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Musik

Damit wäre eigentlich zum Thema Nachhaltigkeit und Kammermusik alles gesagt, was gesagt werden kann. Musik – wie jede Kunst – steht zur Idee der Nachhaltigkeit konträr, ihr Credo ist ein anderes: Kunst „entgrenzt die menschliche Phantasie dadurch, dass sie gerade nicht bei sich selbst bleibt und autonom ,erfindet’“, sondern sich „ans jeweilige ästhetische Material verschwendet und im selben Maß, wie sie es prägt, von ihm empfängt und eben dadurch den grenzenlosen Reichtum des Materials zur Darstellung bringt, an dem sich wiederum die Phantasie des Betrachters entzünden darf.“ Das, was Claude-Antoine Nwambele 2013 in der Zeitschrift ‚Bahamas’ feststellte, gilt auch für die Musik, die bei den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker zu hören ist.

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Dort, unweit von Hamburg an der Elbe, widmet man sich nicht nur seit 1946 der Kammermusik, sonder seit dem Vorjahr auch der Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und Kunst. Nein, letztere bleibt vorsichtshalber doch ausgespart: „Nachhaltigkeit ... und die Kultur?“ heißt eine Reihe im Programm des Festivals, deren Thema in diesem Jahr die „Zukunftsfähigkeit der Kammermusik“ sein soll. „Experten aus der Musikwirtschaft, Publizistik und Praxis (werden) auf dem Podium über den Stellenwert von Kammermusik im heutigen Musikleben, über Rezeptionsvoraussetzungen, Konzertformate und Vermittlungsformen sowie über Chancen und Risiken dieses kulturellen Angebots debattieren“, heißt es in einer Vorankündigung, in deren Schlusssatz der Kammermusik augenzwinkernd „eine nachhaltige Entwicklung und somit eine gesicherte Zukunft“ gewünscht wird. Wer, die Musikkunst liebt, wie sie die Zivilisation des Westens geschaffen hat, teilte diesen Wunsch nicht?

Viele der genannten Fragen wären angesichts des heutigen Kulturbetriebs in den Blick zu nehmen. Aber auf dem Ticket der „Nachhaltigkeit“? Der Begriff kommt aus der Forstwirtschaft, in der er nicht mehr und nicht weniger meint als Ressourcenschonung: Es soll in einem Wald nur soviel Holz gefällt werden, wie nachwächst. Was soll das mit Blick auf Kammermusik bedeuten? Nur soviel spielen, wie nachkomponiert wird? Das im Umgang mit Ressourcen sinnvolle Prinzip Nachhaltigkeit hat vom Forst aus einen Siegeszug durch die Institutionen von Kultur- wie Politikbetrieb angetreten. Und bei denen, die über die Vergabe von Geldern, seien es öffentliche, seien es solche der Wirtschaft, zu entscheiden haben. Vielleicht ist die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Kammermusik deshalb auch weniger eine musikalische als eine der korrekten Verwendung der je geforderten Begrifflichkeit, die Anschluss an das sichert, was der Mainstream als up-to-date verhandelt.

Dass die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Kultur also eine sinn-, aber keine zwecklose ist, darauf deutet die Aufladung, mit der das Thema bei den Sommerlichen Musiktagen behandelt wird: In einer – von der Bingo Umweltstiftung Niedersachsen geförderten – Broschüre (Unibuch Zu Klampen Verlag, Lüneburg) dokumentierten Diskussion im Sommer des Vorjahres zeigte schon die Auswahl der Diskutierenden eine gewisse affirmierende Schlagseite – ein Kritiker der Idee, die Frage nach dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit und „Hochkultur“ – vulgo Kunst – aufs öffentliche Tapet zu bringen, saß nicht auf dem Podium. Aber die Trennung zwischen Hoch- und populärer Kultur sei ohnehin aufzulösen, forderte Professor Dr. Volker Kirchberg von der Universität Lüneburg. Seine Kernthesen, die der Kulturwissenschaftler eher als Fakten präsentierte, waren einfach zu verstehen: Die (unausgesprochen: die westliche) Gesellschaft brauche einen Bewusstseinswandel, wenn Kultur daran mitwirke, bedeute das „keine instrumentelle Aneignung“. Es gehe, so Kirchberg, um die „Umsetzung eines reichen und mannigfaltigen kulturellen Lebens“. Gefordert sei „Widerstandsfähigkeit gegen kulturelle Standardisierung“: Das „Feindbild ist Disney“. Gegen die Unkultur Hollywoods und der sonstigen üblichen Verdächtigen brachte Kirchberg eine Kultur in Stellung, die in der Vermittlung ethischer Werte „zum gemeinsamen Handeln“ auffordern und so „Harmonie in der Spannung“ schaffen könne. Kurz gesagt: „Kultur, die aus Gemeinschaft wächst“.

Auch in anderen Beiträgen wurde das Kollektiv bemüht, um den Diskurs der Nachhaltigkeit zu plausibilisieren. Sigrid Maier-Knapp-Herbst, Beiratsmitglied des Bundesverbandes deutscher Stiftungen für den Bereich Soziales, forderte auf, Begriffe wie „Asylant“ oder „sozial schwach“ zu hinterfragen, Vielfalt „mache offene Gesellschaften überlebensfähig“, es gehe um die „Würdigung der Anderheit“ des Gegenübers. Nicht zufällig erinnert das Sprechen der Referenten über Nachhaltigkeit an das, was Theodor W. Adorno in seiner Kritik am „Jargon der Eigentlichkeit“ beobachtete: es wirke, „als wäre der Segen von oben in ihm selber unmittelbar mitkomponiert“. Das gilt nicht nur für die Sprache. Als im Januar 2013 die Sommerlichen Musiktage Hitzacker und die ebenfalls die in der Elbestadt ansässige Verwaltung des Biosphärenreservats Niedersächsische Elbtalaue ihre Kooperation in drei Punkten vertraglich fixierten, ging es um eigentlich Selbstverständliches: Festgeschrieben wurde, dass eine Vertragspartei sich nach den Vorgaben der anderen richtet, wenn Aktivitäten in deren Zuständigkeitsbereich stattfinden sollen. Oder die Willensbekundung, sich gegenseitig bei der Werbung zu unterstützen. Oder die Absicht, in der Region zusammen für gemeinsame Ziele aktiv werden zu wollen. Das alles im Zeichen der Nachhaltigkeit.

Das Zauberwort Nachhaltigkeit soll dem Banalen die Aura von etwas Höherem zu verleihen. Ähnlich den Begriffen des dem Zeitgeist der Nachkriegs-BRD kommoden „Jargons der Eigentlichkeit“ veranstaltet der Zeitgeist von heute mit der Nachhaltigkeit „eine Himmelfahrt des Wortes über den Bereich des Tatsächlichen, Bedingten und Anfechtbaren hinaus“. Mit ihm wird die protestantisch-deutsche Ethik des Verzichts vom gottgefälligen ins gutmenschengefällige gewendet: säkulare Religion. Damals wie heute werden „Allgemeinbegriffe und Ideen“ so dick aufgetragen, dass „ihr begriffliches Wesen, die Vermittlung durchs denkende Subjekt, unter der Deckfarbe verschwindet.“ Die Frage „Nachhaltigkeit ... und die Kultur?“ ist diesem „Jargon der Nachhaltigkeit“ bereits Antwort. Eine positive. Es würde nicht Wunder nehmen, wenn der Gedanke einer „nachhaltigen Musik“ im Programm Raum gewinnen würde und dem geflügelten Wort von Hitzacker als „grünem Hügel der Kammermusik“ eine neue Bedeutung(snuance) verleihen würde. Das Personal, das die Begründungen liefern kann, wird das Reservoir der „zu Kulturwissenschaften umgerüsteten Geisteswissenschaften in Serienproduktion ausspucken“ (Nwambele). Dass dem die Musik von solcher Betriebsamkeit nicht unbedingt Gutes zu erwarten hat, steht zu befürchten. Ohnehin scheint der Kulturbetrieb der Musik als derjenigen Kunst, in der deren „strenger und reiner Begriff“, also die „Autonomie der Form“ (Adorno), sich am deutlichsten manifestiert, zu misstrauen. Um auf dem Markt, und sei es auf dem der Förderer, reüssieren zu können verordnet der Betrieb der Musik ein Überschreiten des „ästhetischen Bannkreises“: „Neue Konzertform“, „Inklusion“, „Vermittlung“ und eben „Nachhaltigkeit“ sind zentrale Begriffe dabei. Die direkte – durchaus auch finanzielle – Abhängigkeit vom Diskurs des Mainstreams setzt die jeweils aktuell geforderte Korrektheiten durch.

Der damit verbundene Zwang, auch im Bereich der Kunst dem aktuellen Paradigma des allzeit engagierten Aktivbürgers Geltung zu verschaffen, kehrt sich gegen etwas, was Konstituens bürgerlicher Kammermusik ist, wie sie bei den Sommerlichen Musiktagen gepflegt wird: gegen Privatheit. Sie aber ist es, die eine Ahnung einer Welt nicht der Sinn-, wohl aber der Zwecklosigkeit, vom uneingelösten Versprechen jeder wirklichen Kunst also – und sei es in der Negation – zu geben vermag, vom Reich der Freiheit. Etwa indem ein Mensch sich verschwendet, entgrenzt, entzündet an die, an der Kunst – egal ob er das durch das Spiel auf einer Stradivari oder auf einem Hightech-Instrument tut. Und nicht durch den Willen zum Gutsein. P.S.: Ein Festival nach den Prinzipien zu organisieren, die nachhaltig genannt werden: Bier aus Pappbechern, kurze Wege, so genannter Öko-Strom? Das kann man machen. Reden muss man davon nicht.


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos Thomas Janssen

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