Kultur Blog
- Geschrieben von Anna Grillet -
„Waves” ist ein visuell waghalsiger Kraftakt, überwältigend, mitreißend, voller Zärtlichkeit, trügerischer Hoffnungen und zerborstener Träume. US-Regisseur Trey Edward Shults demontiert kühn das Konzept der Heldensagas Hollywoods: Er inszeniert sein vor Energie pulsierendes Melodram über zwei afroamerikanische Teenager als Spirale des Scheiterns und Lovestory des stillen Widerstands.
Metaphysische Sinnsuche zwischen wummernden Pop-Songs unter der flirrenden Sonne Floridas, die Kamera zieht in Höchstgeschwindigkeit ihre Kreise. Manche Filmkritiker fühlen sich an Terrence Malick erinnert, aber „Waves” ist genau das Gegenteil. Zwar hat Shults in dem Team des legendären Regisseurs gearbeitet, doch was er von dem Meister lernte, war eine eigene, unverwechselbare Sprache zu entwickeln.
- Geschrieben von Denis Leo Hegic und Jan Gustav Fiedler -
In Zeiten von „Closed" an den Eingangstüren macht das Museum of Now einen OPEN CALL und setzt damit ein wichtiges Zeichen, entgegen dem allgemeinen Herunterfahren kultureller Institutionen: wir haben keine Zeit für Stornierungen, Schließungen und Verschiebungen und müssen unser Kunst- und Kulturleben vor einem Stillstand bewahren.
- Geschrieben von Stefan Diebitz -
Günter Grass war ein Doppeltalent, ein bekannter Autor, der nicht nur schreiben, sondern auch ziemlich gut zeichnen und malen konnte und beides nur zu gerne tat.
Die Sonderausstellungen im Günter Grass-Haus in Lübeck sind folgerichtig Doppelbegabungen gleich ihm gewidmet – normalerweise. In diesem Jahr allerdings nicht, denn es geht hauptsächlich um Fußball und nur beiläufig um Dichtung und Kunst.
- Geschrieben von Claus Friede -
Der Roman „Die Stadt ohne Juden“ sollte 1922 die damals symptomatische Mentalität der Einwohner Wiens und Österreichs beschreiben. Der österreichisch-amerikanische, vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Autor und Journalist Hugo Bettauer (1872-1925) war radikal in vielen seiner Vorstellungen. Und er war präzise und personenbezogen in seinem Erfolgsroman, er nannte zwar Aliasnamen, aber jeder wusste genau, wer in der Ersten Republik gemeint war. Der Roman seziert demgegenüber auch allgemein menschliches Denken und Handeln in einer akuten (Wirtschafts-)Krise. Er ist Dystopie, Vision und Vorhersage und kommt doch bei weitem nicht an die tatsächliche Realität der Shoah heran. Der Schritt von der Vertreibung zur Vernichtung war damals noch jenseits des Vorstellbaren, obwohl in der einen oder anderen gleichnishaften Rede der handelnden Romanfiguren der verachtende Begriff „vertilgen“ fällt.
- Geschrieben von Stefan Diebitz -
Die Beschreibung der Stoa der griechischen Stadt Megalopolis und ihrer Ausgrabung bietet ein schmales Buch mit zahlreichen Schwarzweißfotos und Zeichnungen.
Im Werk Oswald Spenglers, „Der Untergang des Abendlandes“, ist Megalopolis der von ihm geprägte Ausdruck für eine Riesenstadt, wie es sie zu seinen Lebzeiten noch gar nicht gab. Ob er wohl gewusst hat, dass es tatsächlich eine Stadt – aber eine ziemlich kleine Stadt – dieses Namens gab, noch dazu mit einem Ursprung in der Antike? Gegründet worden war sie als „Megalopolis“, aber im Verlauf von mehr als zwei Jahrtausenden verlor sie ihren Endkonsonanten und heißt deshalb heute nur noch „Megalopoli“.
- Geschrieben von Anna Grillet -
„La Vérité – Leben und lügen lassen” ist Hirokazu Kore-edas erster Film außerhalb seines Heimatlandes gedreht: Eine hinreißende Hommage an das französische Kino und Catherine Deneuve.
Auch hier in Paris bleibt die Familie zentrales Thema des japanischen Regisseurs. War die Kindheit an der Seite jener gefeierten Diva eine Kette von Enttäuschungen, die Mutterrolle nur lästige Pflicht? Oder betrügen uns die Erinnerungen? Mit subtiler Finesse inszeniert Kore-eda ästhetisch virtuos ein schillerndes Beziehungsgeflecht vermeintlicher Abgründe und verborgener Sehnsüchte zwischen Ironie, Trauer und Poesie.
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Was gerade angesagt ist, hat ihn nie interessiert. David Hockney malte immer gegen den Trend – und wurde weltberühmt.
Ausgerechnet am Abend des Brexits eröffnete das Bucerius Kunst Forum die erste Retrospektive des gebürtigen Britten in Deutschland – mit Werken aus der fantastischen Sammlung der Londoner Tate. Eine starke Schau und ein starkes Zeichen in einem Europa, das immer mehr auseinanderzufallen scheint.
- Geschrieben von Claus Friede -
Das Ensemble C-Camerata Taipei gehört zu den interessantesten Kammerorchestern für Neue Musik und weist eine Reihe von Besonderheiten auf. Die Konzerte sind zuweilen lapidar mit „East and West“ (dt.: Ost und West) betitelt.
Dass sich heute, in einer globalisierten Welt, Fernöstliches und Westliches treffen ist natürlich mittlerweile und seit weit über einem Jahrhundert Normalität und nichts Besonderes – das gegenseitige Interesse aneinander ebenso. Um die Eigentümlichkeit herauszufiltern bedarf es mehr als einer geografischen, allgemeinen oder in Kilometern gemessenen Verortung!
- Geschrieben von Anna Grillet -
Mit „Emma.” kreiert Regisseurin Autumn de Wilde, bekannt durch Musikvideos für Künstler wie Florence + the Machine, einen wundervollen visuellen Kosmos, der in seiner ironischen bizarren Eindringlichkeit an Wes Anderson erinnert.
Die US-amerikanische Filmemacherin und ihre neuseeländische Drehbuchautorin Eleanor Catton behalten die altmodisch geschliffenen Dialoge des Romans von Jane Austen bei, aber sie eröffnen völlig neue Perspektiven auf die umschwärmte Anti-Heldin. Irgendwo steckt in uns allen etwas von Emmas boshafter Arroganz, -davon ist de Wilde überzeugt. Die romantische Komödie mutiert zum schillernden Psychogramm der Widersprüche. Ein exquisit choreographierter Satire-Mix aus Slapstick, Leidenschaft, Pathos und Tragik.
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Das Gute siegt, die dunklen Mächte der Finsternis gehen am Ende in einer Rauchwolke auf. Der Beifall ist riesig in Hamburgs phantasievollem kleinen Opernhaus, der Kammeroper im Allee-Theater an der Max-Brauer-Allee.
Sie hat unter der Intendanz von Marius Adam gewaltig Fahrt aufgenommen und stellt mit Mozarts „Zauberflöte“ eine Inszenierung auf ihre winzige Bühne, die man als Hamburger Opern-Fan unbedingt gesehen und gehört haben muss. Vielleicht ist es nicht mal zu hoch gegriffen, wenn man die großartige Kleinkunst hier im Hinterkopf vergleicht mit der opulenten Umsetzung derselben Oper im großen Haus an der Dammtorstraße – und feststellt: Da hat die Kammeroper durchaus in manchen Punkten die Nase vorn.