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Wie schön! Mal keine geleckte Kunstmesse mit schicken, kleinen Kojen, sondern ein offener Raum mit flexiblen Wänden und echter „Produktions“-Atmosphäre. Man spürt es sofort: Hier haben sich junge Künstler mit jeder Menge Enthusiasmus, Ideen und oft auch erstaunlicher Qualität versammelt. Jeder bietet mindestens zwei Werke unter 1000 Euro an, die Organisatoren bekommen 25 Prozent, um ihre Kosten zu decken. Das klingt fair und es lohnt sich, hier vorbeizuschauen.

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Schon die Location ist eine Entdeckung: Ein markanter Backsteinbau um 1900, der in seiner dreischiffigen Aufteilung und den Oberlichtern an die Hamburger Deichtorhallen erinnert. Das ehemalige Bille-Kraftwerk in Hammerbrook liegt nur zehn Autominuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt und doch liegt es in einem Industrieareal, in das sich kaum ein Hanseat verirrt. An diesem verlängerten Wochenende wird das hoffentlich anders sein, denn die P/ART kooperiert mit dem Reeperbahn-Festival. Wer eine Festival-Karte hat, kommt gratis in die Messe und das sollte man ausnutzen. Mehr als 60 junge Künstler stellen hier aus, alle Sparten sind vertreten: Malerei, Zeichnungen, Fotografie, Installationen. Ausgewählte Arbeiten, wohlgemerkt, die eine sechsköpfige Jury von Kunstexperten durchliefen.

Haltung zeigen, kommunizieren, diskutieren – das haben sich die Organisatoren der P/ART auf die Fahnen geschrieben und das zeigt sich beim Messerundgang immer wieder. Simon Hehemann (33) beispielsweise hat sein altes Moped ins ehemalige Bille-Kraftwerk geschleppt, in seinem Raum an Ketten aufgehängt und mit halbgaren Spaghetti überschüttet. „Mit dem Moped nach Italien“ nennt er die Installation, die frappierend an die theatralen Inszenierungen von John Bock erinnern.

Schräg gegenüber sprüht die Versuchsanordnung von Marcel Große (34) Funken: Er baute einen Stahlrahmen mit zwei strombetriebenen Rädern, die Stahldrähte gegeneinander schleudern. Die Kollisionsblitze hat der Künstler fotografiert und in psychedelisch anmutenden Aufnahmen übersetzt. Ein paar Schritte weiter sind die „installativen Fotografien“ des Nürnbergers Johannes Kerstin zu sehen, die sich als Wandmalereien in den Raum fortsetzen. Verblüffend sind diese Arbeiten insofern, da sie selbst wie Gemälde wirken. Trompe L’oeil der Technik, sozusagen.

Für die spannendste Inszenierung dieser Schau muss man jedoch in die Katakomben des alten Gemäuers hinabsteigen. Die Kanone, die Janin Eggert und Philipp Ricklefs in den Tiefen des weitläufigen Kellers aufstellten ist mehr zu ahnen als zu sehen, doch wenn sie abfeuert, bildet sich ein wunderschöner Rauchring, der wie ein Mosaik einen Moment lang im Raum schwebt, ehe er zerfällt. Ganz sonderbar ist dieses Erlebnis, man fühlt sich Jahrhunderte zurückversetzt, in eine Zeit eben, in der es mächtig staubte, wenn Kanonen abgefeuert wurden.

Das Erdgeschoss dagegen ist vorwiegend mit Gemälden und Skulpturen bestückt. Gleich zum Auftakt zieht die Fotoinstallation von Lotte Reimann (33) die Aufmerksamkeit auf sich: Eine Bilderwand voller exhibitionistischer Aktaufnahmen eines amerikanischen Paares, im Internet gefunden und abfotografiert, erzählt hier eine fast filmisch anmutende Geschichte. Mit ihrem ungewöhnlichen „Familienalbum“ bewegt sich die Künstlerin in einer Grauzone der Legalität, die sich nicht nur auf ihre Arbeit, sondern auch auf die Pornographie im Internet bezieht. Auf der anderen Seite der Stellwand geht es mit Grauzonen weiter – allerdings ganz anderer Art: Gemeint sind die Gebäudeporträts der Malerin Anna Fiegen (34). Die ehemalige Meisterschülerin an der Kunstakademie Münster hat Menschen – ja, jedes Leben aus ihren Bildern verbannt. Geblieben sind verlassen wirkende Bauten im malerischen Nirgendwo, die an Edward Hopper erinnern, an eine Architektur, die in ihrer Melancholie zum Spiegelbild menschlicher Empfindungen wurde.

Wie man an diesen Beispielen sieht, ist die Bandbreite der P/ART enorm vielfältig und spannungsgeladen, aber eines eint sie: „Es sind alles Positionen, die eher nicht markttauglich sind“, wie Justus Duhnkrack, Sprecher des Organisatoren-Teams immer wieder betont. Doch was heißt das schon? Sobald die „richtigen“ Sammler kaufen, ist im Grunde alles „markttauglich“, das hat der Hamburger Harald Falckenberg schon eindrücklich bewiesen. Das riesige „Bauhaus-Plakat“ mit der Aufschrift „Bauhaus is winnig the war“, das hinter dem rotweißen Schriftzug des Baumarktes die riesige schwarze Wolke einer Detonation zeigt, das wäre wieder etwas für ihn. Das Künstlerduo Burnrate aus Berlin (Scott Redford und Glenn Geffken) arbeitet mit Produkten aus der Werbe- und Warenweltspielen und spielt hier mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Bauhaus“.

Ebenso amüsant wie irrwitzig sind auch die räumlichen Eingriffe von Heiko Wommelsdorf (33), der zurzeit „Klangkunst“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel lehrt: In die ruinösen Hallen, deren Aufrüstung auf internationalen Museumsstandart sicher Millionen kosten würden, hat er an verschiedenen Ecken Luftmessgeräte aufgestellt. Ein absurdes Unterfangen, aber eines, das noch auf dem Heimweg nachdenklich stimmt.

P/ART, Producers Art Fair
KRAFTWERK BILLE
Anton-Ree-Weg 50
20537 Hamburg
Vom 24.-27. September, Vernissage: 24. September 19 Uhr,
Öffnungszeiten: Freitag, 12-20 Uhr , Sonnabend 11-23 Uhr, Sonntag 11-20 Uhr.
Eintritt: Eröffnung Kostenlos
Erwachsene 10 Euro
Ermäßigt 8 Euro
Kinder bis einschließlich 14 Jahre haben freien Eintritt
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Header: P/Art Grafik
Galerie:
01. Historische Aufnahme des Kraftwerks
Bille. Foto: Vattenfall Wärme GmbH, Hamburg
02. Innenansicht, ehemaliges Kraftwerk Bille © P/ART
03. Jury 2015, v.l.n.r. Clemens Rating, Bettina Steinbrügge, Antje Stahl, Julius Heinemann, Gesa Engelschall, Sebastian Ruess © P/ART Kopie
04.
Simon Hehemann; Moped. Foto: Isabelle Hofmann
05. Marcel Große vor seinen Funkenbildern. Foto: Isabelle Hofmann
06. Lotte Reimann vor ihrem Familienalbum. Foto: Isabelle Hofmann
07. Anna Fliegen vor dem Bild Chilehaus. Foto: Isabelle Hofmann
08. "Bauhaus is winning the war". Foto: Isabelle Hofmann
09. Heiko Wommelsdorf; Luftfeuchtigkeitsmessgerät. Foto: Isabelle Hofmann

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