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Bulgakows Frau Jelena setzte nach seinem Tod ihre ganze Kraft darein, sein literarisches Vermächtnis zu veröffentlichen: „Der Meister und Margarita“. Doch erst 26 Jahre später war es soweit. „Wenn ein wirklicher Schriftsteller verstummt, muss er sterben“, hatte Bulgakow verzweifelt an Stalin geschrieben. Mit der posthumen Veröffentlichung seines Romans war er unsterblich geworden. Zur Pilgerstätte wurde Bulgakows Moskauer Wohnung, die literaturverrückten Russen schlossen das Werk und seine Bewohner unauslöschlich in ihr Herz – und die ganze westliche Welt tat es ihnen bald gleich. 2012 erschien eine neue deutsche Übersetzung des Romans: „Ein grandioses Kunstwerk. Bulgakow hat Figuren erfunden, die kein Leser vergisst“, urteilte die Schriftstellerin Felicitas Hoppe in der FAZ.

„Der Meister und Margarita“ ist ein überbordendes Meisterwerk: groteske Satire in der Tradition Gogols, „Faust“-Paraphrase mit dem Teufel als heimlichem Helden, Vorläufer des Fantasy-Romans, magischer Realismus, theologische Debatte zwischen Jesus und Pontius Pilatus – und nicht zuletzt eine große Liebesgeschichte. Eine kraftvolle Liebe, die alle Schrecken überwindet und die unzweifelhaft autobiographisch geprägt ist. Der „Meister“ ist ein Schriftsteller, der von der Staatsmacht geknebelt wird. Sein Roman über Pontius Pilatus wird konfisziert, er selbst in eine psychiatrische Anstalt eingesperrt. Doch seine Geliebte Margarita geht einen Pakt mit dem Teufel ein, um sich an den Apparatschiks zu rächen. Als Königin des Satansballs wirbelt sie Moskau durcheinander – wie es schon vorher der Teufel persönlich tat, der in Gestalt des Magiers Voland das Böse ruft, um das Gute zu erschaffen. Seine „Hilfsteufel“ sind die wohl irrwitzigsten Gestalten, die jemals auf die Erde gekommen sind – allen voran der lässige Kater Behemoth, der schnurrend auf zwei Beinen die apartesten Sottisen in die Tat umsetzt.

Diesen Roman also nahm sich der Komponist York Höller vor, als er 1984 einen Kompositionsauftrag der Hamburgischen Staatsoper erhielt. „Das war auf Initiative des damaligen Chefdirigenten Hans Zender“, erinnert sich der heute 69-jährige Komponist. „Während der intensiven librettistischen und kompositorischen Arbeit demissionierte jedoch die gesamte Operndirektion, und meinem auf mehrere Jahre angelegten Projekt drohte damit das Aus. Aber ich hatte Glück im Unglück: die Pariser Oper übernahm das Projekt und die Uraufführung 1989 im Palais Garnier.“ Es wurde ein „denkwürdiges Ereignis“, wie es damals in der Zeitschrift „Opernwelt“ hieß; zwei Jahre später erlebte „Der Meister und Margarita“ die erfolgreiche Deutsche Erstaufführung in Köln. Seitdem war das Werk nicht mehr auf der Opernbühne zu sehen – die Anforderungen sind immens, aber überaus lohnend. Dass Höllers Stück – wie Reimanns „Lear“ – ursprünglich ein Auftrag der Hamburgischen Staatsoper war, veranlasste Simone Young nun, dieses faszinierende Musiktheaterwerk „heimzuholen“: „Ich habe York Höllers Oper damals in meiner Kölner Zeit als Korrepetitorin miterlebt und war fasziniert von seiner musikalischen Ausdruckskraft und kompositorischen Virtuosität. Und nicht zuletzt ist es natürlich eine wunderbare, ebenso phantastische wie berührende Story“, sagt Hamburgs Intendantin.
Als junger Mann erlebte York Höller die Kölner Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns epochalem Musiktheater „Die Soldaten“ mit – ein Schlüsselerlebnis. Höllers Kompositionsstudium führte ihn nicht nur zu Zimmermann, sondern auch zu Pierre Boulez, an dessen Pariser IRCAM-Institut er tätig war. Auf Einladung von Karlheinz Stockhausen arbeitete er im Elektronischen Studio des WDR Köln, das er 1990 als Leiter übernahm. Im gleichen Jahr erhielt er den Rolf-Liebermann-Preis für Opernkomponisten. Höller erhielt Aufträge vom Chicago Symphony Orchestra, dem WDR Orchester und führenden Neue-Musik-Ensembles. Dirigenten wie Daniel Barenboim, Semyon Bychkov und Lothar Zagrosek sind seiner Musik verbunden; Simone Young führte im „Salut“-Konzert 2008 sein Orchesterstück „Feuerwerk“ auf. 2010 wurde York Höller mit dem „Grawemeyer Award“, einem der international wichtigsten Kompositionspreise, ausgezeichnet. Im November bringt der NDR sein neues Cellokonzert in Hamburg heraus.

An der Staatsoper übernimmt Marcus Bosch die musikalische Leitung von „Der Meister und Margarita“. Der Nürnberger GMD, der seit 2005 regelmäßig in Hamburg dirigiert, nennt die Partitur eine „große, spannende Herausforderung“: „Sie hat als Romanvertonung ein hohes narratives Element, das man plastisch herausarbeiten muss. Der Orchesterpart ist sehr komplex, mit elektronischen Zuspielbändern und einem großen Schlagzeugapparat“, erzählt Marcus Bosch. Der Zuhörer wird mit verschiedensten Klangquellen konfrontiert, die den Reichtum der Roman-Vorlage in einen üppigen Klangkosmos umsetzen. Beispielsweise im Satansball, dem Marcus Bosch eine „impulsive, ja verstörende rhythmische Durchschlagskraft“ attestiert, „die immer wieder in die Irre führt.“ Orchestraler Höhepunkt ist die Episode von Margaritas Flug über die Stadt: „eine beeindruckende Mischung von Elektronik, vorgefertigten Momenten und sinnlichen, irisierenden Klangverläufen im Orchester“, sagt der Dirigent. Im Satansball werden Geister der Vergangenheit heraufbeschworen – Gelegenheit für Höller, ein zeitenumspannendes Klangpanaroma zu entfalten: „Stilvariationen, die vom mittelalterlichen Parallelorganum bis hin zu komplexen elektronischen Geräuschmontagen führen“, so York Höller. Das berühmte Konzept einer „Kugelgestalt der Zeit“ seines Lehrers Bernd Alois Zimmermann bereitete hier den Weg.

Der Stil- und Formreichtum der Oper entspricht der theatralischen und surrealen Vielschichtigkeit des Romans. Zur Entstehungszeit von Höllers Werk waren bühnentechnische Lösungen wie komplexe Videoprojektionen oder Computeranimationen noch nicht möglich. Es läge auf der Hand, sie heute für eine Inszenierung von »Der Meister und Margarita« einzusetzen. Doch Regisseur Jochen Biganzoli hat sich für eine andere Herangehensweise entschieden: „Wir wollen das Stück ganz bewusst nicht über Effekte erzählen, sondern über die Authentizität der Darsteller. Mich interessieren besonders die psychischen Konflikte der Figuren. Das heißt nicht, dass wir auf die Schwarze Magie oder die satirischen Elemente verzichten – aber wir wollen uns nicht hinter einem Ausstattungsspektakel verstecken.“

Als ehemaliger Assistent von Peter Konwitschny ist Jochen Biganzoli ein Regisseur, der die politische Grundkonstellation mit einem psychologischen Ansatz verbindet. Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat ihm einen Raum entworfen, der gleichermaßen Gefängnis wie Rückzugsort für den Meister bedeutet – einen Raum, in dem die Alpträume und Halluzinationen, die teuflischen und die menschlichen Absurditäten unaufhaltsam eindringen. Die Kostüme von Heike Neugebauer unterstützen die Klarheit des Konzepts, das plötzlich durch phantastische Irrlichter und entfesselte Zauberkünste aufgebrochen wird.

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