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Hans-Juergen Fink (HJF): Konnte Zappa denn still daneben sitzen, während Sie dirigierten?

Kent Nagano (KN): Ja, wir waren da sehr nahe. Frank Zappa hat, wie wir jetzt rückblickend sehen, immer ganz neue unbekannte Namen geholt. Er hatte ein sehr scharfes Ohr für Technik und Perfektion, für künstlerischen Ausdruck. Aber er hasste das Musiksystem, wo man erstmal so viel investieren musste. Er sagte: „Talent ist Talent“, und hat viele junge Leute gefördert. Er hätte damals jeden Dirigenten haben können, aber er hat einen jungen geholt, nämlich mich, und hat mir eine professionelle Chance gegeben.

HJF: Sie haben damals bei den Aufnahmen vom Orchester ein Schild bekommen: „Danger – Live Conductor“ (wörtlich: Vorsicht – Leitung unter Spannung. Wobei Conductor eben auch Dirigent heißt, Anm. d. Red.). Was war damit gemeint?

KN: Ich habe diese schrecklichen Ohren, mit denen ich soviel höre und deshalb auch sehr viel schneller korrigieren kann. Aber aus dieser Zeit ist bis heute eine Freundschaft mit dem LSO geblieben, wir haben gerade wieder ein paar Konzerte zusammen gemacht. Sie hatten gedacht, der Zappa hat irgendwelchen Popkram geschrieben. Aber nein, das war sehr komplizierte Musik. So dachten sie auch: Kent Nagano – wer ist das denn? Bis sie spürten, dass ich merkwürdig gute Ohren habe. Das war eine sehr intensive Zeit, künstlerischer Austausch auf hohem Niveau. Zappa und ich waren gemeinsam auf dem Podest, er hat jeden Fehler korrigiert. Und die Musiker haben realisiert: Der Zappa hat etwas zu sagen.

HJF: Wenn heute über Kent Nagano und Klang geschrieben wird, fallen so Begriffe wie Balance, Transparenz, Noblesse, Purity – kühl und analytisch. Und jetzt, anlässlich von „La Passione“ in den Deichtorhallen auch „zuviel Wohlklang“. Was suchen Sie in der Musik?

KN: Inhaltliche Wahrheit. Ich nehme, was gegeben ist – die Partitur. In der „Matthäus-Passion“ gibt es Text, und man versucht so nah wie möglich an die Musik und die Texte zu kommen. Das klingt so einfach, so banal, aber es ist lebenslange Arbeit. Wie bringt man jeden Choral anders zum Klingen? Wie soll das Stück atmen? Ich kenne die „Matthäus-Passion“ seit meiner Kindheit, und so eine lange Reise mit einem Stück ist ein Vorteil, weil man so oft zurück geht zu den gleichen Tönen. Das ist bei Bach so faszinierend: Bei jeder Aufführung hört man etwas anderes. Diesmal in den Deichtorhallen war das sehr interessant. Die Akustik war eine große Herausforderung, wir konnten einander kaum hören. So musste ich viel mehr physisch dirigieren als sonst. Und der Kontext „alles Weiß“ auf der Bühne war auch sehr interessant für uns.

HJF: Fühlen Sie sich mit Kategorien wie Balance, Klarheit und Reinheit richtig beschrieben?

KN: Man muss natürlich interpretieren. wenn wir heute Meisterwerke spielen, müssen wir sie immer neu schaffen. Wir erleben Musik ja praktisch nur als Vergangenheit. Wenn wir neu kreiieren, zum Beispiel „Hamlet“ von Shakespeare, dann können wir nicht viel verstehen, wenn nicht prononciert gesprochen wird, sondern geschrien, oder es ist Lärm auf der Bühne – dann bekommen wir ein inhaltliches Problem. In der Musik: Zuerst müssen wir verstehen, was uns der Komponist gegeben hat, dann bekommt der Inhalt eine Chance. Eine Partitur nur als Empfehlung zu benutzen ist für mich nicht genug.

HJF: Akkurat schauen und hören auf das, was geschrieben steht – hat das etwas mit Ihren japanischen Wurzeln zu tun?

KN: Nein, das glaube ich nicht. Eher damit, dass ich mit der und in der Natur aufgewachsen bin. Ohne Balance kann man keinen echten Klang haben, man kann keine Obertöne hören ohne Balance und keine richtige Atmosphäre schaffen, ohne eine Naturbalance. In der Natur ist Schönheit ganz anders definiert als bei uns, weg vom Hübschen – es gibt schreckliche und hässliche Sachen in der Natur, die müssen auch drin sein in der Schönheit. Aber es kann nichts entstehen, wenn etwas unnatürlich gemacht wird, außerhalb der Balance. Dann wird es nicht klingen.

HJF: Wann sind Sie zufrieden mit einer Aufführung?

KN: Alle Künstler, die ich persönlich kenne oder die ich respektiere, sind nie zufrieden. Deshalb können wir ja immer wieder zurück kommen zu einem Stück. Das ist für mich auch bei Aufnahmen problematisch: Man kann bei Aufnahmen versuchen, etwas durch Technik besser hinzubekommen. Aber höre bei Aufnahmen immer nur, was ich besser machen könnte.

HJF: Mit dem Montréaler Symphonieorchester machen Sie viele Aufnahmen. Haben Sie mit dem Philharmonischen Staatsorchester auch solche Pläne?

KN: Wir haben etliche Projekte, und hoffentlich werden sie realisiert. In unserer Zeit ist die kommerzielle Seite von Aufnahmen sehr unterschieden davon, wie es vor 25 Jahren war – das ökonomische Modell ist ganz anders, auch wie eine Aufnahme auf dem Markt angenommen wird. Der CD-Markt wird immer kleiner, das Internet kann da noch nicht qualitativ mithalten, Und Streaming ist eine Technik, die sich noch entwickelt...

HJF: ...andererseits macht das Internet einen ungeheuren kulturellen Reichtum, auch in der Musik, für die Menschen zugänglich...

KN: ...ja, im Internet kann man fast alles finden, auch klassische Musik. Aber die Welt der Aufnahmen macht einen gewaltigen Wandel durch. Und wir müssen uns fragen: Wofür tun wir das? Darüber denken wir viel nach.

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