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Musik

John Neumeier, Hamburgs Ballettchef, holte gleich zu Beginn der Pressekonferenz für die Spielzeit 2015/16 der Hamburgischen Staatsoper den ersten Lacher: Er startete die Programmvorstellung als erster mit dem Hinweis „Ich bin lieber Vorspeise als Nachtisch“ und steckte sehr elegant sein Revier ab: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem achten Opern-Leitungsteam, dass ich hier erlebe.“

Während Kent Nagano als künftiger Generalmusikdirektor wortreich seinen Respekt vor der großen Geschichte des 1677 gegründeten Opernhauses bekundete, hätte Neumeier dezent darauf verweisen können, dass er ja längst mehr als ein Zehntel dieser fast 340 Jahre als Ballettchef dabei ist. Das verbot ihm natürlich die hanseatische Noblesse. Aber die Tatsache, dass das neue Opern-Team (neben Nagano als Intendant künftig Georges Delnon) eine zweite Bühnenfassung von Bachs „Matthäuspassion“ – unter dem Titel „La Passione“, Inszenierung Romeo Castellucci – herausbringen wird, kommentierte er mit dem Hinweis darauf, dass seine Choreographie seit 1981 allein in Hamburg bereits 194 Mal getanzt wurde. Er hätte auch seinen „Sommernachtstraum“ erwähnen können, Ballett-Spitzenreiter mit 297 Hamburger Aufführungen. Muss man erstmal hinkriegen...

Neumeier und Nagano bringen Messiaens „Turangalîla“ als Ballett heraus
Neumeier wird in der kommenden Saison ein Ballett über die legendäre italienische Schauspielerin Eleonora Duse choreografieren. Und kann gegen Ende der Spielzeit einen lang gehegten Traum realisieren: Kent Nagano nutzte seine guten Beziehungen zum Sohn seines verehrten Lehrers Olivier Messiaen, um dessen zehnsätziges sinfonisches Werk Turangalî für eine Ballett verwenden zu dürfen, was Messiaen einst ausgeschlossen hatte. Natürlich steht bei dieser Ballett-Premiere im Juni 2016 Nagano selbst am Pult der Philharmoniker.

Neumeiers „Matthäus-Passion“ und „A Cinderella Story“ werden als Wiederaufnahmen dabei sein. Nach dem Hinweis auf die Vielfalt des Ballettrepertoires (18 Choreographien in einer Saison) und Gastspielen in Baden-Baden, Moskau, Chicago, Tokio und Wien gab der Langzeit-Ballettintendant Raum für Kent/Delnon.

Aufbruchsstimmung. Georges Delnon aus Basel gibt sich so kurz vor seinem Start in Hamburg erstaunlich unaufgeregt, er ist aber auch kein Mann übergroßer Ankündigungen. Eher einer, dem man abnimmt, seinen Anspruch freundlich, aber überaus hartnäckig zu verfolgen, dass sich Musiktheater gesellschaftlich und politisch einmischen soll in die Stadt, dass es breite Schichten interessieren soll, dass es mitbestimmend sein soll für das Diskurs-Klima in Hamburg. Die Erwartungen sind hoch: Unter seiner Leitung wurde das Theater Basel mehrfach als „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet.
Da setzen die Hamburger Premieren erste Zeichen: Mit „Les Troyens“ von Hector Berlioz starten die neuen Zeiten im Haus an der Dammtorstraße – ein Stoff, den Delnon gleich bewusst in den Kontext von Krieg, Flüchtlingsdramen und unserem Umgang damit stellt. Regie wird Michael Thalheimer führen. Übertragen wird das in Zusammenarbeit mit dem Filmfest Hamburg auf den Jungfernstieg – Oper für alle. Auch das ist ein Anspruch.

Eine weitere Zeitenwende markiert Mozarts „Le nozze di Figaro“, inszeniert von Stefan Herheim. Barockspezialist Ottavio Dantone soll die Beziehungen von Mozarts Musik zu ihren historischen Wurzeln hörbar machen. Ganz aktuell – noch ist die Partitur nicht fertig gestellt – wird Toshio Hosokawas „Stilles Meer“ sein, das sich mit dem Tsunami von 2011 und dem folgenden Reaktorunglück in Fukushima beschäftigt. Hochpolitisch ist auch eine Grand Opéra wie Rossinis „Guillaume Tell“. Und nach dem hochdramatischen Geschehen von „La Passione“ (mit Ian Bostridge als Evangelist, wird zum Start des Hamburger Musikfests in den Deichtorhallen aufgeführt) gibt es einen spätromantischen Saison-Ausklang mit Richard Strauss’ „Daphne“, von Christoph Loy für diese Koproduktion mit Basel inszeniert. Neben all dem neuen stehen 21 Opern aus dem Repertoire auf dem Spielplan, darunter als Wiederaufnahmen Konwitschnys „Don Carlos“ und Ruth Berghaus’ „Tristan und

Die Opera Stabile wird zum Labor für zeitgenössisches Musiktheater
Erfreulich und ein gutes Zeichen ist die deutlich intensivere Bespielung der Oper Stabile, für die Delnon vier Hamburger Stiftungen begeistern konnte. Das kleine Haus soll zum Labor für zeitgenössische Formen des Musiktheaters werden und unterstreicht diesen Anspruch gleich mit fünf Werken, darunter zwei Uraufführungen und eine deutsche Erstaufführung. Den Auftakt macht am 18. September Christof Marthaler als Autor und Regisseur mit „Isoldes Abendbrot“ mit Star-Mezzosopranistin Sofie von Otter, ebenfalls eine Übernehme aus Basel.
Für Michael Wertmüllers Uraufführung „Weine nicht, singe“ schrieb Dea Loher den Text, die Inszenierung liegt in den Händen von Jette Steckel, die Musik kommt vom Ensemble Resonanz und von Steamboat Switzerland. Thema: Nahost-Dauerkrise, Krieg, Bomben – und wie die Menschen darin überleben.
Als Kinderoper im Programm: Benjamin Britten „Der kleine Schornsteinfeger“ mit Sängerin der Staatsoper und von Hamburger Schule und Musikern der Philharmoniker und dem Albert-Schweitzer-Jugendorchester. Und dann „Mini-Bar“ – eine Bar, Sehnsüchte, Erwartungen – ein junges Projekt der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung. Und das Internationale Opernstudio steuert die Produktion von Telemanns „Orpheus“ bei.
Ein Programm, das – soviel lässt sich jetzt schon sagen – spannend klingt und Lust macht. Delnon freut sich auf die Setzungen und Behauptungen, die Hamburgs Oper in die Stadt stellen wird – und auf den Dialog, der sich daraus entspinnen kann.

Kent Nagano ist deutlich wortreicher, ohne deshalb gleich deutlich mehr zu sagen. Er erinnert an die große Tradition des Hauses, die 100 Jahre vor der Gründung seine Heimatlandes, der Vereinigten Staaten von Amerika, begann. Er hat sich mit dieser Tradition beschäftigt und will nun zusammen mit den Philharmonikern danach suchen, wie Hamburg klingt. So wie im ersten Sinfonischen Konzert am 27. September zum Beispiel, bei dem mit Werken von Ligeti, Ruzicka, Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach und Gustav Mahler eine geballte Portion Hamburg auf dem Programm steht? Freuen darf man sich u.a. auf Gastdirigent Philippe Herreweghe.

Wie Hamburg klingt? Kent Nagano geht auf die Suche
Naganos Programme sind absolut abonnenten-tauglich, setzen feine Akzente in übersichtlicher Zahl ins zeitgenössische Musikschaffen (Boulez, Zimmermann, Hosokawa und Ligeti-Schülerin Unsuk Chin), sechs Kammerkonzerte geben den Musikern weiteren Raum. Für zwei Akademie-Konzerte zieht Nagano in den Michel um, in vier weiteren Konzerten soll die kreative Kraft der Verbindung von wissenschaftlichen Vorträgen und Musik erprobt werden.
Wie Hamburg nun klingt? In einem Interview antwortet Nagano noch recht vage mit dem Wort „Cantabile“ und meint damit die Art und Temperatur des Dialogs, den er anstoßen will. Dass er ein Mann für griffige mediale Darstellung ist, beweist er dann noch einmal zum Schluss: „Unser Ziel ist es, Menschen irgendwo auf der Welt sagen zu hören: Etwas passiert in der Welt der Musik und der Welt der Oper, und es passiert in Hamburg.“ Wer möchte ihm da widersprechen? Da gab’s sogar Beifall von den versammelten Journalisten.

Genau wie für den künftigen Intendanten, der – dankbar wird das registriert – nicht vergessen haben möchte, auf die Magie der Kunstform Oper hinzuweisen, die in den besten Momenten des Geschehens auf der Bühne entsteht. Gute Vorsätze, gutes Programm – wir sind gespannt!

Weitere Informationen zu den Spielzeit-Programmen 2015/2016 und Download der Broschüren für
Staatsoper Hamburg
Hamburg Ballett - John Neumeier
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg


Abbildungsnachweis:
Header: Gebäude der Hamburgischen Staatsoper. Foto: © Kurt-Michael Westermann

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