Hamburg ein exzellentes schmales Buch, in dem er acht vorbildlich sanierte Gebäude vorstellt.
Aus zahlreichen Farbfotos und einem fundierten, locker erzählten Text von Architekturjournalist Claas Gefroi sind acht ganz individuelle Porträts entstanden, man bekommt sofort Lust, diese unbekannten Denkmäler zu besichtigen. Doch dieses Buch ist mehr als das Angebot zu einer ungewöhnlichen Sightseeing-Tour: man erkennt die Bedingungen, unter denen Denkmalschutz gelingen kann, und warum er nicht nostalgischer Heimatschutz, sondern ein integraler Teil jeder zukünftigen Stadtentwicklung sein sollte.
Gleich das erste Projekt ist dafür ein treffendes Beispiel. Der Brandshof, einst der Sitz einer Binnenschiffsreederei, liegt am Billebecken gegenüber den Elbbrücken in einem verkehrsreichen ehemaligen Industrie- und Hafengebiet. Das gesamte weitreichende Areal ist heute vor allem ein Transitraum – über die Elbbrücken führen breite Auto- und Bahntrassen. Unter dem Namen „Billebogen“ entwickelt es sich langsam zu einem neuen Standort für innovatives Gewerbe des 21. Jahrhunderts, für kreative Unternehmen und Startups aus Forschung, Entwicklung und Logistik.
Der Brandshof ist hier eines der letzten vollständigen Hafengewerbe-Ensembles aus Verwaltung, Wohnen und Lager. Ein Geschäftsmann kaufte die drei heruntergekommenen fast hundertjährigen expressionistischen Backstein-Gebäude und hat sie in den letzten Jahren Stück für Stück restauriert. So viel wie möglich alte Bausubstanz wurde erhalten und aufgearbeitet wie z.B. die alten gusseisernen Heizkörper und hölzernen Kastenfenster im Verwaltungsbau. Begeistert schreibt Claas Gefroi, dass mit der Restaurierung der Treppenhaushalle ein „hinreißendes, lichtes und helles Raumkunstwerk entstanden“ sei.
Die Investition in Handwerkskunst hat sich auch ökonomisch gelohnt: dieses Zeugnis der ehemaligen Hafennutzung weist in die Zukunft, denn ein solch hochwertig gestalteter, atmosphärisch dichter Ort zieht genau die Unternehmen der Kreativ-Szene an, die man hier und in der weiteren Umgebung ansiedeln will. Denkmalschutz ist kein Luxus, sondern kann eine lohnende Investition sein, wenn die neue Nutzung zum alten Gebäude passt. Und das tut sie hier geradezu perfekt.
Gerade in Zeiten knapper Ressourcen stellt sich die Frage des Denkmalschutzes neu. Abreißen und neu bauen schien jahrzehntelang selbstverständlich und wurde von Politik und Wirtschaft als praktische und kostengünstige Lösung dargestellt. Dabei zeigt das Beispiel der Umnutzung eines ehemaligen Kaufhaus-Speichers in eine Event-Location im Harburger Binnenhafen, dass in früheren Zeiten anders und umfassender gerechnet wurde.
Der Fachwerkspeicher wurde 1827 gebaut und knapp 75 Jahre später neu positioniert. Dafür zerlegte man das Gebäude in seine Einzelteile und baute es 500 Meter weiter wieder auf, somit wurde die „graue Energie“ des Hauses geschätzt und genutzt. Denn das Holz war und ist hochwertig und die Fachwerkkonstruktion aufwändig. Die sorgfältige Restaurierung des Gebäudes bringt jetzt wieder beides wieder zum Ausdruck. Die Fördermittel des Bezirks haben dabei geholfen. Eine Klippe war der Feuerschutz. Gleichzeitig die alte Architekturqualität zu bewahren und die neue Nutzung als Veranstaltungsort zu ermöglichen, erforderte eine ausgeklügelte Lösung. Der Feuerschutz ist ein Problem, das bei der Umnutzung von Denkmälern immer wiederkehrt. Nicht nur hier braucht Denkmalschutz das Engagement der Beteiligten.
Ein Dauerbrenner in der Stadtentwicklung ist die Schaffung von Wohnraum. Dafür brach liegende Bürobauten zu nutzen, wird immer wieder diskutiert. In der City Nord, ein Hamburger Vorzeigeprojekt der Nachkriegsmoderne, lässt der Bebauungsplan das bisher nicht zu. Aber für das erste Bürohaus der City Nord von 1964 fand man dennoch eine vergleichbare Lösung. Der ehemalige Verwaltungssitz eines Maschinenbau-Unternehmens wurde in ein Boarding House verwandelt. Dafür musste das Ensemble aus Hochhaus, Flachbau und Pavillon besonders im Innenbereich verändert werden, d.h. es wurden nicht alle Bauteile im streng denkmalpflegerischen Sinne als Original restauriert. Aber die Gestalt und städtebauliche Wirkung des Ensembles blieb erhalten.
Bauten der 1960er Jahre sind mit ihren – im besten Fall filigran – strukturierten Glasfassaden Energieschleudern. Hier gelang es den Architekten, trotz der erforderlicher Dreifach-Verglasung die neue Fassade täuschend echt der alten anzugleichen. Innen wurde besonders im Eingangsbereich soviel wie möglich alte Bausubstanz erhalten und die Eleganz der 1960er Jahre wiederhergestellt. In den oberen Geschossen entstanden allerdings 143 völlig neue Appartements. Das mag man bedauern, aber dieser Kompromiss bewahrte ein qualitätvolles Zeugnis der Nachkriegsmoderne vor dem Abriss.
Dehmelhaus. Foto: Martin Kunze
Der Denkmalverein möchte das Bewusstsein für die Qualität des Bestandes wecken, also für das, was an Gebäuden bereits vorhanden ist. Für die Rahmenbedingungen des Bauens wünscht er sich – so die Vorsitzende und Geschäftsführerin Kristina Sassenscheidt – einen Paradigmenwechsel: „Ressourcenschonendes Weiterbauen wäre wirtschaftlich deutlich attraktiver, wenn die ökologischen Kosten von Abriss und Neubau in die Gesamtinvestition eingepreist würden. Aktuell trägt die Allgemeinheit diese Kosten noch alleine, und dadurch rechnet sich der Neubau, obwohl er dem Klima schadet.“
Es gibt im Buch auch ein klassisches Beispiel von Denkmalpflege, das Dehmelhaus von 1912 in Hamburgs Elbstadtteil Blankenese. Dieses Denkmal der Reformarchitektur ist „ein Gesamtkunstwerk aus Haus, Garten, Interieur, Sammlung und Archiv“ wie die Dehmelhaus Stiftung auf ihrer Webseite schreibt. Schon die einstigen Bewohner, das Ehepaar Richard und Ida Dehmel, erklärten ihr Leben darin zu einer Einheit aus Kunst und Liebe. Freunde hatten ihnen das Haus geschenkt, es entwickelte sich zum wichtigen Treffpunkt der kulturellen Elite. Richard Dehmel starb schon 1920. Ida Dehmel nahm sich angesichts ihrer drohenden Deportation 1942 das Leben. Danach wurde es schwierig, das Haus zu erhalten. Es begann schließlich zu verfallen.
Erst ab 2013 wurde seine Rettung möglich, nachdem es mit Hilfe der Hermann Reemtsma Stiftung in eine eigene Stiftung überführt werden konnte. Dachstuhl, Mauerwerk, Leitungen, Rohre, Heizkörper mussten erneuert werden. Wände, Türen, Parkettböden wurden sorgfältig wiederaufgearbeitet. Eine besonders kleinteilige Arbeit war die Restaurierung der Tapeten: Stück für Stück wurden sie abgenommen und vorsichtig wiederhergestellt. So wandelte sich das Haus in eine „Zeitmaschine“ wie Gefroi schreibt: es wirkt, als wohnten die Dehmels immer noch darin. Für ein Museum, das das Wirken bedeutender Persönlichkeiten und eine wichtige Episode deutscher Kulturgeschichte dokumentiert, ist diese Restaurierung durchaus angemessen. Für die Öffentlichkeit ist sie ein Geschenk.
Der Denkmalverein hat sich im Laufe seiner 40-jährigen Geschichte zunehmend dahin orientiert, nicht nur einzelne Restaurierungsobjekte zu fördern, sondern sich regelmäßig in die öffentliche Debatte einzumischen. Sein Ziel ist es, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Laien wie Fachleute, dafür zu gewinnen, die Stadt mit mehr Wertschätzung für den Bestand weiterzuentwickeln. Das Buch „Stadt Neu!“, die erste Ausgabe einer geplanten Reihe, ist dafür ein gelungener Beitrag: sinnlich, anschaulich und sehr informativ.
Stadt Neu!
Beispielhafte Sanierungen aus Hamburg, No. 1
Hrsg. vom Denkmalverein Hamburg,
72 Seiten, 80 Farbabb.
Dölling und Galitz Verlag
ISBN 13: 978-3-86218-158-2
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