Charles Gounod: The Symphonies
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Da schreibt sich einer die Finger wund – Oratorien, zwölf Opern, Schauspielmusiken, Messen en masse, Märsche und Streichquartette. Und durch was wird man weltberühmt? Durch eine einzige, leicht schmalzige Melodie, die man über ein Präludium des längst verblichenen Johann Sebastian Bach gelegt hat. „Méditation sur le premier prélude de Bach“ hat der Franzose Charles Gounod (1818 bis 1893) seinen Welt-Hit genannt, in dem Bachs C-Dur-Präludium aus dem ersten Band des „Wohltemperierten Klaviers“ als Begleitung klimpert. Gounods zweitmeist gespieltes Werk dürfte übrigens „Inno e Marcia Pontificale“ sein, seit 1950 die offizielle die Papsthymne des Vatikan.
Von Gounods Opern sind „Faust“, in Deutschland gern unter dem Titel „Margarethe“ auf dem Spielplan, und „Romeo et Juliette“ dem Vergessen entkommen. Dass Gounod sich auch auf dem Gebiet der Sinfonie wacker geschlagen hat, ist dagegen eher eine Fußnote der Musikgeschichte geblieben. 1855 hatte er sich schon als Kirchenkapellmeister versucht, hatte seine ersten beiden erfolglosen Opern hinter sich, leitete den größten Männerchor der französischen Hauptstadt. Und beschloss, Sinfonien zu schreiben.
Im damaligen Frankreich ein mutiger Entschluss, das Musikleben in Paris war weitgehend auf die Oper fixiert, wenn man Sinfonien spielte, dann waren das die großen und bekannten Werke von Haydn, Mozart, Beethoven und Felix Mendelssohn. Sinfonien französischer Komponisten galten wenig, im Booklet der vorliegenden Aufnahme wird Camille Saint-Saëns zitiert, der 1880 schrieb: „Ein französischer Komponist, der die Kühnheit hatte, sich auf das Gebiet der der Instrumentalmusik zu wagen, besaß kein anderes Mittel, als dass er selbst ein Konzert gab und Freunde und die Kritik dazu einlud. An das eigentliche Publikum war nicht zu denken; der Name eines französischen Komponisten, noch dazu eines lebendigen, genügte, um alle Welt zu verscheuchen.“
Zweieinhalb Sinfonien schrieb Charles Gounod
Gounods sinfonische Arbeit blieb denn auch auf dieses eine Jahr 1855 beschränkt, das Ergebnis ist eine zweieinhalb Sinfonie, die nicht eben zum orchestralen Kernrepertoire gehört. Umso verdienstvoller ist die aktuelle Wiedererweckung durch das Nederlands Kamerorkest unter seinem Konzertmeister Gordan Nikolic. Denn es ist durchaus lohnend, die beiden vollständigen Werke zu hören, die Gounod im Alter von 37 Jahren schrieb.
Die erste in D-Dur knüpft im Duktus an die späten Mozart und Haydn-Sinfonien an und schlägt auch eine Verbindung zu Schumanns sinfonischen Anfängen, abgeklärt heiter im Ton, von großer Eleganz und geprägt von Gounods Sinn für eingängige Melodik. Der zweite Satz, „Allegretto moderato“, erinnert an Beethovens Siebente und bedient sich wie er einer langen altertümlich fugierten, kontrapunktisch gesetzten Passage. Das Scherzo kommt hübsch brav daher, eher noch ein Menuett, und im vierten Satz folgt auf eine Adagio-Einleitung ein Allegro vivace, das freundliches Licht elegant tanzen lässt, als hätte Gounod Felix Mendelssohn über die Schulter geschaut.
Er himmelte Mendelssohns Schwester an – und lernte viel von ihr
Das ist kein Zufall. 1839 war Gounod Stipendiat des Prix de Rome. Während seiner römischen Jahre traf er die dreizehn Jahre ältere Fanny Hensel, verheiratete Schwester von Felix Mendelssohn. Er schmachtete sie zu deren Amüsement heftig an, und er lernte von der gestandenen Komponistin und virtuosen Pianistin viel über die deutsche Instrumentalmusik und die Werke Beethovens. Auf der Rückreise über Wien und Berlin machte er in Leipzig Station, wo er Mendelssohn traf und dessen dritte Sinfonie, die „Schottische“ hören konnte. So kam er als Kenner deutscher Musiktradition nach Paris zurück.
Gounods zweite Sinfonie in Es-Dur macht sich von enger Anlehnung an Vorbilder bereits weitgehend frei. Auch wenn im ersten Satz noch ein wenig Beethoven durchschimmert und das Scherzo ebenfalls an die formalen, thematischen und instrumentalen Kühnheiten dieses Meisters erinnert – es liegt ein eigener Grundton in dem Werk, der sich vor allem in einem ausgeprägten Sinn für lyrische Melodien zeigt.
Das Nederlands Kamerorkest, Bruder des Nederlands Philharmonisch Orkest, ist mit seinen Konzerten im Royal Concertgebouw zuhause, wo auch die Live-Aufnahme der 1. Sinfonie entstand, was man dank der exzellenten Aufnahmetechnik kaum wahrnimmt – man ist richtig überrascht, wenn am Ende der Applaus aufbrandet. Außerdem ist es ständiges Ensemble der holländischen Nationaloper. Es nimmt sich der beiden Partituren von Gounod mit wunderbarer schimmernder Leichtigkeit und federnder Energie an. Vielleicht hätten die beiden Sinfonien genau so gespielt werden müssen, dann hätte Gounod über deren Erfolg besseres schreiben können als dass die erste von Publikum und Kritik „günstig aufgenommen“ wurde und die zweite sich „eines gewissen Erfolges“ erfreuen konnte. Vielleicht hat er da aber auch ein bisschen untertrieben – denn in den Jahren nach der Uraufführung wurde das sinfonische Doppelpack immerhin noch elf Mal in Paris aufgeführt. Da schrieb Gounod schon an der Oper, die sein größter Bühnenerfolg werden sollte: 1859 wurde „Faust“ an der Opéra national de Paris uraufgeführt – zwei Jahre, bevor dort Wagner mit der französischen Fassung seines „Tannhäuser“ grandios unterging.
Gounods dritte Sinfonie blieb unvollendet.
Charles Gounod: The Symphonies
Nederlands Kamerorkest, Leitung: Gordan Nikolic
Tacet 214
Abbildungsnachweis:
Header: Nederlands Kamerorkest. Foto: Ronald Knapp
CD-Cover
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